Ein kleines bisschen Horrorschau

»Slum-Touren sollen Besucher anlocken«
Nein. Sie haben schon richtig gelesen. Da steht nichts von »Schlamm-Kuren« sondern von Rundführungen in Armutsvierteln.
»Slum-Touren sollen Besucher anlocken« so schrieb der SPIEGEL ONLINE am 31. August für den deutschen Fernwehgeplagten bezeichnenderweise in seiner Rubrik »Reisen – Fernweh«. Der Artikel handelt über eine neue Initiative in Rio de Janeiro. »Rio Top Tour« heißt das Projekt der 6-Millionen-Einwohner-Stadt. Mitgetragen wird es vom brasilianischen Staatspräsidenten Lula da Silva mitgetragen (Quelle: hier), der sich schon zu Beginn seiner Amtszeit das »Zero fome« (übersetzt: »Null Hunger«) für die in der Marginalität lebende Bevölkerung auf seine ToDo-Liste seiner Regierungszeit als Staatspräsident geschrieben hat. Das Projekt »Rio Top Tour« ermöglicht Touristen aller Welt auf einer Rundführung durch einer Favela Rio de Janeiros das Favela-Leben selbst hautnah zu erleben. Dass die Bewohner solcher Favelas (=Slums) zwar verarmt seien, aber ansonsten ganz normale Menschen seien, mit diesen Worten wird der Präsident von SPIEGEL ONLINE sinngemäß zitiert. Dass die Favela zusätzlich für Touristen größtenteils risikobefreit wurde, das geht auf das Konto des brasilianischen Militärs, welche die Favela und das leben dort kontrolliert

Zur Erinnerung:
In Rio de Janeiro – die Stadt ist geplanter Ausrichter der Olympiade 2016 und einer der geplanten Austragungsorte der FIFA WM 2014 – wohnt 1/3 der sechs Millionen Einwohner in Favelas. Viele „Favelas“ haben ihrem Ursprung eigentlich in illegale Hausansiedlungen. Deren Bewohner haben durch ihre Ansiedlungen Fakten geschaffen haben, die in ihrer Ausprägung einen eindeutigen Unterschied zwischen der Unterschicht und Mittelschicht und Oberschicht zieht.
Zynischerweise sollte man hinzufügen, dass die Bewohner ein autonomes, durch Favela-eigene Regeln organisiertes Leben führen. Fern ab staatlicher Autoritäten. Die Regeln werden meistzeit durch Drogenbarone diktiert. Oder durch einfallende Militärpolizisten, die vorgeben Drogenhändler zu jagen, aber eigentlich nur ihre eigenen Marktanteile sichern. So riegelte schon mal die Militärpolizei eine ganze Favela von der Außenwelt ab, weil die dortigen Drogenhändler in ein Militärlager eigebrochen sein sollten und dort Dutzende Waffen geklaut haben sollten. Später stellte sich heraus, dass militärische Befehlshaber unzufrieden mit dem erzielten Preis für militäreigene Waffen an die Drogenbarone gewesen waren. Und so wollten sie eben das Geschäft mit der militärischen Belagerung der Favela rückgängig machen. Nun besteht die große Mehrzahl der Bewohner einer Favela nicht nur aus Drogenbarone oder Drogenhändler, weswegen der Kollateralschaden an unschuldige Männer, Frauen und Kinder nicht unerheblich war. Das ist nun mal bei Militärs dieser Welt so üblich, wenn die mal ihre erlernte Arbeit verrichten. Das bewegt auch keinen großen Geist mehr. Nur, Journalisten fanden die wahre Geschichte heraus, warum die Favela belagert wurde, dass die gesuchten Waffen keineswegs geklaut waren sondern nur Handelsware. Die beteiligten Militärs der Waffenschieberei wurden pensioniert, die Toten verscharrt oder beerdigt und es herrschte wieder Eintracht zwischen Drogenbarone und Militärs.

Doch zurück zu »Rio Top Tour«, zu den »Slum-Touren sollen Besucher anlocken« von SPIEGEL ONLINE:
Diese Touristen-Sache in Favelas erinnert mich an Prinz Charles und Lady Diana. Prinz Charles führte Camilla schon in königliche mäträssenähnlicher Traditionen ins Königshaus ein und Lady Diana lächelte noch tapfer, bis sie dann mit nem Kaufhaussöhnchen auf Yachten poussierte und mit ihrem besoffenen Chauffeur der Pariser Peripherique entlangbrauste. Prinz Charles und Lady Diana entstiegen damals im Hafen von Rio de Janeiro der königlichen „Queen Mary“ und machten die erste staatlich organisierte Favela-Tour. Ich weiß nicht mehr, welche Favela es war, aber sie war zuvor staatlich gewaltsam pazifisiert worden. Die Militärs hatten ganze Arbeit geleistet und mit den Drogenbaronen ein Stillhalteabkommen zum Wohle der beiden Vize-Hoheiten abgemacht. Und so marschierten diese beiden damals winkend und lächelnd umringt von waffenstarrenden Bodyguards und Yellow-Press-Fotografen (dort ohne Motorroller) durch die Straßen einer Favela. Der Favela-Tourismus begann, gesellschaftsfähig zu werden.

Die Frage ist freilich, was die Gesellschaft denn in den heutigen Tagen so will. Offensichtlich will sie den „thrill“, den kalkulierten Nervenkitzel, das wohldosierte Entsetzen. In Deutschland und auch woanders haben Abendnachrichten und Tageszeitungen ihre Konsumenten bereits total konditioniert. Warum sollte nun im Urlaub auf diese tägliche Tagesration »Lebenshorror« verzichten werden?

