Same day, same shit. Damnit.

Seine Maske war alt, grau und das Gummi ausgeleiert. Ich reichte ihm eine neue FSP2er rüber. Er nickte dankbar, riss die Plastikhülle auf, nahm die alte ab, legte sie beiseite neben seinem Glas auf dem Tisch und setzte die neue auf.

»Danke. Hier hat die Regenzeit begonnen. Die Leute erkranken leichter. Es war schon immer die Zeit für Grippe und harte Erkältungen.«

»Ich brauch sie nicht mehr. Das Virus ist unter Kontrolle.«

»Hier auch. Nachdem aber die Sterblichkeit während der Pandemie auf das vierfache angewachsen war … die Leute sind gesundheitsbewußt.«

»Ach ja?«

»Ja.«

»Und warum sind dann hier die Straßen vermüllt? Warum liegt hier der Dreck in den Rinnsteinen? Warum laufen ungeklärte Abwässer in den Fluss? Warum sind die Flussufer mit Plastik übersät?«

»Der Fluss trägt halt Niedrigwasser. Extremes Niedrigwasser. Da wird der Müll nicht fortgetragen und bleibt. Ist doch bei auch so, oder? Ihr sorgt doch auch dafür, dass die Flüsse den Dreck so schnell wie möglich ins Meer befördern, oder?«

»Nein. Das machen wir nicht. Wir haben eine funktionierende und wirtschaftlich blühende, private Abfallwirtschaft.«

»Stimmt. Eure Aldi- und Lidl-Tüten findet man nicht bei euch in den Flüssen, sondern im Mariannengraben. Was interessiert uns der Mariannengraben.«

»Eher wenig, denn für einen Urlaub ist der zu weit weg. Und dann auch das permanente Hochwasser dort unten. Solange Tauchboote bereits auf Titanic-Tiefe implodieren, nichts für den allgemeinen Tourismus.«

»Yep, maximal empfehlenswert nur für Exkursionen von Milliardären mit ein wenig Kleingeld in der Portokasse. So wie beim Mount-Everest als Antagonist zum Mariannengrab.«

Mit seiner linken Hand korrigierte er den Sitz der neuen Maske. Mit dem Zeigefinger seiner rechten schubste er die alte Maske vom Tisch. Sie segelte unbeachtet zwischen zerknüllten Servietten und verbeulten Coladosen. Die Aufgaben für die Reinigungskräfte des nächsten Morgens.

»Du weißt, wer die Pandemie angestoßen hatte?«

»Bei uns wird kolportiert, dass es ein Reset der Wirtschaft sein sollte und um die Bevölkerung demütiger gegenüber der reichen europäisch, jüdischen Gesellschaft zu machen. Um das Leben der da oben zu denen uns da unten besser und eindeutiger zu organisieren. Um uns zu bevormunden und unsere Mündigkeit zu entziehen.«

»Nein, das ist alles Schwachsinn. Die Pandemie wurde allein von der Drogenmafia organisiert. Damit die ihre Handelsbereiche ausdehnen können.«

»Das ist jetzt aber eine billige Erklärung.«

»Allerdings ist sie stichhaltiger als eure Reich-will-reicher-werden-Erzählung.«

»Sie sind aber reicher geworden.«

»Na und? In der Pandemie wurden alle weggesperrt und die Drogen-Mafia konnte sich aufgrund fehlender Polizei-Kontrolle vermehren. Wie die Karnickel würdet ihr sagen. Vor 20 Jahren war für uns die Verbrecherorganisation ‚Comando Vermelho‘ nur eine aus Rio de Janeiro. Dann wurde 2017 die Drogenorganisation FARC aus Kolumbien, die ihr nur als gewaltbereite und terroristische Oppositionsbewegung in Kolumbien kennt, zu schwach. Die FARC stimmte deren Entwaffnung zu. Das ging aber zu langsam. Das ‚Commando Vermelho‘ aus Rio de Janeiro erkannte deren Chance und durch Verhandlungen mit chinesischen Laboren konnte 2020 die Welt dazu bewegt werden, Einflusssphären in Südamerika fallen zu lassen und dem ‚Commando Vermelho‘ die Globalisierung zu ermöglichen. In dieser Millionen-Stadt wird jeder Straßenzug durch einen Repräsentanten des ‚Commando Vermelho‘ kontrolliert. Die Polizei hat keine Macht mehr. Sie fügt sich inzwischen, so wie die Politiker. Das ‚Commando Vermelho‘ ist zu mächtig geworden, weil sie einfach die besseren Löhne zahlt.«

»‚Commando Vermelho‘? Sind das einflussreiche Bankiers aus den USA?«

»‚Commando Vermelho‘ entstand aus den Gefängnissen Rio de Janeiros der 80er Jahre. Als Diktatoren gewöhnlich Verbrecher mit politischen Häftlingen zusammen brachten und daraus eine gefährliche Melange entstand. Und diese Melange hat seit der Pandemie Südamerika übernommen.«

Ich schaute ihn zweifelnd an.

