Hier sieht es, aus wie in deinem Zimmer!

Ein Donnerstag. Ein Donnerstag, an einem 2. September 1993. Wie üblich der Kino-Premiere-Tag. Diesmal mit Wichtigkeit. Steven Spielberg, der Regisseur der 90er, hatte seinen neusten Film ins Kino gebracht. “Jurassic Park”. Der erste Film einer bis heute andauernden Film-Serie, welche Menschen und Dinosaurier zu einer Begegnung auf der Kino-Leinwand verhalf. Was die Welt in ihrer Evolution nicht hinkriegte, das schaffte die kinematische Vorstellung der Menschheit. Oder besser gesagt, die eines kinematischen Genies, namens Steven Spielberg,

Zuvor gab es zwar schon “Die Dinos” von Jim Henson als Serie. Als Fernsehen über die Dino-Familie ”Sinclair”. Bekannt wurde die Serie vor allem durch den Ausruf vom Baby-Sinclair-Dino; “Nicht die Mama”. Eine Serie in der Tradition der “Familie Feuerstein”. Es war eine Fernsehserie, in welcher sich schon diverse Dinos mit den brennenden Themen wie “Vegetarismus pro und contra”, “Bäumschubsen – ja oder nein” (… „hier wird nicht geschubst!“ …) und anderen über lebenswichtige Dingen beschäftigte.

Ich will damit nicht die Serie und deren Themen runterreden. Nein. Die Themen sind auch heute noch hyperdringend. So wie damals. Als der Wald im sauren Regen der Umwelt ihren Tribut zollte. Als die Wissenschaftler bereits auf die Hypercarbonisierung der Atmosphäre und deren Überhitz und hinwiesen. Das waren die 80er und 90er. Bereits am Rande des Abgrunds. Heute ohne einen weiteren Schritt.

Viel Glück an die Gen Y und Z, um diese Themen zu lösen. Wir Boomer haben dahingehend komplett versagt. Weiterlesen

Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (49): The Director’s Cut

Die Spatzen hüpften um die Wette. Die Hunde lagen faul in der Sonne. Der Himmel strahlte sein schönstes 1.-Mai-Strahlen. Der Betontisch zwischen uns diente normalerweise dem Dame-Spiel. Oder einem Schach-Spiel. Seine Quadrate waren unbesetzt, nur in der Mitte stand die Gin-Flasche und eine Flasche Tonic-Water.

“Ohne Eis”, fragte ich vorsichtig.

Er schaute mich kurz an, ganz kurz. Seine Augen erschienen leer und leicht verheult. “Eis braucht es nicht.”

“Alkohol ist keine Lösung, Mann.”

“Kein Alkohol ist auch keine.” Mit seiner rechten Hand machte er eine wegwerfende Bewegung hinter sich.

“So schlimm?”

“Schlimmer.”

“Wie schlimm?”

“Kennen Sie den Film ‘Nuovo Cinema Paradiso’ ?”

Klar kannte ich ihn. Philippe Noiret spielte eine hervorragende Rolle. Die Rolle eines alten Filmvorführers, der dem jungen Toto das Kino näher brachte. Ich nickte. “Ein grandioser Film in den 80ern. Freilich kenne ich den. Ein Oskar als Bester fremdsprachlicher Film.”

“Bester fremdsprachiger Film”, korrigierte er mich, “1990 erhielt er den. Vor 30 Jahren. Ins Kino kam er hier 1989, als das erste große Kinosterben stattfand. Wegen Fernsehen und Videos.”

Ich nickte erneut. “Ja, dieser Lockdown momentan wird wieder ein Kinosterben erzeugen. Streaming Dienste schleifen gerade die Sargnägel für viele Lichtspielhäuser.”

Lichtspielhäuser. Schön hast du das gesagt. Ich wollte den Film ‘Nuovo Cinema Paradiso’ auf einen der Streaming Dienste anschauen. Aber kein Streaming Dienst führt den Film.”

“Echt?”

“Keiner. Vielleicht, weil der bei der Weinstein-Company in Lizenz steht und mit Weinstein keiner mehr in Verbindung gebracht werden will. Selbst als DVD- oder Blueray-Neuware fand ich ihn nirgendwo. Ich habe mir den Film im Gebrauchtwaren-Handel bestellt. Deluxe Edition. Redux. The Director’s Cut. Der dauert knapp 49 Minuten länger als die Version, die damals im Kino gezeigt wurde.”

