Von Wölfen, Bären, Schafen und Fellen

Wolfspelze sind momentan im Angebot. In XL, in XXL und in 3XL. Totschick. Kombinierbar mit dem neusten, veganen Patchwork Velours-Trainingsanzug aus dem Highend-Labelstore der geheimen Seitenstraße in der Landeshauptstadt. Ausschließlich für Insider, die wissen, was ihnen steht. Für die größeren Größen ab 4XL gibt es Bärenfelle. Ebenfalls wie die Wolfspelze sind diese frisch erlegt, gestriegelt und vorher mit Trichloraldehydbibenzol-haltiger und Vitamin P302 angereicherter Tensid-Lauge gewaschen. Damit diese fies müffelnden Pulverrückstände der Schrottkugelgewehre verschwinden. Vom Material und von der Haptik, da tun sich die beiden Pelze nichts.

Nur zum Verständnis bei den Bärenfellen: Wer eine Körperfülle ausweisen kann, welche die Kleidergröße 4XL erfordert, nur solch eine Person ist für Bärenfelle tauglich und zum Tragen derselben auserlesen.

Denn im Gegensatz zur potenziellen Expansion der Leibeskörperumfangfülle eines Menschen vergrößert sich gleichzeitig nicht auch damit die Ohren an dem Kopf des Bärenfelltragenden. Ohren überschreiten eine gewisse Größe nie, so dass, wenn jemand einem Bärenfellträger auf offener Straße das Fell über die Ohren zieht, dieser Person nicht auch die Ohren abgerissen werden.

Gerade eben drum, weil viele Mitmenschen Ohrenschmuck tragen und sie beim Verlust eines Bärenfells nicht wollen, auch noch dafür bluten zu müssen, ist es wichtig, diese 4XL-Mindestgrößenregel zu beachten. Wolfpelztragende müssen beim Fellabziehen solch ein Risiko in Kauf nehmen. Sie sind also gewissermaßen “Bärenfelle light”-Träger, also eine Spezies der Bulimie-Erkrankten mit Modebewusstsein.

Ob Wolfspelze oder Bärenfelle, eines ist beiden gemein: sie schmücken den Träger und sie verhüllen jedes Schaf.

Richtig. Verhüllen jedes Schaf.

Niemand will mehr Schafe. Oder Schaf sein. Denn das Schaf an sich hat in den letzten Jahren erheblich an Popularität verloren und ist nicht gern gelitten. Das hatte bereits mit der Pandemie und seinen Pandemiegegnern beim Schlafen mit Schafen begonnen. Schlafen mit Schafen? Ja, deren Motto war ganz Woody Allen-mäßig: ”Wie du mi’, so do mi’.” Drum mag jetzt auch keiner Schafe mehr.

Wer heutzutage in einer Dönerbude „Döner mit schaf” bestellt, kriegt die gleichen verachtenden Blicke wie diejenige Person, die in Düsseldorf ein Kölsch mit Weißwurstsenf als Dressing bestellt. Selbst die Schnellsprechversion „Döner schaf” in der Dönerbude macht es nicht besser. Erst recht nicht ein joviales „Döner määäh”. So etwas provoziert maximal angehende Kleingärtenpächter zu der bedenklichen Kalauer-Antwort: »Mäh’ doch selber.«

Denn es gilt der Sinnspruch: wer das „r” nicht ehrt, ist der Schärfe eines Döners nicht wert und wirkt zweitens wie ein dummes Schaf der deutschen „r“-Landschaft. Wer das „r“ nicht beherrscht, beherrscht auch nicht das dominante Wort „richtig“, sondern hat sich verlegen mit dem unterwürfigen Wort „genau“ auszuhelfen. Die „r”-Verwender können somit als die würdigen Bärenfellträger eingeordnet werden. Und die Wolfspelzverwutzer als eher als getarnte submissive „genau”-Sager.

Allen beiden ist allerdings mithin gemein, dass sie zutiefst in ihrem Innern lediglich Schäfchen sind. Zwar lieben sie scharfe Sachen. Zum Beispiel Frauen mit Leopardenfellhüte in Leopardenfelltangas auf Leopard-Panzer. Oder zum Beispiel Männer mit Leopardenfellhüte in Leopardenfelltangas auf Leopard-Panzer. Aber das war es fast schon.