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.
Ein kleines bisschen Horrorschau.
Damit der Verbraucher selber wieder merkt, wie gut es einem selber geht. Und damit der Mensch sich einprägt, wohin er nicht will, um drüber zu jammern, er könne dahin kommen, wo er doch so nass werden könne.
Das ist nicht irreal, sondern höchst real. Anhand der Lebenssituation anderer wird die eigene definiert.
Was dann noch auf solchen Touren fehlt, ist ein wenig Heimatverbundenheit. Ein Erdinger Weißbier, ein Becks oder eine Bratswurst. damit man das eigene Heimweh bekämpft. Und dann um dieses Fernweh nach Hause zu bekämpfen, das Ganze auf einer Terrasse mit romantischem Überblick über die Favela.

Warum?
Warum auch nicht!
Wenn schon ein DFB-Präsident während der WM 2002 (also der Maister-Vorfehler) meinte, langsam reiche ihm das ganze japanisch-koreanische Essen, ihm gelüste es jetzt nach einer echten deutschen Currywurst, wenn die Bläck Fööss damals schon folgerichtig sangen, beim Urlaub in Spanien sei alles so heimisch, es fehle nur noch der Ausblick auf den Kölner Dom, warum dann auch nicht das gleiche in den Favelas? Den Schweizern ihre Rivella, den Österreichern einen Heurigen, den Deutschen ein Becks oder Weißbier, den Amerikanern ein Bud und den Holländern ihr Heinecken. Nur indischen und chinesischen Touristen braucht nichts gesondert importiert werden: Chillies, Reis und steineklopfende Kinder hat es auch Brasilien …

Als die Brigitte Bardot in den 60ern vor den Parparrazis von Rio de Janeiro im 100 km weiter entfernten, unberührten Fischerdorf »Buzios« floh, da war es dort mit der fischenden Gemütlichkeit vorbei. Heute hat Buzios sich gewandelt. Buzios ist nicht mehr das Fischerdorf. Das war es einmal vor einem halben Jahrhundert. Heute gilt Buzios als das »Saint-Tropez« Brasiliens. »Strukturwandel«, wie der Politiker heute mondän verkünden würde.

Klar, wenn das jetzt mit den Favelas genauso funktioniert, dann wird es in einiger Zeit der gezielte Betrug an den Touristen. Eine Art besuchbare »Truman Show«. Allerdings, das wahre Favela-Leben mit seinem Kampf ums Leben und Überleben findet woanders fern ab den touristischen Trampelpfaden statt. Dort wo sich Drogenbarone und brasilianische Militärs mit tödlichen Waffen bis aufs Messer bekämpfen.

Nur eine Frage beschäftigt mich:
Wenn man jetzt in Brasilien in Favelas Urlaub als Abenteuer-Urlaub-Substitut buchen kann, würden dieselben Leute auch nach New York fliegen, um im schwarzen Harlem zu spazieren? Oder nach Sonnenuntergang im Central Park zu flanieren? Oder warum in der Ferne schweifen, wenn das Gute so nah? Saint Denise in Paris im Dunkeln hat ohne weiteres Favela-Flair. Oder die Trabantenstadt Chorweiler bei Köln. Oder in entsprechende Gebiete Berlins. Nachts sind alle Katzen grau, dafür benötigt es kein Fernweh-Flug um den Nervenkitzel zu bekommen. Würden dieselben Leute das auf diesem Kontinent auch tun? Würden sie? Nein, denn es fehlt das touristische Angebot, das Leben in der Marginalität hautnah erleben zu können.

Brasilienaufenthalte sind ja inzwischen nichts mehr wert, wenn dem Arbeitskollegen, dem Freund oder dem Nachbarn nicht erzählt werden kann »Ja, ich war in den Elendsgebieten, dort wo die Armut am größten ist, wo die Gewalt am Brutalsten. Und ja, ich habe dort den Sonnenuntergang bei einem Glas Bier erlebt.«

Brasilien zu besuchen, ohne sich auch noch zwanghaft für die Probleme der Armen zu interessieren, das ist in den Augen anderer ein Beweis von Verrohung, von Gefühlskälte. Das aufgedrängte schlechte Gewissen, man sei »nur« Tourist und auch noch gefühlskalt nagt bei vielen Brasilienurlaubern. Daher dient eine derartige »Rio Top Tour« als die klassisch ideale Gewissensbefriedung. Andere werden mit Schaum vor dem Mund den Besuchern solcher Touren allerdings wieder »Sozialromantismus« und »Gutmenschentum« vorwerfen. Der Tourist wird dann den Gewissensspagat für sich entscheiden müssen.

Nur Brasilien weiß das schlechte Gewissen der Ersten Welt inzwischen vorteilhaft für sich zu nutzen. Fußball-WM 2014 und Olympiade 2016 stehen vor der Tür. Das Angebot an den unterhaltungswütigen und mit Katastrophennachrichten verwöhnten Reisenden steht.
Hauptsache „Thrill“, Nervenkitzel und etwas über das später zu Hause berichten werden kann (statt einer langweiliger „Dia-Shows“ …) … . Wasch mir den Pelz. Aber mach mich nicht nass.

Abenteuer-Urlaub in der Realität anderer. In deren Marginalität. Eine Art Urlaub, um vielleicht sogar nachher den Vergleich mit heimischer und brasilianischer Armut zu tätigen und dabei lapidar festzustellen, dass es den Menschen hier noch viel zu gut geht.

Gewinner in diesem Spiel bleiben aber nur die Kassierer der Touristendevisen.
Alle anderen sind lediglich Statisten.
Oder Verlierer.