“Die Weinstein-Company ist in die Insolvenz gegangen. Vielleicht deswegen? Lohnt sich die längere Version?”

Er schaute mich kurz prüfend an. “Du erinnerst dich doch noch an die Liebesgeschichte im Film zwischen Toto und Elena?”

“Ja, klar. Als Alfredo starb, erinnerte sich Toto an seine damalige Freundin Elena. Er sah sich bei seiner Mutter in dem Dorf Giancaldo noch den 8-mm-Film von Elena an. Durchlebte die Erinnerung mit seinen alten Schwarm als Film. Aber das Hauptstück vom Film ist doch letztendlich die Schlussszene, der von Alfred zusammengeschnittene mit seinen Kussszenen.”

“Nein, das ist nur eine Schlusspointe. Im Director’s Cut kriegt der Film eine neue Perspektive, was Alfredo, Toto und Elena angeht.”

“Welche?”

Er schüttete sich wieder ein Gemisch aus Gin und Tonic in seinem Plastikbecher zusammen, nahm einen intensiven Schluck, drehte seine Hand mit dem Becher vor seiner Brust ein und schaute mich an.

“Toto entdeckte, dass Elena wieder in Giancaldo lebte. Nach Alfredos Beerdigung traf er sie wieder und erfuhr, dass Alfredo einen großen Anteil damals nahm, dass sich Toto und Elena nie wieder sahen. Er erklärte Elena, sie sollte ihn vergessen, weil sowohl Toto als auch Elena ein eigenes Leben haben werden. Und Elena erklärte Toto, dass ihr Wiedersehen in Giancaldo der perfekte Schlusspunkt ihrer alten Liebesbeziehung wäre. Sie hätte ihr Leben. Toto sah das nicht so. 30 Jahre war er ohne längere Beziehung und in jeder Frau suchte er nur einen Ersatz für seine Elena von damals. Unverheiratet, ohne Kinder. Das Gegenteil von Elena. Toto hätte gerne die Beziehung wieder gestartet, aber für Elena war es eine Geschichte von damals. Toto fuhr zurück nach Rom, enttäuscht, weil er sah, dass er seine alte Liebe wieder gefunden hatte, aber seine alte Liebe sah ihn nicht als neue Liebe, sie hatte keine Zukunft. So sass er im Kino und ließ sich das Vermächtnis vom Filmvorführer Alfredo den Kussszenen-Film vorführen. Aber ihm war klar, dass seine Vergangenheit für immer Vergangenheit bleiben würde. Alle Hoffnungen der letzten 30 Jahre waren passé und es blieben ihm lediglich Kussszenen aus der Vergangenheit, an die er sich erinnerte.”

Er machte eine Pause und nahm erneut einen Schluck aus seinem Becher.

“Das ist der Unterschied zum Kino-Film?”

“Ich hatte den Film bestellt, weil ich über den Soundtrack gestolpert bin. Gestern traf er mit der Post ein.”

“Hm.”

“Vor vier Tagen erhielt ich allerdings eine andere Nachricht. Privat. Als ich jung war, hatte ich eine große Liebe. Ich liebte sie abgöttisch, verbrachte damals stundenlang damit ihr Liebesbriefe zu schreiben. Irgendwann hatte ich bemerkt, dass sie nicht mehr wollte, also hörte ich damit auf, schrieb nicht mehr. Aber dafür schrieb ich umso mehr in meinem Tagebuch über sie. Führte Dialoge mit ihr, erklärte ihr darin, was ich so tat und wie sehr ich sie verehrte. Sie lernte jemand aus meinem Bekanntenkreis kennen und heiratete ihn. So vor einem Viertel Jahrhundert. Er war erfolgreicher als ich, aber Eifersucht fühlte ich keine. Ich dachte mir nur, wenn sie irgendwann von ihm genug haben sollte, dann wäre ich da und dann könnten wir … Ein dummer Traum, dummer Jungentraum. Was soll’s. Ich hielt zu ihm noch Kontakt, denn er ist ein wirklich sympathischer netter Mensch. Aber zu ihr verlor ich den Kontakt. Sie reagierte nicht mehr auf mich. Aber das war mir egal. Ich hatte ja noch Kontakt zu ihm. Klar, ich war mir im Klaren, dass ich mit ihr niemals mehr zusammen kommen würde. Ich wollte der letzte sein, die ihre Ehe in Frage stellte oder sie zu etwas drängen würde. Vielleicht war dennoch insgeheim auf Rückkehr vorhanden. Aber mit jedem Jahr wurde das nur noch ein diffuser Traum. Nach dreißig Jahren erhielt ich jetzt von ihrem Ehemann die Nachricht, dass sich beide voneinander haben scheiden lassen und getrennte Wege gehen würden. Das einzige Bindeglied zwischen den beiden wäre nur noch deren beider Kinder.”

