Ertrage die Clowns (16): Kann ich nicht beurteilen, muss ich nackt sehen

Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:

„Ertrage die Clowns!“

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A: “Anderes Wort für Pink Floyd?”

B: “Anderes Wort? Ich verbinde damit in einem dunklem Raum zu sitzen, die Musik zu hören und meinen Gedanken und Imaginationen freien Lauf zu lassen. Statt Drogen einzupfeifen.”

A: “Schön, du 70-ger Jahre Adept. Hattest wohl kein Taschengeld für LSD oder so gehabt, he? Zu arm gewesen, oder was. Für ne LP hatte es gereicht, für nen ‘Schwarzen Marokkaner’ aber nicht mehr, oder? Trotzdem. Ein anderes Wort für Pink Floyd?”

B: “Roger Waters?”

A: “Hm. Könnte passen. Noch ein Versuch.”

B: “Antisemitismus?”

A: “Der Kandidat hat hundert Punkte!”

B: “Wish you were here.”

A: “Was?”

B: “Wish you were here.”

A: “Money?”

B: “The dark side of the moon.”

A: “The dark side of the wish-you-were-here-money! Hey, Roger Waters will nur Geld scheffeln und Antisemitismus verbreiten.”

B: “Hm.”

A: “Isso.”

B: “Sagt wer?”

A: “Frankfurt. München. Immer regiert mit den Grünen.”

B: “Ist also eine politische Erzählung?”

A: “Quatsch. Es geht um Antisemitismus.”

B: “Wow.”

A: “’Wow’ wieso?”

B: “Another brick in the wall!”

A: “Richtig! Die Grünen mal wieder! Bauen die Mauern der Rechten. Früher schon und heute nicht besser als damals.”

B: “Sagt wer von den politischen Gruppierungen?”

A: “Äh, die Grünen. Und sogar von der SPD.”

B: “Die uns vor Pink Floyd schützen wollen?”

A: “Nein, sondern vor Roger Waters, den Antisemiten.”

B: “Antisemit? Wieso?”

A: “Liest du keine Nachrichten? Internet-Verweigerer? Sagt sogar der Zentralrat.”

B: “Zentralrat. Ist die Erwähnung dieses Gremiums als Argument zu eigenen Argumentationslogiken an sich nicht auch potentiell antisemitisch?”

A: “Hast du Lack gesoffen? Bekloppt oder was?”

B: “Ist es nicht verdächtig, dass Parteispektren von CDU, CSU über FDP bis hin zur AfD als Zeugen für Roger Waters Antisemitismus den Zentralrat zitieren? Jene Söders, Maaßens, Wagenfelds und Höckes, die schon immer gegen das angeblich deutsch-widersprechende wettern? Die nur von zwölf bis mittags denken und die Zeit dazwischen mit Shitstorms füllen?”

A: “Nein, denn wie sagen wir im Deutschen: blinde Hühner finden auch mal ein Korn. Blinde Hühner wie Habeck, Baerbock, Özdemir, Hofreiter oder Aiwanger aber eher nicht.”

B: “Ist es nicht verdächtig, dass sich blinde Hühner immer an jenem Korn besaufen, dass sie sich einschenken, und es dann als Ideal eines Mutterkorns von Vater Staat für ihre Kinder deklarieren? Nur um damit ein ‘Another brick in the wall’ als Widerstandsanführer einer imaginären Opposition zu flöten?”

A: “Ach, hömma! Seit wann ist es überhaupt illegal, blind zu sein und Mutterkorn zu saufen? Wir leben immer in Eigenverantwortung! Das ist das, was jeder zu verantworten hat. Eigenverantwortung, sowas ist nie und nimmer illegal. Somit ist es rechtmäßig.”

B: “Rechtmäßig? Maximal anders ausgesprochen, als ‘recht mäßig’. Und dann besser als ‘rechts’ und ‘mäßig’. So etwas geht nur als Westfale mit der Spezialität, Münsterländer zu sein. Bayer bissu nicht. Bissu?”

A: “Und? Hast du diesen Qualifikationsnachweis?”

B: “Verbrieft. Geburtsurkunde.”

A: “Ah, ein Übermensch. Wir Untergebene der Rest der Welt verneigen uns vor dir.”

B: “Und?”

A: “Du redest Müll, will ich dir damit sagen. Lass uns stattdessen in den rhetorischen Diskurs über ‘Cancel Culture’ einsteigen.”

B: “Niemals. Eher sage ich, dass die Siedlungspolitik des Staates Israels extrem kritisch betrachtet werden muss, als mir mit rechtsradikalem ‘Cancel Culture’ aus der falschen Ecke den Mund verbieten zu lassen.”

A: “Antisemit!”

B: “Echt?”

A: “Genauso wie Roger Waters. Der behauptet auch, dass der Ukrainekrieg nicht ausschließlich zu Lasten des russischen Staates geht.”

B: “Echt? ‘Cancel Culture’? Auf Kosten der Toten?”

A: “Hömma! Jeder Kultur einen Totenkult.”

B: “Und sei es einen mit Fackeln überm Königsplatz in München.”

A: “Machst du jetzt auf Pazifismus-Opportunist a la Schwarzer und Wagenfeld?”

B: “Gebt den Toten eine Stimme. Sie können dagegen nicht protestieren.”

A: “Wer lebt hat immer recht. Wir leben, wir reden.”

B: “Wer überlebt, hat überrecht.”

A: “Jeder Schwachsinn hat seinen Superlativ.”

B: “Und für jeden Starksinn einen Diminutiv.”

A: “O si tacuisses, philosophus mansisses.”

B: “Wie belieben?”

A: “Übersetzt: ‘Fick dich ins Knie, du Genie’. Schweige jetzt, oder rede nimmer!”