Die Schlacht am Birkenbaum

„Der Roggen wird vor der Schlacht am Birkenbaum erst eingefahren, der Hafer aber nicht … Wenn die Büdericher ein Mond vor Krautweih (Mariä Himmelfahrt) aus dem Hochamte kommen, steht rund um die Kirche alles voll Balltreter.“
Quelle: absolut unbekannte westfälische Einsicht eines Sehers

Es ist vollbracht.
Die Schlacht ist geschlagen, die Spanier haben gewonnen und die Niederländer machen der deutschen Nationalmannschaft Konkurenz im Erobern des zweiten WM-Platzes.
Was ist mir geblieben?
Nicht viel. Die Herrschaft über das Mittelfeld führt zum Sieg. Das Spielsystem des Mittelfeldes hat den Erfolg gebracht. Das Finale war das „quot eram demonstrandum“ (= „was zu zeigen war“), das „q.e.d.“ der Fußballzukunft.

Zwar verbleiben die drei deutschen Spiele gegen Australien, England und Argentinien in Erinnerung für mitreissendes Offensivfußballspiel. Aber mehr wird nicht verbleiben. Von den Trainer-Strategen wird in Zukunft das Spiel im Mittelfeld vervollkommnet. Maurinho in der Champions League und jetzt del Bosque bei der WM haben gezeigt, wie es geht.

Die deutsche Nationalmannschaft hätte die WM gewinnen müssen, um Grundsteine in der Zukunft für zuschauerfreundliches Spielsysteme zu legen. Haben sie aber nicht. Drum werden die nächsten Spielzeiten im Zeichen der Mittelfeldstrategien stehen.

Andererseits, hätte die deutsche Nationalmannschaft die WM mit begeisterndem Spiel gewonnen, dann wäre Frau Merkel und Herr Wulf quasi per Staatsräson gezwungen gewesen, mit ihrem gesamten schwarz-gelben Hofstaat ein zweites Mal bei der WM auflaufen zu müssen. Das wäre allen Sparanstrengungen der Regierung Merkel/Westerwelle total entgegen gelaufen. Okay, die Spieler wären erneut mit einer halbstündigen Ansprache des balsenabsondernden Hosenanzugs konfrontiert gewesen. Sicher, sie hätten es gemocht: die Spieler im Entmüdungsbad und vor Ihnen Merkel, Westerwelle und Wulf. Nur: Damit wäre dann die deutsche Nationalmannschaft auf Jahre geschlagen gewesen, um es mal in Abwandlung eines bekannten Beckenbauer-Zitats aus dem Jahre 1990 zu formulieren.

Also ist es gut so.

Merkel muss ohne Rückenwind einer WM-Trophäe weiterregieren. Aber sie hat noch immer die Möglichkeit, die Krake „Paul“ ins Kabinett als Regierungsberater zu holen. Denn die Krake hat auch bei den letzten beiden Spielen in ihrer Vorraussage richtig gelegen. Und solches Talent geht der Bundesregierung ja seit November letzten Jahres komplett ab.

Und so bleibt alles in allem nur ein „Bis in vier Jahren“ zu seufzen. Und ich hoffe, dass mein Team dann nicht wieder gegen einen Nicht-Weltmeister verlieren wird. Auch um deren gesundheit willen. Brasilianer können ja so erbarmungslos gegen Selecao-Mitglieder sein, wenn diese nicht gewinnt …

Mit einem riesigen Danke gen Rio de Janeiro!

So etwas findet man nicht alle Tage in seinem Postkasten.
Insbesondere nicht diese zwei DVDs.
Deshalb nochmals mein Danke an das ARD Studio in Rio de Janeiro. Insbesondere an Thomas Aders vom ARD Studio Rio!

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Im Fokus: Südamerika Abenteuer Amazonas (DVD)

Och nööö! Nicht schon wieder eine DVD-Vorstellung zu Brasilien!
Das ist doch schon die hunderste DVD auf dem Markt. Wetten, der schreibt gleich was von schönen Bildern? Wie toll Brasilien ausschaut? Dass die DVD genial ist?

Ich habe schon immer davon geträumt, dort arbeiten zu dürfen, wo andere Urlaub machen. Dass das ganze aber ein Traum geblieben ist, kann der Leser daraus ableiten, dass ich aus München schreibe und nicht aus Brasilien. Aber andere haben dieses Glück. Oder Geschick. Oder haben es sich hart erarbeitet.

Nun, die ARD unterhält in Lateinamerika zwei Sendestudios. Das eine liegt in Rio de Janeiro, das andere hat seinen Sitz in Mexiko-City. Das Studio in Rio de Janeiro deckt den südamerikanischen Kontinent ab. Das Studio muss also eine Fläche journalistisch beobachten, welches 48 mal so groß ist wie Deutschland. Oder vielleicht ein wenig griffiger ausgedrückt, einen Kontinent, der in etwa die Größe Russlands hat.

Dass das ARD-Studio Südamerikas gerade in Rio de Janeiro liegt, lässt freilich Träume aufkommen. Strand, Sonne, Meer und alles, was dazu gehört.

Allein die Berichte aus dem südamerikanischen Kontinent, die immer wieder in ARD, arte, 3Sat, Phoenix oder den anderen ARD-Programmen (wie den Dritten, EinsPlus, etc.) laufen, demonstrieren, dass die Redakteure dort nicht einfach nur ne ruhige Kugel schieben. Oder doch?

Dr. Thomas Aders ist ARD-Korrespondent, der seine Berichte immer wieder dem ARD überspielt. Zwei seiner Berichte sind nun auf DVD erhältlich:
„Im Fokus: Südamerika Abenteuer Amazonas“ heißt die DVD und ist im Handel (z.B. amazon.de) für 9,95 Euro erhältlich.