Er machte eine Pause. Ich schwieg. Er goss sich eine neue Mischung ein. Ich sah ihm dabei zu.

“Ich wusste nicht, wie ich auf seine Email reagieren sollte. Und dann kam der Film an. ‘Nuovo Cinema Paradiso’. The Director’s Cut. Nach zwei Wochen des Wartens. Ich schaute ihn mir an und es kam wieder alles in mir hoch. Alles von damals. Damals hatte ich die Kino-Version gesehen und ich sah Toto als mein Ebenbild an, so wie er für seine Elena von damals schwärmte. Unerreichbar und unkontaktierbar. Eine Erinnerung von damals aus seiner Jugend. Und dann sah ich den Director’s Cut.”

Er hielt inne, starrte vor sich hin, nahm einen Schluck aus seinem Becher und verzog sein Geischt.

”Warum muss dieser verdammte Director’s Cut das Ende haben, welches ich jetzt erlebe? Warum? Warum muss Film und Leben diese Parallelen haben?”

“Ruf sie doch an. Lass dir ihre Nummer von dessen Ex geben. Sie wird sich vielleicht freuen.”

“Du bist nicht ganz dicht, oder? Das, was ich damals erlebte, meine Liebe zu ihr, die ist passé. Wie die von Toto im Film. Das war kein 30 Jahren warten, das waren 30 Jahre bis zur Erkenntnis, was ich mit meinem Leben in der Hinsicht gemacht hatte. Warten auf etwas, was es gar nicht mehr gibt. Sie. Das Leben ging weiter und ich habe es verstreichen lassen für alte Erinnerungen.”

“Und das haben Sie erst durch die längere Version eines Filmes verstanden?”

Seine Blick war leer, in seinen Augen lag Leere, als er mich ansah. Und langsam fingen sie an zu schimmern. Er war dabei, in Tränen auszubrechen. Er nahm einen weiteren hastigen Schluck aus seinem Becher und blickte vor sich auf den Boden.

“Ja, vielleicht. Und? Ist das schlimm? Nur, als ich den Film bestellte, da dachte ich gar nicht an sie, da dachte ich nur an einen wunderbaren Film mit der traumhaften Musik von Ennio Morricone. An eine intensive Liebesgeschichte. An ein altes Kino in meiner Nachbarstadt, einem Kino mit großem Saal, in dem ich ‘Spiel mir das Lied vom Tod’ sah. Das Kino war alt und wurde abgerissen, um dort einen Parkplatz zu errichten. So wie in dem Film ‘Nuovo Cinema Paradiso’. Ich sah den Abriss, bevor ich aus der Gegend wegzog. Ich wollte nur eine alte Zeit der großen Kinosäle mit dem Film zurück holen. Aber dann erhielt ich die Mail und der Film traf ein.”

Ich nickte ihm verstehend zu. Zumindest versuchte ich mein Nicken das Attribut ‘verstehend’ zu geben.

“Wir müssen gehen. Dahinten kommen zwei Streifenpolizisten. Und es existiert noch das Kontaktverbot und die Ausgangsbeschränkung.”

Er nickte, verstaute seine beiden Flaschen in den Rucksack und stand auf, den Becher in seiner rechten Hand umklammert. Er war trunken und schwankte. Er drehte sich zu mich um und bemerkte noch:

“Und Alkohol ist doch eine Lösung!”

Dann schwankte er von dannen.

Die beiden Polizisten gingen an mir vorbei dem trunkenen Mann hinter her. Sie beachteten mich mit keinem Blick. Sie unterhielten sich locker entspannt über diesen sonnigen, sommerlich warmen 1. Mai.

Ich blickte vor mir auf den Betontisch. Der Tisch war wieder leer. Die Quadrate unbelegt. Das darauf eingravierte Spielbrett wartete auf seine Steine. Oder auf Schach-Spielfiguren, damit diese erneut aufgestellt werden. Für ein neues Spiel. Neues Leben. Neues Glück.

Nichts zu verbergen …

“… übermorgen ist der Elfte im Elften. Karnevalsbeginn.”

“Tag der Singles.”

“Was?”

