Keine weiße Weihnachten, oder: Der Weihnachtsmann kam nur bis Golgota

Fahren bedeutet auszuweichen. Der Weg ist nie das Ziel, der Weg ist der Zweck. Fahren bedeutet, Schlaglöcher zu vermeiden. Auf unbekannten Straßen im Verkehr mitzufliessen und dabei die eigenen vier Rädern von den Untiefen der Schlaglöchernzu bewahren, ist eine Herausforderung. Besonders dazu noch, wenn die Motorradfahrer die Autofahrer als veritable Slalomstangen betrachten.

Rechts und links der Straßen liegen die Versammlungsstätten. Religiöse Vereinigungen buhlen um die Transzendenz der Menschheit. Und wahrlich, die Verkehrsteilnehmer mit ihrer Risikobereitschaft auf zwei oder vier Rädernlässt sich nur mit der Überzeugung erklären, dass das Leben nach dem Tode ein Fakt ist.

„Jesus hat mir dieses Fahrzeug ermöglicht“ ist ein beliebter Aufkleber auf den Heckfenstern und Windschutzscheiben. Wir wissen zwar nicht, wer dieser Gutmensch „Jesus“ zu sein scheint, aber im Zeitalter „von Leistung muss sich lohnen“ kann es nur ein bekloppter Milliardär sein, der mit Geldscheinen nur um sich wirft, wie das Kölner Dreigestirn mit Kamelle und guter Laune.

Familien sind in Feiertagsstimmung. Herd, Gasflaschen und Töpfe werden an deren Leistungsgrenzen getrieben. Gebraten, gegrillt, gekocht, gerührt, geschüttelt, als ob es keinen Morgen gibt. Was du heute kannst besorgen, was bedarf es dabei ein morgen? Morgen ist jedwegiges Heute schon von Gestern.

Ein neuer Tag. Der Fluss hat seinen absoluten Tiefststand  seit den Aufzeichnungen seines Wasserstandes bereits erreicht gehabt. Er füllt sich. Es regnet vermehrt Starkregen. In einem Monat sollten die Schiffe auf dem Trockenen zu ihrer handbreit Wasser unter dem Kiel kommen. Indessen werden die Schlaglöcher vom Starkregen sauber ausgespült und von deren Anwohnern stets mit Abraum aus der eigenen Hausrenovierung aufgefüllt. Sisyphos hätte sicherlich seinen Spaß daran als dankbare Abwechselung gefunden.

Vor drei Dutzend Jahren war es noch die Überlegung, wo die AmEx-Traveller-Cheques am sichersten im Gepäck verborgen waren, vor anderthalb Dutzend Jahren war die Kreditkarten-Notrufnummer sicher in den Ausweispapieren abgelegt, jetzt ist das Smartphone das Zahlmittel. Paypal, Pix oder QR-Code, wer die Wahl hat, hat sie mit seinem Smartphone. Bargeld ist zu unsicher, zu unvirtuell, weil physisch raubbar. Wer geschmückt wie ein Weihnachtsbaum durch die Straßen wandelt, wird abgeschmückt. Wer glaubt, der Weihnachtsmann käme an Heilig Abend mit einem Schlitten vorgefahren und bringe Geschenke, der wird durch jene Abräumer in die Realität eingeholt und überfahren. Nicht selten durch junge, dynamische, flexibel arbeitende Motorradfahrer mit aktiven Sozius hinter sich.

Die romantische Vorstellung eines in rot gekleideten Mannes, der sich in einem Holzgefährt mittels Rentieren durch die Welt kutschiert, will hier nicht passen. Es fehlt dazu der Schnee. Schneeflocken haben hier ganzjährig eh keine Chance. Eher wird „Last Christmas“ von Wham in zwei Jahren aus dem kollektiven Gedächtnis dieser Welt verschwunden sein, als dass es hier auch nur eine Schneeflocke „Hallo“ hauchen könnte. Und sollte doch hier mal ein Weihnachtsmann mit seiner Rentierabteilung vorbei schauen, dann brechen sich seine Renntiere binnen hundert Metern ihre Haxen in ein Dutzend Schlaglöchern. Oder Motorradfahrer haben die Tiere beim Slalomfahren in den Wahnsinn getrieben.

Und der Weihnachtsmann? Der kam niemals an. Er kam auch nicht, als er dringend von seinen Gläubigern am 24ten angefleht wurde, vorbei zu schaun. Warum auch? Schon während der Covid-Pandemie, als hier viele einfach starben, hatte sich weder Präsident noch Gott um das Sterben der Leute gekümmert oder gar ein Wunder bewirkt. Was interessiert schon das Leben der anderen, die Not haben. Weihnachten ist letztendlich auch nur ein Fest von „Friede, Freude, Eierkuchen“.

Nur Jesus, der verschenkt Fahrzeuge und die Leute danken es denen in deren religiösen Versammlungsstätten. Und es steht außer Frage, dass sich alle bei deren Tun dann nur das eine fragen: „Was würde Jesus tun?“ Zum Beispiel in oder auf einem Fahrzeug die Straße vom Highway zur Hell zu machen. Denn allein dann kann man den Schlaglöchern vor einem ausweichen … .

Ich fahre dann mal weiter.

2 Gedanken zu „Keine weiße Weihnachten, oder: Der Weihnachtsmann kam nur bis Golgota

  1. Was würde Jesus tun? – Spannende Frage, der ich beim nächsten Hindernisparcours über die Autobahnen und Landstraße in meinem Herzen nachgehen werde.

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