Die DVD enthält die beiden Dokumentation einer Amazonas-Flussfahrt, welche das ARD-Team dort von der brasilianisch-peruanischen Grenze bis zur Amazonas-Mündung gedreht hat.

Die Dokumentation schwankt immer wieder zwischen berauschenden Bildern eines gigantischen Flusses und Betrachtungen der Menschen die dort leben. Es beginnt mit der Dokumentation des Indio-Stammes der Matis und deren Probleme mit der modernen Zivilisation. Geht weiter über Hahnenkämpfe auf peruanischer Seite bis nach Manaus. Die Holzrhodung des Amazonas findet dort ebenso seinen Platz wie Betrachtungen der Stadt Manaus, dessen Theaters und der Honda-Motorrad-Fabrik in Manaus. Sie geht weiter zu dem farbenprächtigen und großen Volksfest auf der Amazonas-Insel Parintins. Letztendlich landet das Team in Belem, der Stadt an der Mündung des Amazonas und deren Marienfest.

Der Film kann nicht alles darstellen und beschränkt sich somit immer wieder auf bestimmte Geschichten und den Personen hinter den Geschichten. Er bietet bunte Mosaiksteine vom Amazonas ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die verschiedensten Facetten des Lebens am Amazonas finden sich wieder.

Besonders interessant fand ich hierbei die Dokumentation der in Brasilien Low-Income-Strategie. Diese ist gerade in Brasilien geschäftlich weit verbreitet und hat in Brasilien auch seinen Anteil daran, dass sich die Immobilien- und Bankenkrise in Brasilien nicht so ausgewirkt hat wie beispielsweise in Europa oder Amerika.

Insgesamt gesehen ist diese DVD lohnenswert. Insbesondere auch wegen dem Extra-Bericht über die Insel „Fernando de Noronha“ mit seinen vielen Unterwasseraufnahmen.

Meine Kaufempfehlung.

The winner takes it all …

Wie viel Minuten hat das „ARD Studio Rio de Janeiro“ im letzten Jahr produziert?

Diese Frage stellte das „ARD Studio Rio de Janeiro“.
Es waren 1260 Minuten.

Ich hatte mal 1200 Minuten abgeschätzt, nachdem ich mir deren DVD „Im Fokus: Südamerika Abenteuer Amazonas“ letztens gekauft hatte und dort auf der Rückseite „117 Minuten“ las und das ganze abzüglich den Urlaub der „ARD Studio Rio de Janeiro“-Mitarbeiter abgeschätzt hatte.

So.

La forza del destino.

Nun erhalte ich also jene DVD, die ich mir gestern Abend angeschaut hatte und von der ich morgen eigentlich schreiben wollte.

Und jetzt das unglaubliche:

Ich freue mich trotzdem tierisch drüber. „Gewinnen“ ist nicht gerade eine Gewohnheit von mir, wenn wo Rätseln mit Preise ausgelobt werden.

Militärischer Fünfkampf in München

Von Presse und somit von der Öffentlichkeit relativ unbeachtet findet momentan in München die 56. CISM-WM im Militärischen Fünfkampf statt (CISM = Conseil International du Sport Militaire). Vom 04.- 10. September 2009 kämpfen also Sportsoldaten und Sportsoldatinnen aus der ganzen Welt um Ruhm und Ehre. Bei diesem militärischen Ereignis des „Internationale Militärsportverbands“ auf dem Campus der Universität der Bundeswehr München nehmen rund 200 Athleten und Athletinnen aus 30 Nationen an den Wettkämpfen teil.

Während für Deutschland nur eine Soldatin alleine antritt, geht es diesmal bei den Männern um die Krone. Im Jahre 2007 hatte die deutsche Soldatenmannschaft der Männer noch den dritten Platz inne, das Jahr 2008 darauf war es am Ende sogar der zweite Platz hinter China und jetzt strebt sie den ersten Platz an.

Disziplinen des Militärischen Fünfkampfs entsprechen den normalen militärischen Aufgaben eines Soldaten: Schießen, Hindernislauf, Hindernisschwimmen, Werfen und 8.000 Meter Geländelauf.
Beim Schießen wird mittels eines Scharfschützengewehrs auf 300 Meter entfernte Scheiben geschossen. Zehnmal binnen einer Minute und zehnmal binnen zehn Minuten. Hierbei war die deutsche Mannschaft hinter Nordkorea und China bereits auf den dritten Platz.
Beim Hindernislauf sind diverse Hürden bis zu 5 Meter Höhe zu überwinden. Die deutsche Mannschaft hatte sich schon auf den zweiten Platz hinter China vorgekämpft gehabt.
Beim Hindernisschwimmen befinden sich die zu überwindenden Hindernisse sowohl unter als auch bis zu einem halben Meter über Wasser. Nach dieser militärischen Disziplin liegt inzwischen die deutsche Militärmannschaft punktemäßig vor China und Nordkorea auf den ersten Platz.
Beim vierten Wettkampf, dem Werfen, wird ein zylinderförmiger Eisenrohling sowohl zielgerichtet als auch weit geworfen. Es besteht nicht unbegründete Hoffnung, den Vorsprung vor den Asiaten noch weiter auszubauen.
Und zu guter Letzt findet die Entscheidung bei einem 8 km langen Geländelauf statt. Entsprechend den bis dahin errungenen Punkten findet ein zeitversetzter Start der Mannschaften statt. Welche Mannschaft als erste über die Ziellinie gelangt, die wird den Weltmeistertitel erlangen.