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(screenshot aus einem Youtube-Video vom Auftritt von Roger Waters in Lissabon 2023)

Ertrage die Clowns (15): Gebt mir etwas Wahrheit! Power to the people! … Abspann

Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:

„Ertrage die Clowns!“

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Triggerwarnung:

Der folgende Inhalt der folgenden Serienzusammenfassung wurde von führenden Bloggern Deutschlands und einer weiteren, ungenannten Blogger-Community für einige Zielgruppen als unangemessen oder beleidigend eingestuft. Für jüngere oder sensible Leser ist daher nachfolgendes nicht zum einfachen Konsumieren geeignet. Das gilt im Übrigen nicht nur für Leser, sondern auch für Leserinnen. Das sagte mir gerade mein Obergeschmackskontrolleur, irgend so ein Fritze im März, per SMS, WhatsApp, Telegramm und zusätzlich analoger Flaschenpost.

Gattung: Serie; Kaugummi fürs Großhirn; tägliche Lebensbeschäftigungsgrundlage

Arbeitstitel: Hast du die kleinen Schweinchen gesehen, wie sie sich im Dreck suhlen, den sie sich von den anderen um das Drecksloch Stehende anrühren ließen?

Geplanter Serientitel: Weißhemden in Blue-Jeans

Verwendeter Serientitel: Sauber gestärkt.

Inhalt der Serie: Der Zuschauende einer Serie, monatelang eingeseift von der Seifenoper-Handlung mit einer diffusen Botschaft auf Liebe, dass man die nächste Folge nicht verpassen sollte, auf Glauben, dass alles gut werde, und auf jene unscharfe Hoffnung, dass die nächste Folge die letzte sei.

Hauptdarsteller:

  • Verklemmte, kurzsichtige, engstirnige Heuchler.
  • Engstirnige, herablassende, Mamas kleine Chauvinisten.
  • Neurotischen, psychotische, starrköpfige Politiker.

Nebendarsteller:

  • Kurzhaarige, bärtige, kahle, feige Söhne & Töchter von Tricksern.
  • Schizophrene, egozentrische, paranoide Prima Donnas.
  • Quertreibern ohne bedeutende Anstellung.
  • Genschernde, södernde Menschen im März ihres Lebens …

Spezieller Auftritt: InfluencerIn mit Einfluss; ManipuliererIn zweiten Grades; degradierte Persönlichkeiten des öffentlichen Gebens und Einschenkens; Hitler und Stalin für Arme

Uncredited: Jane and John Doe, Instant Karma, Bugalow Bill, rockiger Waschbär, Gesamtheit der Sexy Sadies aller Religio-Theken-Gemeinschaften

Skripter: Abwechselnd immer einer der Hauptdarsteller; aushilfsweise ErzieherInnen, pensionierte LehrerInnen und ErnährungsberaterInnen mit pädagogischen Fernzielen für eine mündige Gesellschaft auf Basis von deren eigenen Zielen.

Psychologische Beratung: Ehemalige Studierende (Zielgruppe U40) mit akademischem Grad ( Ü4,0) aus dem unscharfen Bereich “Medizin”, welche Hauptdarstellern per Rezept jegliche hirnlich anstrengende Betätigung verboten hatten, um bei denen einen Hirnschlag zu vermeiden;

Show Runner: Hans Dampf in allen Gassen, Kleingeist, Hanswurst, dummer August, Komiker, Schießbudenfiguren, EKG-positive Phrasendreschmaschinen aus garantiert akkreditierten deutschen Freiland-Parlamenten ohne Bodenhaftung oder Straßenkleber, Sackgassenstraßen-begehende Dämlacke der Straße, wenn diese nicht von Straßenkleberterroristen verklebt wurde

Best Girl/Boy: Ob-La-Di, Ob-La-Da (Remastered 2009)

Best Gaffer (= Bester Chefbeleuchter): Immer jene Person mit dem niegelnagelneustem Smartphone von Apple oder Samsung

Kamera und Schnitt: Menschen so wie du und ich … hm. Okay, nicht richtig. War falsch. Menschen eher wie du als wie ich einer, der kein Hirn zum Schreiben von Unsinn hat …

Credits: Copyright liegt eindeutig bei mir; alternativ dann bei derjenigen juristischen Person, die mir 1000 K€ auf mein Bermuda-Dreieck-Konto überweist …

Strange days indeed.

Ertrage die Clowns (14): Panta rhei, alles fließt im Land der Zäune mit fehlenden Latten …

Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:

„Ertrage die Clowns!“

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Stellen wir uns doch mal eine essentielle Frage:

»Was ist ein Fisch?«

Als Antwort könnte dann kommen: »Das ist ein Lebewesen, was im Wasser schwimmt.«

»Der Kandidat hat richtig gelöst, der Kandidat hat hundert Punkte«, sprach der Pastor, warf das groß gewachsene Ferkel in den Fluss, lies es dort ersaufen, betrachte den schwimmenden Kadaver, lies ihn herausholen und segnete es mit den Worten »Ego te baptizo carpam!« und erklärte dann den versammelten Teilnehmern der Feier:

»Schmeißt den Grill an! Das Tier hat geschwommen, wie ein Karpfen, das Tier ist ein Fisch! Mahlzeit!«

Die Gesundheitsapostel steckten dem toten Tier noch einen wurmfreien Apfel ins Maul und das Gesinde hatte den Kadaver aufzuspießen, einzupinseln und überm Lagerfeuer den Privilegierten mundgerecht zuzubereiten.

Und damit auch die Dümmsten des niederen Volkes es verstanden, wurde denen eingebimst »Fisch ist kein Fleisch«. Der Fisch diente den ersten Christen schließlich als Erkennungssymbol bei den Römern. Und Symbole sind nie fleischig. Ein Fisch schwamm im Flüssigen. Ob mit oder gegen den Strom, das war unwichtig. Wichtig war nur, das Flüssiges das Fasten nicht bricht. Womit die Bayern dann ihr Starkbier als Fastengetränk vermarkteten. Weiterlesen

Ertrage die Clowns (13): Huh, because I’m happy

Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:

„Ertrage die Clowns!“

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“Alter?”

“54.”

“Familienstand?”

“Ledig.”

“Zumindest geschieden?”

“Nein.”

“Kinder?”

“Null.”

“Glücklich?”

“Ja.”

„Wie?”

“Ja.”

“Was ‘ja’?”

“Ja wie ja.”

“Sie wollen mich vergackeiern?”