“Übermorgen ist Tag der Singles. Der elfte Elfte ist Tag der Singles.”

“Quatsch! Der ist Karnevalsbeginn.”

Bernd zückte sein Smartphone, wischte ein paar Mal und hielt Karl darauf das Display unter der Nase.

“Da! Da steht’s. Kar-ne-vals-be-ginn! Dann beginnt der Karneval auch in München.”

“Haha. München und Karneval. Das ist wie, wenn ein Blinder über Farben redet. ‘Fasching’ nennt ihr euren Mist und vom Elften im Elften habt ihr zehnmal keine Ahnung, ihr Bazis”, blaffte Karl zurück, zog sein Smartphone hervor, wischte ebenfalls und hielt Bernd sein Smartphone hin, “Tag der Singles! Da. Lies. Singles’ Day. Wikipedia.”

“Oh! Du hast das neuste Flagschiff-Smartphone der Koreaner?” Gudrun hatte sich hinter Karl angenähert und ergriff Bernd seine Hand mit dem Smartphone und schaute sich das Smartphone an. “Schick. Und bist du zufrieden?”

Karl drehte sein Smartphone zu Gudrun. “Meines ist das Flagschiff der Chinesen.”

“Und ich habe das neuste Flagschiff aus Cupertino.” Janette war zu der kleinen Gruppe hinzugestoßen und hielt triumphierend ihr Smartphone in die Gruppe.

“Angeberin!” stöhnte Bernd übertrieben und verdrehte demonstrativ seine Augen.

“Nur weil es an deinem männlichen Selbstverständnis kratzt, dass eine Frau besser aufgestellt ist als du? Haste wohl nicht erwartet, nicht?”

“Na, seid ihr wieder beim sublimierten Schwanzvergleich? Wer das bessere Handy hat? Oder ist das nur wieder das Vorgeplänkel für dämliche chauvinistische Fußballplaudereien über Bayern Dümmlich gegen Borussia Dämlich?” Ursula hatte sich zu der Gruppe gestellt und schaute amüsiert in die Runde der Smartphone-Parade in den Händen der Gruppe.

“Janette ist mal wieder am rumstrunzen wegen ihres Obstknochens, dass sie letzten Monat gekauft hat”, grummelte Bernd genervt.

“Ach, Bernd, nur weil du dir kein Handy wie meines leisten kannst und nur so ein kleines Koreaner-Dingens hast, biste jetzt knurrig. Kauf dir doch nen Porsche auf Leasing, dann haste wenigsten passendes für deine Potenz.”

“Du denkst immer nur an Sex, oder? Janette, es kommt nicht auf die Größe an, sondern auf die Technik. Und in deinem steckt viel von meinem …”

“… und beide wurden in den Werken von meinen China-Handy zusammengebastelt!”, warf Karl triumphierend ein.

“China-Schrott”, antworteten Janette und Bernd gleichzeitig im Chor.

“Ihr mit euren Sexthemen. Was anderes: geht ihr am Elften im Elften auch zum Sankt-Martin-Umzug?” Ingrid hatte zuvor unbeachtet den Raum betreten und nutzte die Gelegenheit, das Gespräch in ruhigere Gewässer überzuleiten.

“Wo ist dein Klaus-Dieter?” schaute sie Ursula fragend an, Ingrids Frage ignorierend.

“Hier bei der Arbeit! Mein Drink ist schön, könnt ihr es sehn? Rabimmel, rabammel, rabumm.” Klaus-Dieter hatte den Raum durch die zweite Tür betreten und hielt einen Martini-Cocktail in seiner Linken. “Aha, die Technikerfraktion und die Frage, wer hat welches Smartphone wo schon mal gezeigt, woll? Gleich diskutiert ihr, wer zum Sankt-Martin-Umzug die bessere Laternen-App hat.”

Ingrid schaute entrüstet und indigniert gleichzeitig. “Klaus-Dieter, musst du jetzt schon mit dem Martini-Gesaufe anfangen? Kannst du damit nicht warten, bis wir’s schöner haben?” Bei ihr schien jetzt die Entrüstung zu gewinnen, ihr Gesicht signalisierte Ärger und ihr Kopf lief rot an.

Klaus-Dieter überhörte ihren Einwurf. “Leute, wenn ihr mit den Smartphonen so wedelt, ich hätte da mal nen Vorschlag. Wir machen jetzt das, was die bereits im Film gemacht haben.”

“Film? Welchen Film?” Janette schaute Klaus-Dieter fragend an.