Außer der Mannschaftswertung gibt es noch eine Einzelwertung für alle Sportsoldaten und eine Gesamtwertung.

Es ist übrigens ein übles Gerücht, dass der Oberst Klein durch seine Aktion am Hindukush am letzten Wochenende in der Disziplin „Feindbekämpfung“ wegen mangelnder Weitsicht mehr als 130 Verlustpunkte einbrachte. Verteidigungsminister Jung bestätigte, dass es bei den deutschen Soldaten keine Verluste gab.

An alle, die planen, an den verbleibenden Kampfdisziplinen als Schlachtenbummler für die deutsche Mannschaft teilzunehmen:
Der Militärische Fünfkampf in München wird ungestört vom Hindukush und in voller Mannstärke fortgesetzt werden.

Und für alle CISM-Begeisterte:
Im Jahre 2011 findet die Weltmeisterstadt in Rio de Janeiro statt. Ob dort aber die Wettkämpfe am lebenden kriminellen Objekt der dortigen Favelas durchgeführt werden, ist noch nicht klar. Die „Policia Militar“ Rio de Janeiros hatte sich noch nicht dazu geäußert.

Das Buch "Der Dompteur der Affen" von Supergringo (eine Buchrezension)

Der Darsteller, der dem Zaungast ein gesellschaftliches Paradies vorspielt, ist von ihm abhängig, genau wie der Dompteur vom Affen; das Verhältnis beider ist dialektisch verschränkt; die Dressur des Zaungastes wirkt auf den Darsteller zurück; der eine ist jeweils Affe und Dompteur des anderen, beides zu gleicher Zeit.

Hans Magnus Enzensberger (1962)

Buch-Screenshot

Der Autor:
„Supergringo“ ist das Pseudonym eines 40-jährigen Mannes aus der Gegend Mannheim/Frankfurt. Sein Pseudonym hat der Autor nach eigenem Bekunden in Brasilien von Bekannten in Rio de Janeiro erhalten. Der Begriff „Gringo“ bezeichnet in Brasilien wie überall in Südamerika den Ausländer (seinen Ursprung hat das Wort aus dem Englischen „Green go“und bezeichnete anfangs die amerikanischen „Green Barrets“ und wurde dann zum allgemeinsprachlichen Begriff für alle Ausländer Südamerikas). Mit der Vorsilbe „Super“ wurde der Begriff „Gringo“ übersteigert, womit der Autor seinen Spitznamen in Brasilien weg hatte. Unglücklich darüber war er nach eigenem Bekunden nicht, weil er nicht wirklich negativ gemeint war. Lediglich für deutsche Ohren klingt einiges Negative in diesem Wortspiel mit.

Das Buch:
„Der Dompteur der Affen“ spielt in der Metropole Rio de Janeiro Brasiliens. Der Autor verbringt dort 14 Tage Urlaub. Das Ziel für ihn ist klar ausgerichtet: er will die Frauen jener Stadt treffen. Genauer gesagt, er will die Frauen, welche im südlichen Teil der Stadt Rio de Janeiro in jenen weltbekannten Vierteln Cobacabana und Ipanema leben. Und er will sie nicht nur sprechen, er will sie erleben mit Haut und Haaren. Durch seine bereits zehn Aufenthalte zuvor kennt sich Supergringo aus, wo er sie treffen kann. Er spricht nicht nur deren Sprache, er kennt auch deren Art und Weise, wie sie ticken und wie sie denken. In jenen 14 Tagen lebt Supergringo ein unbeschwertes Leben.

„Ich habe mehrere konträre Gefühle und Gedanken. Zum einen, ganz profan, ich bin im Urlaub und will ein unbeschwertes Leben.“

Der Satz im letzten Viertel des 136-seitigen Buchs ist nicht das formulierte Postulat seines Urlaubs, sondern dieser Satz unterstreicht, was bereits über 100 Seiten geschildert war.

Meine Bewertung:
In die Rubrik „Sextourismus“-Berichte lässt sich dieses Buch definitv nicht einordnen. Es ist zwar definitiv erst „frei ab 18 Jahre“ und dessen erotische Schilderungen werden manches Mal auch richtig konkret, aber nie werden sie vulgär. Sicherlich ist es möglich das Buch als „Sextourismus“-Berichte herunter zu machen und zu dequalifizieren, aber sowas wird dem Buch nicht annähernd gerecht.
Im Vergleich zu echten „Sextourismus“-Berichten (a la „Elicsan“, der über seine Tourismus in Thailand im Jahr 2001 berichtet hat, oder „Ebres“, der seinen 14-tägigen Aufenthalt im Jahr 2001 in Rio als Stafettenlauf von Prostituierte zu Prostituierte beschrieb; s.a. http://thailandbuch.de) kann Supergringos „Der Dompteur der Affen“ nicht mithalten. Mit detaillierten Tipps zur Prostituiertenszene in Rio de Janeiro kann dieses Buch nicht dienen. In jenes Paysex-Genres des „Kiss’n tell“ passt dieses Buch einfach nicht rein.
Mir ist klar, dass manche dieses Buch nach dem Klischee „Zuckerhut, Samba, Frauen“ gerne in so eine Schublade packen würden, aber es wird immer nur die eigene Schublade bleiben. Das Buch wird keine neue Schublade aufmachen, wo nicht schon eine vorhanden ist. Und wenn es geschieht, wird es schade sein.