“Nein.”

“Hört sich aber so an. Nochmals von vorne. Verheiratet? Kinder?”

“Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Ja. Ja.”

“Was ‘nein’?”

“Weder verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, verkindert. Und glücklich.”

“Wofür stand das letzte ‘Ja’?”

“Ob ich Hedonist bin.”

“Aha. Also Ballermann all night long, was?“

“Wie bitte?”

“Sie sind garantiert einer dieser Urlauber, die sich verantwortungslos daneben benehmen, wenn sie rausgehen. Sei es Leopoldstraße, Berlin-City, Ibiza, Balearen, Ballermann, Las Palmas, Kanaren, Cap d’Agde, Oktoberfest, Ibiza.”

“Ich verstehe nicht. Sie erwähnen so völlig indiskret meine Verhältnisse und Destination. Ist das üblich?”

“Ledig, unverbandelt, ohne Verantwortung, in den 50ern mit 50mal 200er-Viagra im Gepäck, ohne Nachdenken ob der Probleme von Familien. Hirn frei, aber feierwütig. Und dann alles ohne Mundschutz. Und Bussi Bussi.”

“Heißt es nicht ‘Feiern in Bayern’? Wer braucht dazu plärrende Kinder, die einem die ganze Feierstimmung auf im heißen Wasser platzende Weißwürste reduzieren?”

Er holte Atem: ”Ganz am Rande meine Meinung: Echt gut, dass bald eine Vermögenssteuer für Singles eingeführt werden soll. Bin ich voll für.”

“Wer will das?”

“Ich. Und viele andere werktätigen, rechtschaffende deutsche Bürger, die Familie haben. Die jeden Euro umdrehen müssen, weil die Corona-freien Länder so weit weg sind zum Urlauben, weil unverantwortliche alte weiße Sackgesichter Ü50 wie Sie die klassischen Urlaubsgegenden mit Covid-19 verseuchen..”

“Soso.”

“Jaja. Jetzt ist mal Schluss mit der billigen Bums- und Feiermeile aufm Ballermann. Einfach feiern und Bier saufen, während …”

“… unsere Soldaten und Jungs in Afghanistan oder sonst wo erschossen werden?Recht so.”

“Wie meinen?”

“Dass Kriege mehr Opfer fordert als Covid-19, aber keine Sau wegen einem Krieg jemals einen Lock-Down hier durchgeführt hat, wenn im Bundestag Bundeswehrmandate für Auslandseinsätze verabschiedet wurden.”

“Was hat das mit einer Pandemie zu tun, Sie elender Honk von Ritchie Rich? Haben wir hier Kriege in Deutschland, Sie Tatsachenwämser? Ihr Whataboutism nervt!”

“Die größte Pandemie dieses schmutzigen Klumpens Weltraumsdreck mit humaner Atmosphäre ist das Virus des Bellizismus.”

“Oh Gott. Schon wieder so ein weltenentrückter und weltfremder Pazifist. Könnt ihr euch nicht eigentlich alle eine Rakete Richtung Mars kaufen? Dann wären wir euch Pazifistengesocks für immer los. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, wie viel Leben unsere Bundeswehr bewahrt hat? Ohne den Armeen dieser Welt gäbe es mehr ungerichteten Mord und Totschlag als ohne.”

“Lassen Sie Gott aus dem Spiel. Um Himmelswillen, das hat den Soldaten mit deren Koppel in Stalingrad damals auch nicht das Leben gerettet.”

“Arschloch!”

“Because I’m happy. Falls Sie überhaupt wissen, was happy ist.”

“Ich weiß, was Glück ist, aber deswegen werde ich nicht applaudieren, nur damit Sie besoffen, fickend und glücklich überm Ballermann wanken können, um alle mit Corona zu infizieren! Nochmals! Wir sind hier hart arbeitende Menschen, denen es nur gut geht, wenn es unserer Wirtschaft gut geht. Ohne gut gehender Wirtschaft, ist Glück lediglich eine Illusion zwischen dem Ausfüllen zweier Lottoscheine und der Ziehung im Fernsehen.”

“Das haben Sie aber schön gesagt. Und wohin geht die Wirtschaft, wenn es ihr gut geht? Schon mal drüber nachgedacht?”

“Nee, nö. Solche wie Sie gilt es zu bekämpfen. Wer Sie als Freund hat, braucht keine Feinde mehr. Es kann nicht sein, dass das Glück des Einzelnen wie Ihrem dem Glück aller entgegensteht.”

“Warum denn nicht?”

“Ins Hirn geschissen, oder was? Die Kette ist nur so stark, wie ihr schwächstes Glied es ist!”

Ich nickte freundlich aufmunternd dem jungen Mann am Schalter zu. Es erfreute mich, dass es offensichtlich mehr differenziert denkende Menschen in systemischen Jobs gibt, als ich dachte. Nun gut. Jener war nicht gerade ein ideal mündig denkender Bürger, weil er mein bescheidendes großes Vermögen in Frage stellte, aber er war immerhin auf den Weg dahin. Er musste halt noch lernen. Junger Hüpfer.

Zumindest war er jemand, der meine Interessen nicht gleich in Bausch und Bogen verdammt hatte. Und das, obwohl er locker erkennen konnte, wie viel mehr ich als er verdiene. Ihm musste doch beim Check-In aufgefallen sein, dass sein Jahresgehalt gerade die Charterkosten meines Jet decken würden. Nur, dass er deswegen nicht gleich die Revolution ausgerufen hatte, das hielt ich ihm als Bonus entgegen. Kein Revoluzzer eben. Den Sozialismus in seinem Lauf kommt  für mich weiter eine Stufe weiter rauf, dank der unermüdlichen, systemischen Servicekraft am Check-in …

Ich nahm mein Smartphone und telefonierte, ob mein Charterjet gen Ibiza schon vollgetankt wäre und ließ den planlosen Meckerer am Check-In allein in seinem München zurück.