“Er meint den Film ‘Das perfekte Geheimnis’ mit Elyas M’Barek, Wotan Wilke Möhring und so weiter. Der läuft gerade richtig erfolgreich im Kino”, erklärte Ursula.

“Ach den.” Karl schien sich zu erinnern.

Klaus-Dieter setzte ungerührt fort: “Jeder legt sein Smartphone entsperrt auf den Tisch und dann warten wir ab, was dann kommt. Alles ist offen. Und keine Geheimnisse.”

Schweigen.

“Was ist? Keine Lust?”

Karl schaute Gudrun an, Gudrun Bernd, Bernd Janette, Janette Ursula, Ursula wiederum Klaus-Dieter. Ingrid stand mit hochrotem Kopf daneben.

“Also, was ist?”

“Sag mal, hast du sie nicht mehr alle? Es geht niemanden etwas an, was auf meinem Handy reinkommt!” Ursula klang stark angefressen.

“Hast du ne Affäre?” fragte Gudrun lauernd zurück.

„Affäre? Was soll das? Ich habe ne Privatsphäre und die schütze ich. Das darf ich doch als mein Grundrecht ansehen, oder etwa nicht?”

“Sie hat ne Affäre. Wer isses denn? Der junge knackige Apfelhändler aus der Innenstadt?”

“Du hast was?” Klaus-Dieter schaute Ursula über sein Martini-Glas hinweg prüfend an.

“Ja, hab ich!”, gab Ursula patzig zurück. “Und? Interessiert das wen?”

“Der Apfelhändler aus der Innenstadt? Das ist aber MEINER!” brauste Janette unbeherrscht auf.

“Bernd, bist nicht du jener Apfelhändler aus der Innenstadt? Sagtest du nicht mal was von zwei heißen Schnittchen oder so?”, warf Gudrun unschuldig ein.

Es kam, wie es bereits im Film kam. Wortwechsel. Beleidigungen unter der Gürtellinie. Hass, Wut, Tränen. Janette und Karl kamen als Paar und verließen fluchtartig als frisch getrenntes Paar die Wohnung. Ursula rang erst um Fassung und rannte dann erbost schreiend hinter Janette her, um sich mit ihr irgendwie auf Frauenart zu duellieren. Bernd warf Ingrid verschwörerische Blicke zu, rief darauf Gudrun und Klaus-Dieter zu, Bernd und Ingrid würden versuchen, das Schlimmste bei den dreien zu verhindern. Aber das könnte dauern, sie sollten sich keine Sorgen machen. Bernd half Ingrid in ihren Mantel und beide rannten mutmaßlich den Streitenden als Streitschlichter hinterher. Hand in Hand, sich anlächelnd.

Klaus-Dieter schaute Gudrun an, prostete ihr zu und nippte an seinem Cocktail.

“Das klappte ja wie geschmiert. Gudrun, du bist die Beste. Ehrlich.”

Gudrun lächelte verlegen und näherte sich Klaus-Dieter. “Gut, dass deine Frau auch gegangen ist. Deine Idee war aber auch nicht von schlechten Eltern. Das Smartphone-Spiel aus dem Film. Super Idee.”

“Tja, es geht halt nichts über den monatlichen Gang ins Kino, Gudrun. Ich wusste nicht, dass dein Mann ebenso ein Streitschlichter-Gen wie meine Ingrid hat.”

Gudrun stand jetzt direkt vor Klaus-Dieter, Aug in Aug. Zärtlich streichelte sie ihm über die Backe. “Tja, da haben die beiden wohl etwas gemeinsam. Aber jetzt haben wir endlich unsere Ruhe. Und niemand wird uns stören. Wie spät ist es?”

“18 Uhr 25.”

“Oh, Mann, schnell, lass uns beeilen.” Sie ergriff seine Hand, eilte zielstrebig mit ihm in den Nachbarraum und zog ihn aufs Sofa. Er ließ es mit sich geschehen und schaffte es seinen Martini-Cocktail dabei so auszubalancieren, ohne etwas von seinem Cocktail zu verschütten. Er nahm noch schnell einen Schluck. Gudrun drehte sich zu ihm hin, lächelte und meinte hauchend, aber gleichzeitig drängelnd: “Du sitzt drauf!”

Klaus-Dieter griff zwischen seine Beine unter sich, zog die Fernbedienung hervor und zielte damit auf den Fernseher, drückte einen Knopf und das Standby-Licht des Fernseher wechselte von gelb auf grün.