Denn das Buch bietet überraschenderweise eine sehr klar strukturierte Handlung. Nicht nur lernt der Protagonist sein Mädchen kennen, auch lernt er durch sie deren Umgebung kennen, deren Lebensumfeld, deren Mutter und Schwester. Und dieses verkommt nicht lediglich zu einer Randnotiz, einem Einmal-Handtuch der Erzählung, sondern es bestimmt sowohl den Verlauf des Romans und als auch gibt es Einblicke zu den Personen der Geschichte und deren Leben. Dem Mädchen, die Mutter und der Schwester kommt gegen Ende des Romans eine Schlüsselstellung zur Auflösung dieser Konstellation zu.

Erst in den letzten beiden Kapiteln erklärt sich der Titel „Der Dompteur der Affen“. Er hat im Grunde wenig mit dem davor Geschriebenen gemein. Weder hat Supergringo zuvor Chancen die Dompteur-Rolle auszuüben, noch lässt ihn eine der weiblichen Protagonisten diese Rolle belegen. Die Rolle des Dompteurs kommt erst am Schluss, aber wie und warum, dass muss sich jeder selber erlesen.

Der Roman kommt nicht mit gerecktem moralischen Zeigefingern dem Leser daher. Ebenfalls begeht der Autor auch nicht den Fehler, einfach mal direkte und offene Vergleiche zwischen der deutschen und brasilianischen Kultur her zu stellen. Wenn es vergleiche gibt, so fallen sie dezent und fast unauffällig aus. Letztendlich bleibt es dem Leser selber überlassen, solche Vergleiche anzustellen und selber moralisch darüber zu urteilen.

Nebenbei ist die Handlung kein 1:1-Bericht, sondern die Figuren und Handlungen hatte der Autor nach eigenem Bekunden mir gegenüber aus verschiedenen erlebten Dingen verdichtet. Die Personen des Buches an sich sind bis auf den „Ich“-Erzähler wohl alle mehr oder weniger fiktional, deren Leben findet sich aber als mehr oder weniger große Mosaiksteinchen im Leben anderer Brasilianerinnen wieder.

„Der Dompteur der Affen“ ist locker und unterhaltsam. Wer eine Geschichte mit tiefgehender Analytik oder gar moralischen Anwandlungen zu Rio de Janeiro und Sextourismus im speziellen erwartet, der geht in diesem Buch leer aus. In diesem Buch findet sich dazu nicht das geringste.
Bei dem Buch handelt es sich um einen Roman, welches im Tagebuch-Format geschrieben worden ist. Für mich gehört es eindeutig in den Unterhaltungsbereich der erotischen Erlebnisromane.

Zusammenfassung
Auf einer Schulnoten-Skala zwischen 1 und 6 gebe ich dem Buch eine „2“.
Lockere, luftige Unterhaltung leicht und angenehm zu lesen.
Das Buch zu lesen hat sich gelohnt.

Zusatzanmerkungen
Zu den oben von mir erwähnten Schubladen, die bei manchem Brasilienfreund und Brasilienkenner aufgehen, und dort dann das Buch wohl endlagern wollen, fiel mir eine markante Szene aus dem Film „Harold & Maude“ ein. Nicht weil der Autor Supergringo des obigen Buches wie Harold als anfänglicher Antiheld durch den Roman schlurft, sondern weil das Thema „Sex und Brasilien“ bei manchem verdammt strenge Gefühlswallungen hervor ruft:

Mrs. Chasen füllt für ihren Sohn Harold einen Kontaktfragebogen aus und liest deren Fraggen laut vor:
„Wird das Thema Sex ihrer Meinung nach von unseren Massenmedien übermäßig ausgeschlachtet?“
Sie hält kurz inne. Harold lädt einen Trommelrevolver.
„Das muss man mit JA beantworten. Findest du nicht?“
Harold richtet einige Zeit später die Waffe erst gegen seine Mutter dann gegen seine Stirn.
Mrs. Chasen (aus dem Fragebogen vorlesend): „Sind Sie der Meinung, dass die sexuelle Revolution zu weit gegangen ist?“ (ausfüllend, leicht empört) „Aber sicher, ja.“ (wieder aus dem Fragebogen vorlesend) „Halten Sie die Idee des Partnertausch für geschmacklos?“ (selber antwortend) „Ich halte schon die Frage selber für geschmacklos.“
Harold erschießt sich.
Mrs. Chasen empört: „Harold, bitte!“
(aus dem Film „Harold & Maude“)

Weitere Buchdaten:
136 Seiten
Auflage: 2 (11. September 2008)
Bestellnummer: ISBN 978-3837040876
Preis: 9,80 €

"Brasilien im Original" von Peter Reinhold: Eine Buchrezension

Brasilien hat Schönheit.
Brasilien hat Schönheit und Klasse.
Brasilien hat Schönheit, Klasse und Flair.
Brasilien hat Schönheit, Klasse, Flair und am achten Tag der Schöpfung verfügte Gott die erste Ausweisung aus seinem Garten „Eden“, um damit dort die Lebensqualität im Paradies zu steigern. Er siedelte Menschen aus dem Paradies jenseits von „Eden“ in Brasilien an.

Nein, das steht jetzt nicht in der Bibel, aber so erzählen sich die Menschen der ganzen Welt, wenn sie sich über die Situation der Menschen Brasiliens unterhalten.

Brasilien ist nun mal einzigartig. Dessen Land und dessen Leute sucht man in der Welt ein zweites Mal vergebens. Die meisten Menschen, die Brasilien kennen gelernt haben, lässt jenes Land nicht mehr los.
Und so kann es schon passieren, dass dann das ein oder andere Buch darüber geschrieben wird.

Peter Reinhold hat seine Erfahrungen im „Books on demand“-Verlag unter dem Titel „Brasilien im Original“ veröffentlicht.