Auf zum Feiern in erlauchter Runde. Senhor St. Rache hatte sich auch zu Besuch gemeldet. Er benötigte mal wieder ne Auszeit von den Journalisten, schrieb er mir per Threema. Ein paar sexy Doppel-D-Russinnen oder langhaarige Rumäninnen als Serviererinnen könnte er sich nach der geschäftlichen Besprechung vorstellen. Nur vorher sollten jene gefälligst mittels PCR kontrolliert werden, ansonsten könne er nicht kommen. Seine Frau ließe das nicht zu. Sie wolle schließlich nicht 14 Tage in Quarantäne wegen seiner Feierei …

Ertrage die Clowns (11): Das Leben mit anderen wie in einem Gemälde

Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:

„Ertrage die Clowns!“

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Wenn die Kneipe das reale Leben spiegelt, dann ist das Kino die Projektion der Leidenschaften. In besonderen Kinos kommt es immer wieder zu besonderen Begegnungen. Cineastisch gesehen verschmelzen in solchen Lokalitäten Kneipe und Leinwand, während der Film in Endlosschleife zusammen mit dem Leben dieser Welt einem am Auge vorbeiläuft. Jeder Regisseur dieser Welt würde sogleich seine Handkamera aus der Hosentasche hervorholen, um diese reale Wirklichkeit eins zu eins abzufilmen: verwackelt, unglaublich simple Dialoge mit unbändiger Intensivität, Farben wie aus einer billigen Waschmaschine, das ganze weder in 4K noch in FHD, dafür lediglich gefilmt in der Auflösung alter 8-mm-Filme. Ein neuer Film im Stile von “Blair Witch Project”.

“Weißte”, würde dann der erste Amateur-Schauspieler sagen, mit einem Auge auf Leinwand und Publikum schielend, das andere an seinem Gegenüber klebend, das schmierige Gesicht einem direkt zugewendet, “weißte, in unserer Lebensgemeinschaft sind wir Full-Swap-Swinger, nicht wahr, also so mit allem drum und dran, und wir sind uns auch für alles ohne auch nicht zu fies vor, wir testen uns ja regelmäßig und sind gesund, also sind wir sauber und darum nur echtes Full-Swap, verstehste, wir lieben das Leben und warum sollten wir es darum nicht auskosten, nicht wahr, aber diese Sache mit dem Virus momentan, glaub mir, in den Medien wird gelogen was das Zeug hält, alles nur Hysterie und Panikmache, weder neutral noch objektiv, die Medien sind doch das Sprachrohr der Regierenden, muss man denen nicht glauben, was die so verzapfen, genauso das wie mit der Klimakrise, alles gemachte Panik, Waldsterben, Ozonloch, Sars, Klimakrise, vermeintliche Bedrohung durch marodierende Rechtsradikale, Kassenbons für Brötchen, Bienensterben, Ausländerreserviertheit, Kritik an erfolgreiche Großunternehmer und Organisationen in Fußballstadien und so weiter und so fort, denk doch mal, das sagen die doch nur, um vielleicht von brisanteren Themen abzulenken.”

“Die wären?”

“Begreife einfach, das dies nur dazu dient, die Menschen in der EU von anderen Themen abzulenken, schau mal nach Griechenland, was da abgeht. Da werden Menschen und Systeme gepämpert und gebauchpinselt, da erhalten die Menschen die Butter, die man uns nicht auf dem Brot gönnt, da schafft man denen das Paradies auf Erden, während man uns hier durch unsinnige Verbote und Meinungsmache klein halten will. Man will uns unseren Stolz nehmen. Und wenn dann etwas einem etwas demokratisches nicht passt, einfach das Gegenteil machen. Erinnert mich an Erfurt und die Wahl zum Ministerpräsidenten. Da hat den Regierenden auch nicht gepasst, was das Souverän des Volkes als Stimmabgabe ausgedrückt hat und was in Folge zuerst parlamentarisch gewählt wurde.”

Der Regisseur würde sofort umschwenken, die nächste Szene suchen, etwas aus einem Gemälde wie von Hieronymus Bosch. Ganz im Sinne des christlichen Abendlandes würde er versuchen, jede der sieben Wurzelsünden kamera- und dialogtechnisch abzubilden: Hochmut, Habsucht, Neid, Zorn, Wollust, Selbstsucht, Ignoranz.

Aber seine Suche wäre zwecklos, denn am Markt käme er damit nicht durch, würde mit seinem Kurzfilm zu den sieben Wurzelsünden keinen Erfolg zu haben. Niemand würde das sehen wollen. Auch wenn der Film sich eines Vergleichs zu “Blair Witch Project” nicht scheuen müsste.

Anfangs wäre er verzweifelt, weil es niemanden interessiert oder keiner hinschauen mag, nach kurzer Zeit würde er aber erkennen, dass es gerade die nachhaltige Praktizierung der Wurzel”sünden” dazu führt, was ein Leben ähnlich in einem Gemälde von Hieronymus Bosch dieses eben erst ermöglicht. Wer so etwas nicht explizit und ausführlich praktiziert, der wird gesellschaftlich an das bittere Ende der sozialen Hackordnung eingereiht.

Der Regisseur würde sich zurückziehen und bitterlich weinen und dann in eines der Kinos gehen, in der Leinwand und Kneipe miteinander verschmelzen, sich die Szenerie anschauen, sich wie in einem Gemälde von Hieronymus Bosch fühlen, die Handkamera herausholen …

… aber dann wurde er pragmatisch und steckte die Handkamera wieder weg, schnappte sich sein Bier, fläzte sich in einen der roten Sessel, und sah dann kurz darauf die Szenen des wahren Lebens vor sich ablaufen, einen kurzen Ausschnitt aus Helmut Dietls “Kir Royal” aus München, über München, in München, abgespielt vor seinem inneren Auge:

Haffenloher: „Ich mach dich nieder, wenn du mich jetzt hier stehen lässt wie einen Deppen, dann mach ich dich nieder. Ich ruinier dich. Ich mach dich fertig. Ich kleb dich zu von oben bis unten.“
Schimmerlos: „Mit dem Kleber?“
Haffenloher: „Mit meinem Geld. Ich kauf dich einfach. Ich kauf deine Villa, stell noch einen Ferrari davor. Ich scheiß dich sowas von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast. Ich schick dir jeden Tag Cash in einem Koffer. Das schickst du zurück. Einmal, zweimal, vielleicht ein drittes Mal. Aber ich schick dir jeden Tag mehr. Irgendwann kommt der Punkt, da bist so mürbe und so fertig und die Versuchung ist so groß und da nimmst es. Und dann hab ich dich, dann gehörst du mir. Dann bist du mein Knecht. Ich bin dir einfach über. Gegen meine Kohle hast du doch keine Chance. Ich will doch nur dein Freund sein – und jetzt sag Heini zu mir.“

Betrunken wankte der Regisseur von dannen. Er hatte genug. Genug gesehen, genug erlebt. Er benötigte neue Eindrücke, bessere, wirklichere, draußen vor der Tür …

Ertrage die Clown (10): Freiheit, die ich meine

Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:

„Ertrage die Clowns!“

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Der Vortragende salzte nach.

Das Radieschen vor ihm vertrug seiner Meinung noch etwas Salz, bevor er dessen letzte Hälfte in seinem Mund verschwinden ließ. Salz ist das Elixier der Suppe und eines jeden Radieschens, memorierte er still vor sich hin, bevor er zu seinem Mund führte und die Hälfte genießend zerkaute. Es war die bewusste rhetorische Pause seiner Rede. Er konnte es sich leisten und das mitten in einem ausgeklügeltem Vortrag.

In seinem langem leinenem, weißen Gewand stand er vor ihnen und seine Hand fuhr durch deinen langen Bart. Es war ein buschiger, spitz herunter hängender  Bart, der bereits weiß-ergraut war. Er ergriff den Bart immer wieder am Kinn, bündelte ihn mit seiner Hand und fuhr dann damit von Kinn bis zur Brust runter, bis auch das letzte Härchen seinem Griff verlassen hatte. Immer wieder wiederholte er die Prozedur. Seine Schüler hockten im einfachen Baumwollgewand vor ihm und wagten nicht das zu formulieren, was sie dachten: Er melkte eine Kuh und die Kuh war sein Hirn und seine Weisheit kam immer dann, wenn er seine Hand um seinen langen weißen Bart zu legen, um eine neue Weisheit aus seinem Mund zu erzeugen. Sie hingen an seinem Mund und der Bart war ihnen recht gleichgültig. Nur diese Handbewegung, die war das Geheimnis der Erkenntnis. Wohl möglich. Die Handbewegung war seltsam selbstzentriert, irgendwie unklassifizierbar, seltsam egoman. Daher stieß es seinen Anhängern auch immer wieder ungemein ärgerlich auf, wenn jemand diese Handbewegungen mit Onaniehandbewegungen in Verbindung brachte.

Die Zuhörer klebten bereits seit sechs Stunden an seinen Lippen. Nie zuvor hatten eine solche lange Vorlesung an deren Einrichtung gehört, nie hatten sie ähnliches gehört. Und sie waren initiationsgleich instruiert worden, dass er revolutionäres verkünden würde.

“Es gibt verschiedene Prinzipien, die ihr alle jetzt aus meinem Vortag ableiten könnt. Und das erste Prinzip unserer Ethik ist: die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.”

Schweigen in dem Auditorium erfüllte den Saal. Hin und wieder war ein Kratzen wie von Federkiel auf Pergament zu hören, aber ansonsten regte sich nichts. ‚Einundzwanzig‘, ‚zweiundzwanzig‘, ‚dreiundzwanzig‘. Die alte Regel, dass die vorgenannten Worte als Regel der Aussprache jener Worte insbesondere im Deutschen jenen zeitlichen Bereich einer Dimension sekundenhaft durchschreitet, materialisierte sich. Niemand sagte etwas, alle stellten sich die andere, unzeitliche Dimension der Worte vor.

“Moment”, ein einzelnes Wort zerschnitt den Vorhang jener scheinbar undurchdringlichen Stille. Nicht ein Kopf drehte sich in Richtung der Wortmeldung. Die Köpfe wiesen weiterhin in Richtung auf des Vortragenden, als ob der Fragende unbedeutend wäre. “Das heißt, einem Nicht-Menschen, also entsprechend einer Definition von ‘Nicht’, kann also jene Würde für sich nicht reklamieren? ‚Nicht‘ im Sinne von ’nicht vorhanden‘.”

Der Vortragende blickte suchend in die Menge der Zuhörerschaft, um den Zwischenrufer auszumachen. Seine Suche blieb aber erfolglos. Daher antwortete er einfach:

“Mensch ist Mensch. Sind wir nicht Menschen? Wie hatte mein Kollege bereits zum Thema verlautbaret: Wir sind, wer wir sind. Menschen. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.”

“Jeder?”, ertönte wieder die Stimme aus dem Auditorium.

Der Vortragende versuchte die Richtung der Stimme zu orten. Der Saal war zwar akustisch für das Auditorium hervorragend, aber für den Vortragenden eine Katastrophe. Beim Aufbau war nie vorgesehen, dass der Vortragende sich Fragen stellen sollte. Dafür gab es kleinere Steinbauten.

“Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich”, antwortete der Vortragende, melkte seinen weißen Spitzbart und blickte in die Runde. Es verwunderte, warum er Gegenfragen erhielt. Seine außerordentliche Position im Senat der Lehranstalt feite ihn normalerweise vor solch Zuhöreragitation. Nur trotz eben solcher konnte er den Zurufer nicht ausmachen. Er sah auch kein Unruhe im Saale der Zuhörer, welche ihm helfen konnte den Störer auszumachen.

Wieder ertönte die Stimme: “Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind also unverletzlich?”

Der Vortragende nickte: “Absolut. Aber könnte der Zwischenrufer sich bitte erheben? Ich mag es nicht, auf anonyme Zwischenrufe zu reagieren.”

Er wartete. Aber niemand erhob sich. Die Masse der Zuhörerschaft reagierte kaum, indem sie den Zwischenrufer durch Blicke markierte. Der Vortragende blickte in eine amorphe Masse, welche seinen Vortrag gleichmütig zu absorbieren schien. Er wurde misstrauisch darüber, ob sein Vortrag überhaupt die Wertschätzung erfuhr, welche er sich erhoffte. Kurz hielt er inne und formulierte den nächsten pragmatischen Satz, den er danach dem Auditorium präsentierte:

“Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.”