“Klaus-Dieter, wenn ich daran denke, wir wären die nicht los geworden …”

“Grudrun, laß uns nicht über diese Fußball-Ignoranten weiter nachdenken. Die hätten uns die Live-Übertragung wohl hunderprozentig vermasselt. Das sind alle Fußball-Party-Crusher!”

“Still jetzt. Bayern gegen Dortmund. Ich tippe auf 3:1 für Bayern.”

“Sssht! Es beginnt. Dortmund gewinnt 1:2!”

“Guten Nabend meine Damen und Herren zur Übertragung des Samstagabend-Spiel live aus der Münchner Allianz-Arena. Zum echten Männerfußball der Fußball-Bundesliga Bayern gegen Dortmund  … .”

Computerkugeln auf Kreisbahnen

Ein Film, der zwischen zwei Sätzen spielt.
Gerichtet an den Zuschauer.

Mein Name ist Wesley Gibson. Mein Dad hat meine Mutter verlassen, als ich sieben Tage alt war. Würde mich interessieren, ob er mal in meine babyblauen Augen geblickt und sich gefragt hat: Hab ich das unbedeutenste Arschloch des 21. Jahrhundert gezeugt?

Danach ein Selbstfindungstrip über Schläge, Heilbäder, in Kreisbögen geschossene Kugeln und die Regeln einer Bruderschaft. Dabei auch der berühmte Star-Wars-Satz: „Ich bin dein Vater.“ Ohne den Zusatz „Luke“, das versteht sich.
Und immer wieder Kugeln, die in Kreisbahnen fliegen. Und dann noch eine, die den Wesley Gibson umkreiste. So wie der Mond die Sonne. Trabantengleich.
Und zum Schluss des Films:

Ich bin es, der sich die Kontrolle über sein Leben zurückholt. [den Zuschauer anblickend] Was zum Teufel hast DU in letzter Zeit getan?

Klar, angesichts der rasanten Filmhandlung habe ich „nichts“ getan.
Aber warum steigt dann der moralisierende Zeigefinger in mir hoch? Dieser ewige Mahner, der zu sagen scheint, dass kein Selbstfindungsprozess so verlaufen soll, wie der des „Wesley Gibson“ im Film „Wanted“?

Aber warum denn eigentlich nicht?

„Matrix“, „Fight Club“ und „Clockwork Orange“, ich hab sie mir alle am gleichen Abend ausgeliehen. Sie lagen dann schon auf meinem Fernseher. Zuerst wollt ich aber noch ein wenig cnn und den Rückblick auf die Krisenherde dieser Welt anschauen.
Dabei bin ich eingeschlafen. Leider zu unruhig. Eine Mücke surrte mir um den Kopf. Versuchte sie im Halbschlaf zu erschlagen. Habe mir dabei mehrfach aufs Ohr gehauen. Die Mücke kreiste weiterhin um mich herum. Mit angeschwollenen Ohren bin ich aufgewacht.

Heute musste ich die DVDs zurück bringen.
Na gut, dann halt am nächsten Wochenende. Wer will schon „das unbedeutenste Arschloch des 21. Jahrhundert“ sein, wenn sich alle Gewehrkugeln wie Trabanten um die eigene Person bewegen können?

Aber verdammt!
Seit wann dürfen Mücken in solche Filme und sich dann wie die Gewehrkugeln in „Wanted“ benehmen?

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Mitten aus dem Leben: "War das etwa witzig?"

Quentin Tarantino ist eine Sache für sich. Man mag ihn, liebt ihn, versteht ihn einfach nicht oder hasst ihn einfach nur.
Als „Reservoir Dogs“ erschien, lief er mit nur wenig, aber steigender Beachtung an. Ich sah ihn erst viel später.
„Pulp Fiction“ war der Knaller. Es dauerte fast ein Jahr, bis ich ihn mir anschaute. Ich war begeistert, denn meine Erwartung eines Mainstream-Filmes wurde gnadenlos enttäuscht.
Als dann 1996 „From Dusk Till Dawn“ erschien und ich in den morgentlichen Nachrichten las, dass Tarantino diesen Film vom Regisseur Robert Rodriguez produziert hatte, war für mich klar, dass ich in die Vorstellung des ersten Tages musste. Dabei ist „From Dusk Till Dawn“ kein Tarantino-Film. Und dass er dabei auch noch mitspielte, dass hatte ich gar nicht wirklich mitbekommen.
Ich gebe zu, dass mich das deutsche Kino-Plakat mit seinen Untertitel animierte. Es war ein Wort, welches den ganzen Film passend charakterisierte und aus vielen Adjektiven zusammengesetzt war. Ein Monster-Wort zu einem Monster-Film. Passend für das Leben der beginnenden Nacht. Ein 20:00 Film „frei ab 18“. Das pralle Kinoleben.