Der Autor
Wolf Peter Reinhold ist mit 54 Jahren im Jahr 1997 zusammen mit seiner damals 25-jährigen Frau Tina nach Brasilien ausgewandert. Der gebürtige Dresdener kappte seine erfolgreiche Werbetexterkarriere und tauschte seinen damaligen Lebensmittelpunkt Düsseldorf mit dem in Brasilien. Dort lebte er in den zehn Jahren an vier verschiedenen Orten, kehrte dann aber 2007 mit seiner Frau nach Europa zurück. Zuerst zog es ihn nach Lissabon, dann nach Berlin. Seit September 2009 sind Peter und Tina Reinhold wieder nach Brasilien zurück gekehrt: „Nun endgültig“, wie er in seinem im Juli 2009 veröffentlichten Buch „Brasilien im Original“ am Schluss schrieb.

Das Buch
„Meine 10 Jahre auf einem anderen Planeten“ so lautet der Untertitel des Buches. Auf 438 Seiten versucht Peter Reinhold nicht nur spannende Lektüre zu bieten, sondern auch Anregung für Urlaubsplaner und Hilfe für Auswanderer. Höhepunkte des Buches sind nicht nur die Tagebuch-ähnliche Beschreibungen seiner Rundreise durch halb Brasilien (ca. 11.000 km in 26 Tagen) und die diversen Schicksale von deutschen Auswanderern mit Träumen, die von der brasilianischen Realität mehr oder weniger einkassiert werden, sondern auch die Beschreibungen der Umgebung im Nordosten in der Nähe des Amazonas-Deltas.
Peter Reinhold hatte vor seinem Leben in Brasilien bereits Erfahrungen als Camel-Trophy-Fahrer in Papua-Neuguinea sammeln können. Diese konnte er dann in Brasilien entsprechend bei seinen Fahrten über Dünen und unwegsamen Straßen mit seinem Landrover einbringen. In Randbereichen seines Buches geht er auch kurz auf brasilianische Realitäten ein, die ziemlich drastisch und kontrastreich dem zuvor beschriebenem entgegen stehen.

Meine Bewertung
Das Buch ist im Grunde kurzweilig und auch interessant geschrieben. Reiseberichte und Reisebeschreibungen sind lesenswert und detailliert. Das Buch hat zwar die Anwandlungen eines Romans. Es ist aber eher ein Zwitter aus reiner Reiseberichterstattung und Betrachtungen der brasilianischen Realität.
Allerdings liegt hier auch die Schwäche des Buches. Der Autor und seine Frau sind einerseits die Protagonisten des Buches, die als Klammer der Handlung dienen, andererseits bringt der Autor sich nur distanziert in bestimmten Situationen ein und seine Frau taucht eher als Randfigur auf.
Als ich das Buch in meinen Händen hielt und auf dem Buchrücken vom erklärten Ziele des Autors der Aufklärung über das wahre Brasiliens las, steigerten sich meine Ansprüche. Aber ein Buch, welches sowohl als „spannende Lektüre, Urlaubsplaner oder Hilfe für Auswanderer“ dienen soll, muss mehr bieten.
Um es vorweg zu nehmen, Auswanderungswillige nach Brasilien erfahren in diesem Buch zwar einiges detailliertes über Schicksale von Auswanderern, viel mehr als in jeder Doku-Soup der privaten Fernsehprogramme. Aber welche weitreichenden Schwierigkeiten Brasilien einem Einwanderer bietet, das findet sich nicht beschrieben. Dass Brasiliens Bürokratismus organisatorisch alles auf die Verantwortung seiner Bürger abschiebt und somit heftiger ist, als wie man den Bürokratismus aus Deutschland kennt, das wird in einem eigenen Kapitel über die Ummeldung eines Fahrzeugs nach Umzug beschrieben. Aber Tipps, wie man den Bürokratismus Brasiliens erträglicher machen kann, sind nicht beschrieben. Insofern bedient das Buch die Zielgruppe der Auswanderungswilligen nur am Rande. Zudem fehlt auch der eindeutige Hinweis, dass Brasilien längst kein Einwandererland mehr ist und insofern Einwanderer es heute erheblich schwerer haben als noch vor zehn Jahren.

Als „spannende Lektüre“ empfand ich das Buch nicht. Das Buch ist interessant. Das Buch beschreibt Gegenden und gibt merkenswerte Reisetipps.
Nur wenn sich für mich Spannung mal aufgebaut hat, so hat es der Autor geschafft, diese durch seine Ausdrucksweise zu reduzieren. Ich weiß nicht, wie oft ich die Worte „herrlich“, „köstlich“, „schmackhaft“ und „knusprig“ im Zusammenhang mit Essen oder „eisgekühlt“, „eiskalt“ oder „sehr kalt“ in Zusammenhang mit Bier lesen musste. Wie oft er sich Bier oder Kokosnuss-Wasser in den „Schlund geschüttet“ hatte, kann ich jetzt nicht sagen. Es waren viele, viele Male. Und das jedes mal erneut zu lesen, hat doch ermüdet.

Darüber hinaus nervten mich auch noch dann Wiederholungen: Beispielsweise findet sich in dem Buch dreimal an verschiedenen Stellen die Beschreibung, wie der Junge „Pedro“ einem undankbaren Holländer dessen Brille aus dem brauen Wasser eines Flusses gefischt hatte, nachdem jenem Tourist sie ins Wasser fiel. Und diese Beschreibungen waren fast identisch, ohne eine wirkliche Variation. Oder er schreibt über Jürgen Klinsmann in einem Zusammenhang, der in Deutschland schon längst keine Rolle mehr spielt, nachdem Klinsmann zweimal erfolglos Trainerjobs ausgefüllt hat.