Stille. Er blickte in die Gesichter vor sich zu seiner Linken, schwenkte seinen Blick prüfend nach rechts. Reihe für Reihe der Zuhörer scannte er entsprechend. Aber nirgend erkannte er einen AHA-Ausdruck in den Gesichtern der Zuhörer. Hatten die ihm überhaupt zugehört?

Er versuchte es mit einem provokanten Zusatz:

“Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.”

Eine Stimme aus dem Auditorium erwiderte ihm spontan: “Die Würde des Menschen ist unantastbar? Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt?”

Der Vortragende strich mit feuchten Händen über seinen leinenden Gewand. Er konnte den Fragenden immer noch nicht identifizieren, wurde daher nervös und bekam feuchte Hände. Warum stellte jenes Individuum solche ketzerischen Fragen? Waren seine Aussagen nicht eineindeutig?

Er versuchte nochmals die Stimme im Zuhörerraum zu orten. Aber vergeblich.

“Das, was Sie sagen, beruht auf die Definition von Menschen, nicht wahr. Akzeptiert. Akzeptieren Sie dafür auch, dass in unserer Gesellschaft verdammt viele Lebensformen leben, auf die das Wort ’Menschen’ nicht angewendet werden kann? Wollen Sie die, welche Minderjährige und andere Sonstige vergewaltigen, also Päderasten und schlimmer, jene fahrlässige oder vorsätzliche Mörder oder jene andersartige Verbrecher mit wirklichen ‚Menschen‘ verglichen werden? Solche sind Tiere. Keine wahre Menschen. Daher buchten wir die auch ein. Oder falls möglich, lynchen jene. Verdient ist verdient.“

“Ich verstehe nicht.”

“Die Würde des Menschen ist unantastbar. Da stimme ich Ihnen komplett zu. Unter der Würde des Menschen darf nicht gehandelt werden. Aber was ist, wenn es sich nicht um Menschen handelt?”

“Sie meinen?”

“Ich meine die Idiotae, den Bodensatz der wertvollen menschlichen Entwicklung, denen, die nicht das Niveau der Menschwerdung erreicht haben. Sie wissen”

”Idiotae?,” seine Augen fuhren die Zuhörerschaft reihenweise ab. Niemand blickte auf den Redner, niemand markierte ihn, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Er fühlte sich plötzlich allein gelassen. Das Gefühl, dass er der Vertreter einer Randmeinung statt der Vertreter einer allgemeinen Grundhaltung sei, kroch im von den Fußsohlen hoch bis in seinen Brustkorb. Es ist das Gefühl der Verlierer, die niemand mag. Und das Gefühl schien nicht halt zu machen. Seine Brust erfuhr eine eigentümliche Beklemmung.

”Jene, welche wir mit dem allgemein anerkannten Wort ‘Vollidiot’ bezeichnen. Wenn jene entgegen dem gesunden Volksverstand …”

“Was ist gesund?”, blafft der Vortragende provozierend heraus. Er erhoffte sich, den Fragesteller damit zu identifizieren zu können, indem er von jenem eine emotionale Reaktion bei seinen Repliken hervorrufen könnte. Sein Blick beobachtet aufmerksam das Auditorium, nur die Blicke der Zuhörer waren seine Erwiderung seiner Suche. Ihm schien, als ob sogar seine provozierende Frage von den Blicken komplett neutralisiert würde. Er strich über sein Gewand. Das gab ihm eine gewisse Sicherheit zurück. Der Stoff war kostbar und der Schneider hatte sehr viel Wert darauf gelegt, den Stoff in Bädern richtig geschmeidig zu machen, ohne dass der Vorteil von dem Leinenstoff herab gesetzt wurde. Er war ja schließlich nicht irgendwer, wie jene Zuhörer im Auditorium, sondern er wurde letztendlich für deine Vorträge bezahlt. Seine Auftraggeber waren von dem Wert seiner Vorträgen überzeugt und bezahlten ihm entsprechend. Das Gewand hatte sich bereits nach knapp einem Monat amortisiert und sein Ruf spiegelte sich bereits in den ersten niedergeschriebenen Geschichten wieder.

“Was ist gesund?”

“Gesundheit ist bekanntlich die Abwesenheit von Krankheit. Und Krankheit wird über Erkrankungen definiert. Wenn eine Krankheit epidemisch wird, dann ist die Gesundheit in Gefahr. Und zwar nicht nur des einzelnen Menschen, sondern sogar der Gemeinschaft. Entsprechend reagiert der Körper der Gemeinschaft: er stößt das Erkrankte ab, um sich vor dem erkrankten Individuum, dem Iditotum, zu schützen.”

Der Gelehrte atmete tief ein, schnappte nach Luft. Vor seinen Augen schwebte bereits die Conkulsio jenes Gedanken vor. Das hatte er nicht gesagt.

“Ich habe nicht gesagt, …”

“Aus dem von Ihnen gesagten folgere ich: Eine definierte Gemeinschaft bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.”

“Ähem, ja, insofern, ja …”

“Wir sind eine Gemeinschaft. Wir sind Menschen. Wir sind eine menschliche Gemeinschaft. Aber jene anderen sind es nicht. Keine Menschen. Idioten. Nicht von uns abstammend. Und falls doch, dann war es eine miese Laune der Natur.”

“Aber …”

“Sie sagten bereits, würde der Menschen antastbar sein, wäre er nicht zu achten und zu schützen. Würde er unantastbar sein, wäre er achten und schützen derer Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Kein Mensch, keine Verpflichtung!”

“Was?!?”

“Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Und nicht der Affen!”

“Unverschämt! Sie hetzen! Sie drehen den Gedanken meiner Worte ins Gegenteil, Sie Hetzer!”

“Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Und Ihre Ihnen eigenen Ansicht von Persönlichkeit verstößt gegen jegliches Sittengesetz. Und wer Mensch oder Idiot ist, das definieren nicht Sie, sondern das wird von uns definiert. Da können Sie gar nichts dran ändern. Wir sind vox populi. Und das in unserer Gesamtheit der Meinungsäußerung. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Und: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Eine Zensur findet nicht statt. Wer hetzt, das definieren nicht Sie!”

Er stand an seinem Pult und atmete tief durch. Er hörte die Stimme, konnte sie nicht orten, sah die Blicke auf sich gerichtet, hörte die stumme Aufforderung daraus etwas vernünftiges zu sagen. Nur versagte ihm die Stimme einstweilen. Nur ein Wort konnte er rausbrüllen und das schrie er mit aller Macht raus, ohne seinem Wort eine Richtung zu geben, ohne den Adressaten ausfindig gemacht zu haben. Es prescht nur heraus, strapazierte seine Stimmbänder in extremer Weise und knallte kurz und präzis:

”Arschloch!”

Die Wände reflektierten seine Worte mehrfach und versanken in Stille. Es war keine besondere Stille, keine betretende Stille, keine peinliche Stille. Einfach Stille. Einfach. Stille.

Er strich mit seinen Händen sein glattes Gewand entlang, schaute in das Auditorium, versuchte erneut den Gegensprecher ausfindig zu machen und ergriff zum wiederholten Male seinen spitzen weißen Bart, um seinen nächsten allgemein gültigen Gedanken heraus zu melken:

“Und aus all den Prinzipien kann nur das Folgende folgern: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.”

Die unbekannte Stimme durchschnitt kalt den Raum: “Aha. Wer die Freiheit der Meinungsäußerung zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.”

“Demokratisch?”, stammelte der Vortragende überrascht, “Vom Volke ausgehend?”

“Genau. Wohin geht denn die Staatsgewalt aus? Sie hat sich mir nach ihrem Ausgang nicht zurück gemeldet. Also übernimmt das Volk. Also wir. Und wir sind keine Idioten.”

Er hörte hinter sich ein matschendes Geräusch und drehte sich kurz um. Rot, er sah rot hinter sich. Alles rot. Blut. Blut? Blut! Tod!

“Wir sind das Volk und wir bestimmen, von wo aus die Staatsgewalt ausgeht”, erklärte jene Stimme nüchtern, aber lautstark. “Es ist uns überlassen, wie wir Idioten benennen, weil es – wie Sie zuvor sagten – der Meinungsfreiheit entspricht.”

Wieder hörte er es hinter sich das matschende Geräusch. Er könnte auch weiterhin nicht die Stimme orten. Vor sich sah er die schweigende Menge und in ein paar Händen erkannte er rotes aufblitzen. Tomaten. Er nahm hinter dem Pult Deckung, um sein kostbares Gewand zu schützen. Die Reinigung wäre teuer. Seine Blick suchte den Fluchtweg. Die matschenden Geräusche kamen immer näher. Ihn ergriff Panik.

Ein tiefer, donnernder Ton erfüllte den Hörsaal und instinktiv hielt er sich die Ohren zu, um sich zu schützen. Die Stimme schien übermächtig zu werden:

“Nicht wahr, die Freiheit, sie ist ein furchterregendes Monster, vor deren durchdringender  Stimme man sich die Ohren schützen muss. Bei dessen Ruf man nicht mehr zwischen Meinung und Hetze unterscheiden kann, weil man nicht weiß, ob das Monster ‚Freiheit‘ ein Mensch oder ein Nicht-Mensch ist.”

Mit zugehaltenen Ohren brüllte er in Verzweiflung zurück: “Wer immer Ihr seid, Ihr interpretiert das Menschheitsgesetz stark egoistisch, komplett egozentrisch auf Euch selber bezogen! Ihr betreibt niedrigsten Populismus!”

“Ja, und? Ich bin, der ich bin! Anfang und Ende: ich bin Mensch. Ein wahrhaftiger Mensch. Wie steht es geschrieben: Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?”

Er verschränkte die Arme um seinen Kopf, versuchte, mit den Ärmeln noch mehr Schallschutz zu erreichen, versuchte, sich zu schützen, warf sich auf den Boden und bemerkte, wie die stummen Zuhörer aufgestanden waren, auf ihn zuschritten und langsam einen immer enger werdenden Kreis um ihn den Vortragenden bildeten, ihn in seinen Versuchen, jener Stimme nicht zuhören zu müssen, sich zu schützen.

Und dann hörte er nur den einen Satz, ausgesprochen von dem zerfurchten Gesicht, das sich zu ihm herunter beugte, ein Mensch aus den 50ern und offenbar mit der totalen Altersweisheit gesegnet. Es war lediglich ein Satz aus drei Worten, nüchtern und klar ausgesprochen, in normaler Zimmerlautstärke und Tonhöhe, die sich in ihn eingruben, die ihn ins innerste seines Herzens trafen, die ihm seinen Glauben an eine rosige Zukunft für immer zerstörten:

“So ein Volldepp.”

Ertrage die Clown (9): Über Grautiere, Mohrrüben und wer den Karren aus dem Dreck ziehen soll …

Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:

„Ertrage die Clowns!“

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In einem Land vor unserer Zeit – und das sagten mir wissende Leute im ehrlichen Brusttone der felsenfesten Überzeugung – muss es wohl geklappt haben, dass man eine an einem Stecken gebundene Mohrrübe dem einfachen Esel vor der Nase hielt und das Grautier dadurch animierte, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, welchen der Kutscher vorher angerührt hatte, um andere zuvor durch selbigen zu ziehen.

Heute soll das ja nicht mehr funktionieren. So sagt man. Oder zumindest jeder von sich und über sich. Denn niemand lasse sich mehr vor einem Karren anderer spannen. Solle doch jeder selber zusehen, aus den Dreck zu kommen, in dem er bis zum Halse drin sitze. Eigenverantwortung. Und dabei ist es auch komplett egal, ob Dreck in der eher appetitlicheren Farbe wie “braun” angerührt wurde und ob der Dreck jemandem anderen als Schokolade mit 85% Kakaoanteil … also, Kakao gestreckt mit 15% Schokoladen … wohl angemerkt, der besser-als-andere-seiende-Bürger rümpft beim Wort “Verschnittwein” aristokratisch das feine Näschen, verlangt es ihm doch lieber nach einem guten “Cuvee”, was er sich auch gerne teuer zu stehen kommen lassen mag … also, um zu den angefangenen Satz von vorher zurück zu kommen, dass es also komplett egal ist, ob sich jemand durch den Kakao ziehen lässt, wenn er sich dabei nur das Recht ausbittten lassen darf, aus selbigen auch noch zu trinken.