Fast. Bis auf eine Eigenart: Menschen, die wiederkäuend wie Schäfchen auf Chillies starren. Dann beißen jene todesmutig die Zähne zusammen und hauen sich die Chillies freiwillig in die Ladeluke, wie andere sich ihr Popcorn im Kino einschmeißen. Die schmalen roten Chillies. Oder die dicken kurzen. Oder die mittleren langen. Hauptsache rot und scharf.

Hauptsache Chillies. In Todesverachtung essend. Danach unter rinnenden Schweiß und laufenden Tränen sich dem Ritual der Schnappatmung und des Schluckaufs ergebend. Und zu guter Letzt, wie springende Offiziere von Luftlandetruppen dazu auf und ab gehend. Wie sagte bereits Gert Fröbe als ‘Oberst von Holstein’ im Film „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“?

»Es gibt nichts, was ein deutscher Offizier nicht kann!«

Also, Leute, kauft Wolfs- und Bärenpelze. Freilich vorzugsweise Bärenpelze. Und vorzugsweise für Männer der Zielgruppe von 23 bis 43 Jahren. Denn dazu passt immer ein passender Kinn- und Backenbart mit frisch rasiertem Schafsschädel. Frauen in diesem Zielgruppenalter können sich ja Leopardenfellhüte besorgen. Sieht auch ganz schmuck aus.

Alle anderen Gruppen von Menschen, die in diesen beiden Gruppen der 23- bis 43-Jährigen nicht reinpassen, die sind eh lost. Die sind dumme Schafe halt, welche in Döner-Läden dumme Schaf-Witze machen und immer »genau« sagen. Die Generation der gutturalen Laute, die lieber wie Tauben auf Dächern sitzen, statt wie ein Spatz in einer Hand.

Diese „g“-Gurru’s murmeln vorzugsweise leise stündlich ihr Mantra »Sich rää-gen, bringg-t sää-gen«, als sich täglich laut im Bärenfell als richtige Retter des „r“s zu präsentieren. Mit ihren Glaubenssatz zum Schutze ihrer Gewissheit schreien sie stumm die Bärenfell- und Wolfspelzträger an:

»Leggt mich am Ge-säß, ihre Schafe! Denn es kommt der Ta-ag, da will die Sää-ge sää-gen.«

Tja. Und mehr ist dann nicht mehr.

Demnächst sind übrigens wieder Zwergpygmäenpinscher zum Schafe-Hüten gefragt. Deckt euch mit diesen lieber heute schon mal für morgen ein.

Deren traurig überzüchteter Hundeblick ist einmalig. Da gehen sogar Wölfe und Bären freiwillig auf die Knie, vor Rührung weich gespült. Schäfchenweich …

Und überhaupt ist mal wieder alles klar, auf der Andrea Doria …

»Das Schiff sinkt!«

»Und woran möchtest du das bitte festmachen?«

»Das Bug hebt sich!«

»Das ist immer so, wenn ein Schiff beschleunigt. Der sehr starke Heckmotor haut rein, zieht das Schiff durch seine Pferdestärken im Dieselaggregat hinten runter und das ganze Schiff beschleunigt. Eine göttliche Power hat dieser Motor!«

»Aber hinten läuft kein Motor mehr.«

»Vergaseraussetzer. Kennt man doch. Scheiss Ingenieurskunst. Taugt ja alles nichts. Made in Germany war mal erheblich besser. Früher war alles besser. Und nicht so schrottig wie heute!«

»Aber die Leute da vorne, am Bug, die rutschen bereits zum Heck runter!«

»Ja und? Ist doch normal, wenn das Heck unterhalb vom Bug liegt. Das ist physikalisch normal. Dazu braucht es keine Wissenschaftler. Hätten die Leute dort jetzt bessere Schuhe, wäre das denen nicht passiert. Die sind selber Schuld dran, dass die jetzt rutschen und gegen die Wände schlagen.«