Ebenso finden sich in dem Buch Rund-um-Schläge gegen verwöhnte deutsche Europäer, die nur ausgetretene Touristenpfade von Reiseveranstalter betreten möchten, und faule Brasilianer, die zwar höflich bedienen aber ansonsten keine europäische Ethik kennen. Es ist diese Art Überheblichkeit, wie ich sie schon bei anderen Auswanderern beobachten konnte. Eine Überheblichkeit, die die bedingungslose Lufthoheit über jeden Stammtisch sofort für sich einfordert. Ich spreche damit dem Autor nicht seine Kompetenz ab. Nur leidet darunter das Buch, wenn er fast generell kein Einfühlungsvermögen für unterschiedliche Positionen zeigt.

Der Sprachstil des Buches schwankt. Mal anspruchsvoll, dann wieder dahin gerotzt. Schreibt der Autor beispielsweise, wie er sich mit seiner Reisegruppe aufgrund des Fehlens von Trinkhalmen und Bechern „das frische Kokoswasser direkt ins weit geöffnete Maul“ gießt und zwei Sätze später schreibt er von „Reklame mit großmäuligen Qualitätsversprechen“ (bezogen auf ein gebrochenes amerikanischen Bärenmesser), dann ist das ganze nicht nur eine stilistische Blüte. Auf mich machte das eher den Eindruck einer sprachlichen Blutgrätsche als wirklich durchdacht. Solche Dinge mögen vielleicht sogar als Ironie gedacht gewesen sein, aber indirekte Hinweise, dass solche stilistische Blüten vorsätzlich begangen worden sein könnten, fand ich nicht.
Es scheint wohl dem Naturell des 66-jährigen Autors entsprechen.
Der Sprachstil ließ dann auch mehr auf den Autor blicken, als er von sich selber beschreibend frei gab. Aber ich kann mich meines Eindruckes ja auch irren.
Oftmals kratzt das Buch auch nur an der Oberfläche der brasilianischen Realität (jedes persönliche Gespräch mit Brasilianern bringt mehr soziologische Hintergrundinformationen zu Brasilien als dieses Buch).
Verwirrend ist auch, dass der Autor bei der Umrechnung der Landeswährung immer wieder zwischen Euro und D-Mark hin- und herspringt und das obwohl das Buch erst im Juli 2009 rausgebracht wurde.
Das Buch „Brasilien im Original“ von Peter Reinhold ist im Großen und Ganzen schon lesenswert. Der Autor steuert durch den Inhalt seines 10-jährigen Brasilienaufenthalts wie er seine Fahrzeuge durch unwegsames Gelände steuert.
Wer wissen will, welche persönliche Kämpfe der Autor in dem 10-jährigen Brasilienaufenthalt ausfechten musste, der wird nicht fündig.

Die Person „Peter Reinhold“ ist zwar der Motor des Buches, aber nicht Protagonist. Daher kommt das Schlusskapitel „Der Lack ist ab“ mit seiner Erklärung, warum der Autor mit seiner nach Europa zurück kehrte, auch genauso überraschend wie er manche brasilianische Regengüsse beschrieb: Völlig aus dem heiteren Himmel heraus.
In dem ganzen Buch fand sich nicht wirklich ein Hinweis, dass der Autor Probleme in Brasilien nicht souverän bewältigen und lösen könnte. Umso überraschender ist dann im Schlusskapitel die Verkündigung vom Ende des Brasilienaufenthalts.
Im Vergleich zu den ganzen beschriebenen Rückblenden auf des Autors schlechte Erfahrungen mit Deutschland und dessen Nachteile war die Erklärung für die Motivation nach Europa zurück zu kehren schon verdammt dünn.

Und auch hier taucht dann die weitere Schwäche des Buches auf. Seine Frau ging mit. Einfach so. Spannend wäre gewesen, auch von der Position seiner Frau und den Diskussionen zwischen den beiden zu erfahren. Aber in dem ganzen Buch findet ein Dialog zwischen dem Autor und seine Frau nicht statt. Die Frau des Autors taucht nur als beobachtetes Objekt auf.
Und auch die Lebensverhältnisse des Autors werden nie beschrieben. Über die Schicksale anderer deutschen Auswanderer erfährt der Leser mehr Details als über die ökonomischen Wirtschaftsbedingungen des Autors. Es muss nicht sein, aber interessanter wäre es schon gewesen. Denn in jedem Brasilien-Forum findet sich hierzu mehr als in jenem Buch.
Ach ja: Positiv fand ich definitiv, dass Rio de Janeiro in dem Buch nicht existierte. Dieses Reiseziel hat er sich und dem Leser zugunsten anderer guten Detailbeschreibungen erspart.
Wer nach Reise-Alternativen in Brasilien sucht, der wird in dem Buch garantiert fündig. Der Werbetexter Perter Reinhold hat seine Arbeitsprobe mit diesem Buch geleistet. Meine Anerkennung.
Wer Auswanderinformationen und behördliche Details in dem Buch sucht, wird nicht direkt fündig. Als Behörden-Reiseführer Brasiliens ist das Buch absolut ungeeignet.

Zusammenfassung
Auf einer Schulnoten-Skala zwischen 1 und 6 gebe ich dem Buch eine „3“ mit Tendenz zur „2“. Ausschnittsweise werde ich das Buch sicherlich noch lesen, aber sicherlich nicht in seiner Gänze.

Nebenbei:
Das Buch hat der Autor seiner brasilianischen Frau Tina gewidmet. Ob sie überhaupt ein bisschen deutsch? Im Buch erfährt der Leser es jedenfalls nicht.
Das Buch „Brasilien im Original“ findet sich bei Amazon hier.