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Ertrage die Clowns (5): Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeitsstörungen lenken …

Im Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:

„Ertrage die Clowns!“

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Zwischen Abendbrot und Filzpantoffel lässt den geneigten 19:00-Nachrichtenkonsumenten eine Schreckensmeldung in seinem zufriedenen wohligen Katastrophenhalbschlaf zusammenzucken:

Immer mehr Kinder in Deutschland sind ADHS-erkrankt, an jene Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen, was auch flapsig mit dem Begriff „Zappelphilipp-Syndrom“ umschrieben wird. Besonders seien Kinder davon betroffen, deren Eltern zu den unteren Einkommensschichten zählen oder arbeitslos sind. Da nickt der Pantoffelheld beifällig dem Nachrichten-Moderator zu und denkt an all die brutalen Überfälle von Kindern auf Erwachsenen in Deutschland …

… oder auch nicht …

Interessant an der Meldung ist der Zeitpunkt.
In der USA wurde eine Woche zuvor im Fachmagazin „JAMA Pediatrics“ berichtet, dass die ADHS-Diagosen in den USA angestiegen waren ( Quelle: http://archpedi.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=1558056 ) . Basis dieser Studie war die Untersuchung von 842.830 Personen im Zeitraum von Januar 2001 bis Dezember 2010 auf Basis der „Kaiser Permanente Southern California“ Gesundheitsvorsorgeversicherung. Es wurde ein Anstieg der ADHS-Diagnosezahlen (2001: 2,5%; 2010: 3,1%) festgestellt. Ein weiterer Punkt der Studie war dabei auch die Feststellung, dass besonders auffällig sei, dass die größte Anzahl der ADHS-positiv diagnostizierten Kinder aus wohlhabenden Familien stammen.

Die Zahlen, die heute in den Nachrichten verkündet wurden kamen von der Barmer Kasse und sahen teilweise anders aus ( Quelle: https://www.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Versicherte/Rundum-gutversichert/Infothek/Wissenschaft-Forschung/Reports/Arztreport-2013/Arztreport-2013.html?w-cm=CenterColumn_t302962 ) :
2006 wurde 2,92% ADHS-positive Diagnosen getätigt, 2010 waren es bereits 4,14% (bei insgesamt 750.000 untersuchten Personen). Ebenso wie die Amerikaner stellten auch die deutschen Forscher einen Zusammenhang bei Kindern und deren finanziellen Hintergrund fest: Je ärmer, desto eher ADHS.
Soweit so gut.

Ein Blick in die Barmer-Forschungsdokumentation verrät allerdings auch noch anderes: die Forscher stellten fest, in dem wohlhabenden Bundesland Bayern wurden mehr ADHS-Fälle diagnostiziert als in ADHS-Fälle armen Bundesländern Bremen oder Mecklenburg-Vorpommern. Besonders die Umgebung von Würzburg verzeichnet ein erhöhtes Auftreten von ADHS-Diagnosefällen. Warum das so ist, dass es im Raum Würzburg mehr ADHS-Fälle gibt, dafür fanden die Forscher keine Ursache (jedenfalls kein Elendsviertel Deutschlands sondern eher die Heimat von Gutsituierten wie beispielsweise die Umgebung des Copy&Paste-Freiherrn von und zu Guttenberg). Selbst das wohlhabende München liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Selbst die Bundesländer mit hoher Arbeitslosigkeit gehören gemäß der Barmer-Forschungsdokumentation zu den Bundesländern mit sehr geringen ADHS-positiv Diagnosefälle.

Der signifikante Unterschied zwischen der amerikanischen und der deutschen Studie liegt also nicht in der Altersklasse und der geschlechtsspezifischen Anfälligkeit von ADHS, sondern sie liegt in der Beurteilung, welche Schichten eher ADHS diagnostiziert bekommen:
In der USA sind es nach Angaben der amerikanischen Forscher die obere Mittel- bis Oberschicht, in Deutschland nach Angaben der deutschen Forscher die untere Mittel- bis Unterschicht.

Was wollen uns also die Medien mit der Nachricht über das Ansteigen von ADHS-Diagnosen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland jetzt erklären?
Dient die Nachricht als Beruhigsmittel und Absolution reicherer Gesellschaftsschichten?
Oder als Generalverdacht der Kindesfehlerziehung finanzschwacher Familien?
Oder erfordert es Handlungsbedarf wie z.B. durch die Verschärfung des Jugendstrafrechts?

Freilich, das sind jetzt alles aus meinem eigenen Daumen gesaugte Zerrbilder, was ich mir denken könnte, was sich die Medien so dabei denken, wenn sie an die deutsche Studie denken. Sehr interessant fand ich bis jetzt allerdings, dass kein Journalist den Gegensatz zur amerikanischen Forscher-Studie (vor einer Woche veröffentlicht) zur deutschen Studie herausgearbeitet hat. Vielleicht würde es die deutsche Studie dadurch unseriöser erscheinen lassen.
Wer weiß.
Drum redet die deutsche Presse jetzt auch nur gemeinsam über die eine Studie. Über die andere auch noch zu reden, dass würde Erklärungen und Nachdenken erfordern. Das wäre eine größe Herausforderung für die deutsche Presse. Aber das passiert nicht. In einem Land, wo maximal Stadien überdacht werden, aber seltenst Positionen …

Oder in Anlehnung von Erich Maria Remarque mal gehässig für den Grundtenor der deutschen Presse gesprochen:
Am Besten nichts Neues.

Danke für das Weglesen dieses meines Blogeintrages.

Herzlichst

Careca