»Können wir uns nicht darauf einigen, dass einflussreiche Familien der US-Banken versuchen, die Weltherrschaft zu erringen?«

»Während deren Söhne und Töchter an den Nadeln der Drogen-Mafia ‚Commando Vermelho‘ hängen? Eure Theorie ist weltenfremd.«

»Eure ist Quatsch. Die Banken haben das Geld.«

»Welches von der Drogen-Mafia an denen verliehen wird.«

Ich schaute in mein Glas. Eine Luftblase arbeitete sich vom Glasboden nach oben, um dort zu zerplatzen.

»Ihr seid doch Verschwörungstheoretiker. Ihr, mit eurem ‚Commando Vermelho‘.«

»Und ihr glaubt noch immer an das Goldene Kalb, welches euch die Banken als Götze des Hasses präsentieren.«

»Euer ‚Commando Vermelho‘ sind reine Kriminelle, unsere Banken und seine angeblich so ehrbaren Leute sind die eigentlichen Gefährlichen.«

Er hob sein Glas und hielt es mir zum Anstoßen hin.

»Weil bei euren Banken eh die Drogen-Mafia das Sagen hat. Ihr merkt es nur nicht. Ihr seid Verschwörungstheoretiker, keine Realisten.«

Ich hob mein Glas, stieß an und erwiderte:

»Vielleicht haben wir alle es einfach nur nicht verstanden. Ein Virus hat schlicht die Welt lahmgelegt. Und keiner will dem Virus so etwas wie Schuld nachsagen, weil ein Virus einfach nicht nach Geld und Eigentum strebt.«

»Tja, Schuld und Sühne sind menschliche Begriffe, die ein Virus nicht kennt. Nur, lediglich Ursache und Wirkung ist dem Menschen zu wenig.«

»Also alles Verschwörungstheorien?«

»Was die Erklärungen anbetrifft, ja. Der Rest ist einfach frei von Schuld und Sühne, weil nur Ursache und Wirkung existieren.«

»Und das reicht dem Menschen nicht. Ursache und Wirkung ist dem Menschen zu profan. Macht einfach keinen Sinn.«

»Schuld und Sühne, danach lässt sich locker beurteilen und verurteilen. Wenn ein Stein auf dem Boden fällt, lässt sich leicht Empörung generieren, was dem Stein einfalle, einfach so zu fallen und keinen Widerstand dagegen zu bieten. Die Schuld ist somit klar definiert und die Sühne ist der Steineklopfer mit seinem schweren Vorschlaghammer. Aber Ursache und Wirkung, also Schwerkraft und damit verbundenes Fallen, das ist alles zu einfach. Das ist ohne Moral. Dinge ohne Moral ist wie Sex ohne Gefühl. Geht gar nicht und ist Sünde.«

»Naja, etwas ohne Moral ist daher auch nichts wert. Und SÜnde ist eh ein Moral-Begriff.«

Er schob kurz seine Maske runter und leerte das Glas in einem Zug.

»Ich wünsche dir noch viel Spaß mit euren Banken und den Auswirkungen von Corona.«

»Gerne. Ich bedanke mich als Vertreter des ‘uns’. Und ihr?«

»Wenn ich mich nachts in dieser Stadt nicht mehr auf die Straße traue, weil die Drogen-Mafia das nicht so gerne sieht, dann schicke ich dir den letzten Straßenzustandsbericht erst am nächsten Morgen mit der Post. Vorausgesetzt mir wird tagsüber nicht von Motorradbanden mein Geld geklaut.«

Er ging.

Ich starrte auf mein Glas. Halb voll.

Mit Südamerikanern kann man einfach nicht vernünftig argumentieren und denen erklären, wo die eigentliche Bedrohung der Gesellschaft sitzt. Vor halb leeren Gläsern.