'Original_Ticket' von Careca

So saß ich denn ab 20:00 im Kino in den unteren Rängen und harrte den Dingen, die da kommen sollten. Ich dachte, es wäre ein „Quentin Tarantino“. Aber was kam war ein „Robert Rodriguez“. Es waren annähernd geschätzt 10, 12 Leute im Kino, welches ungefähr 400 Leute fassen konnte und die größte Leinwand Aachens hatte.
Der Film begann und schlug einen Bogen über Road-Movie hin zum Splatter-Film. Der Spannungsbogen war so brutal, dass es nicht nur mich aus den Sessel haute. Offenbar erging es vier, fünf Leute ebenso wie mir. Anfangs voll atemloser Spannung kippte die Handlung im Titty Twister nach der „Pussy-Show“.

Ab dem entscheidenden Satz von George Clooney „War das etwa komisch?“(*), kurz bevor der Grinsewilli von den Gebrüdern Gecko gemeinsam gesiebt wurde, da schwenkte der Film in ein anders Film-Genre um.
Und alles das, was danach geschah, wurde nicht nur von mir mit genüßlichem Gelächter quittiert.

Es gilt dabei zu bedenken, dass wir Lachenden nicht die einzigen im Kino waren. Es gab da auch die von den zehn, zwölf Zuschauern, die ganz offenbar das weniger witzig fanden.
Aber das war mir so etwas von egal.
Ich krallte mich im Kino-Polster fest und hatte Mühe beim krallen, vor Lachen nicht vom Stuhl zu rutschen.

Als der Film dann zu Ende ging, und die Totale die Müllhalde hinterm „Titty Twister“ zeigte, rutschte ich vor Lachen nun wirklich beinahe vom Kinsosessel (schlechtes Polster halt). Und nicht nur ich allein hatte dieses Lach-Problem, wie ich bei jemanden paar Reihen links vor mir bemerkte.

Der Abspann lief, das Licht ging an und rechts zwei Reihen vor mir standen vier Leute auf. Zwei Pärchen alteren Alters so um die vierzig. Absolut seriös und humorresistent, wie ich damals fand. Sie zogen während des Abspanns gefließentlich ihre Jacken an. Aber einer drehte sich mit leicht säuerlichem Gesicht direkt zu mir, den Lach-Belästiger, um und blaffte mich für jedermann laut und vernehmlich an:

„War das etwa witzig?!?“

In jenem Augenblick konnte ich mich wirklich nicht mehr vor Lachen halten. Ich rutschte buchstäblich lachend vom Sitz. Und hinter mir ging von den anderen fünf oder sechs Leuten eine verschärfte Lachsalve los.
Ja, ich fand die Frage oberwitzig. :> :>> :>

Sorry für mein Lachen, liebe Leute von damals, dass ich den Teil der blutrünstigen Splatterhandlung vom Film nicht wirklich ernst nahm. Vielleicht hättet du mein Lieber Anblaffer nicht den Film für deine Frage zitieren sollen … :>

Aber das musste sein! :>>


— ********


(*) P.S.:
Der wirklich letzte Satz des Road-Movie-Teils vom Film hieß freilich nicht „Do you think that was funny?“ sondern „Sit down!“. Und dann begann der Splatter-Teil.

P.P.S.:
Wie ‚Senator Film Verleih‘ mitgeteilt hat, startet „Planet Terror“, der zweite Teil der Tarantino/Rodriguez Filmreihe „Grindhouse“, nun erst am 04. Oktober 2007 in den deutschen Kinos.
Schade eigentlich. Als „Double Feature“ wird das Gemeinschaftsprojekt Rodriguez/Tarantino dann wohl erst im November laufen.

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Locker, lässig, lasziv, … Quentin is back! … Bein ab …

Locker_laesig_Bein_ab

Es gibt im Leben eine ganz zentrale Frage:

Darf man beim Fahren als Beifahrer in einem Schiff von Auto seine Füße locker, lässig, lasziv aus dem Fenster strecken und das Gefühl haben, wie der Fahrtwind an den rasierten, langen Beinen entlang streicht und wohlig die eigene knallenge Jeans-Pants aufbläst?

Die Frage ist eigentlich völlig nebensächlich, wenn man zur Beantwortung dieser ins Kino geht und der Regisseur Quentin Tarantino heißt.
Tarantino Filme sind keine leichte Kost, so zwischen Salzgebäck und Bier. Man benötigt schon eine ganz gehörige Portion Lässigkeit, um sich auf Tarantinos Filmwelten einzulassen. Man kann warten bis seine Filme im Fernsehen gezeigt werden, muss sich dann aber darauf einstellen, dass zuvor aber fleißig am Film geschmackskontrollenmäßig herum geschnibbelt wird.
So erging es „Reservoir Dogs“, so erging es „Pulp Fiction“ und „Jackie Brown“, so wird es auch noch den zwei Filmteilen von „Kill Bill“ gehen.
Inzwischen verbindet Quentin Tarantino eine starke Bande mit Roberto Rodriguez. Der hatte damals das geniale Werk „From Dusk till Dawn“ herausgebracht, was ja viele gerne Quentin Tarantino unterschieben. Dabei war Tarantino nur Produzent und zweiter Hauptdarsteller (direkt nach George Clooney).
Roberto Rodriguez und Quentin Tarantino haben sich mal wieder zusammen getan und ein Double-Feature-Movie im Grindhouse-Stil herausgebracht. Leider konnte weder das amerikanische Publikum noch die amerikanische Filmindustrie richtig mit dem Grindhouse-Stil etwas anfangen, also wurden die Filme getrennt aufgeführt.
Tarantinos Filmteil heißt „Death Proof“ und ist gerade in den deutschen Kinos angelaufen.
„Grindhouse-Stil“ an sich ist auch hier nicht wirklich ein Begriff. Man stelle sich vor, man nehme alte, schon in diversen Kinos gelaufene Russ-Mayer-Filmerollen und packe sie in ein Tagesprogramm und zeigt es dann so eine Woche lang. Dann hat man eine Woche lang ein Kinoprogramm mit seltsamen Farben und unheimlich vielen Filmschäden.
Grindhouse-Stil-Kinos waren die ARI-Kinos in den deutschen Bahnhöfen, wo zu guter Letzt nur noch Jodel- und Billig-Pornos im Non-Stop-Betrieb gezeigt wurden. Damals noch zur Unterhaltung einer bestimmten bahnreisenden Klientel gedacht, hat irgendwann die Deutsche Bahn diese Kinos mit Schmuddel-Image aus ihren Gebäuden geschmissen.

Zurück zum Film:
„Death Proof“ ist mal wieder ein gutes Stück Tarantino. Der Inhalt lässt sich schnell erzählen, aber darauf kommt es bei seinen Filmen nicht wirklich an. Hatten noch in PULP FICTION die Männer die coolen lässigen Sprüche auf Lager, so sind es hier die Frauen, die den Männern jeglichen Schneid abkaufen und jeden männlichen Satz blass aussehen lassen.
Kamerafahrten sind Tarantinos Blickwinkel. Eine frau bückt sich und die Kamera ist fasziniert von ihren knackigen Po, hält drauf zu und weicht im letzten Augenblick aus, nur um dorthin zu schauen, wo die Frau hinschaut.
Oder Tarantinos Gastauftritt als trinkender Bartender erinnert an „From Dusk till Dawn“.
Eine zweite Reminiszenz an „Kill Bill“ gibt es ebenfalls. Der amerikanische Polizist mit seinem „Sohn Nr. 1“ taucht auch wieder auf und nervt eine Krankenschwester. Ob er mit seinem Sohn auch im nächsten Tarantino-Film wieder mit machen darf?

Der Film ist eine Empfehlung meinerseits. Nur mit dem eindeutigen Hinweis, der Film ist nicht wirklich „Frei ab 16“. Selbst „Frei ab 18“ erweckt falsche Eindrücke, denn einen nackten Menschen in Paarungssituation gibt es ebenso wenig wie nackte Menschen.
Aber dafür recht viel nacktes Bein. Manchmal auch allein auf dem Asphalt einer Straße blutig vor sich hintropfend. Das ist halt Tarantino wie wir ihn haben wollen. Spiel mit den Gedankengängen der Zuschauer.

Zurück zu der Eingangsfrage.
Eine wirkliche Antwort gibt der Film auf diese Frage nicht. Aber nach diesem Film wird man so schnell seine Beine nicht mehr aus dem Beifahrerfenster stecken wollen …

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