»Steuerbord habe ich bereits Wasser reinlaufen sehen.«

»Das Schiff hat Lenzpumpen. Die pumpen das locker weg. Ganz easy peasy locker. Dafür sind die ausgelegt. Zum Trockenpumpen.«

»Aber Backbord …«

»Du musst hier nicht den BigMac markieren, nur weil du ein paar Seemannsausdrücke kannst.«

»Mir egal. Backbord liegt oberhalb von Steuerbord. Ich will zu den Rettungsboten.«

»Es gibt keinen Grund für Rettungsbote. Erst recht keinen Grund zur Panik.«

»Wo sind die Rettungsboote? Auf halb achtern?«

»Angst zu verbreiten ist eine ganz miese Tour von dir! «

»Ich will überleben!«

»Wollen wir doch alle. Oder kannst du mir einen nennen, der nicht leben möchte?«

»Aber du sagtest doch, dass hier nichts untergeht! Stimmst du mir jetzt doch zu, dass wir sinken?«

»Na und? Wenn es um Rettungsboote geht, dann immer zuerst die Nicht-Schwimmer, nicht war. Das erfordert schon der Anstand. Anstand heißt, zu warten, bis alle Nichtschwimmer versorgt sind, wenn das Schiff untergeht. Dann können die Schwimmer, denn die können notfalls auch schwimmen.«

»Aber das Schiff geht doch unter!«

»Quatsch. Bleib gefälligst hier und hör auf Panik zu schieben. Nur weil einige um uns herum unbegründet den Untergang ausrufen?«

»Die ersten sind schon zu den Rettungsbooten unterwegs.«

»Ty-pisch! Immer diese, die alles unreflektiert glauben, statt es zuerst einmal zu hinterfragen! Und statt dann sich zu fragen, wer nicht schwimmen kann, …«

»Du kannst nicht schwimmen?«

»Nein. Also gehört mir zuerst ein Platz in den Rettungsbooten.«

»Aber du hast doch gesagt, dass das Schiff nicht sinkt, sondern nur beschleunigt.«

»Eben. Daher besteht auch kein Grund zur Panik. Wenn alle so ruhig bleiben würde wie ich, dann wäre hier keine Panik. Und man könnte die Rettungsboote im Ernstfall auch noch nutzen.«

»Oh Gott! Der Vorderteil des Schiffs ist abgebrochen! Um Himmels willen!«

»Siehste! Das macht die Panik. Alle sind nach vorne zum Bug gelaufen, weil keiner am Heck bleiben wollte. Der Bug wurde dadurch zu schwer und ist jetzt abgebrochen. Das sind die real existierenden Auswirkungen von Angst und Panik, hervorgerufen durch Menschen, die alles nachreden, was man denen vorredet. Statt sich erst einmal auch mit vernunftbegabten Menschen abzusprechen.«

»Das Schiff sinkt. Ich will zum Rettungsboot.«

»Ty-pisch. Statt erst einmal zu fragen, wer nicht schwimmen kann?«

»Nicht-Schwimmer?«

»Überzeugter! Ich lass mir doch von niemanden sagen, dass ich auf dem Lande schwimmen können muss. Nur weil einige wenige meinen, dass das Überleben im Wasser vom Schwimmen abhängt. Das Überleben im Wasser hängt ab von den anderen Menschen, die einem dann helfen. Niemand muss schwimmen lernen. Und wenn man schwimmen kann und dabei einen Beinkrampf bekommt oder Herzinfarkt oder Schlaganfall oder Krebs und deswegen ertrinkt, was hat es dann gebracht, schwimmen zu können? Schwimmen ist nicht erforderlich, weil es auf dem Land kein Wasser gibt.«

»Aber hier könntest du doch ein Bedürfnis danach haben, oder? Mach hinne, die Zeit rennt auch gegen dich! Renn um dein Leben!«

»Das Bedürfnis schwimmen zu lernen, wird doch von den anderen Menschen hervorgerufen, die dauernd Angst wegen dem Nicht-Schwimmen erzeugen wollen und am liebsten eine Schwimmpflicht hätten. Damit sie in den Schwimmbädern mit Schwimmkursen ein Heidengeld an uns Nicht-Schwimmern verdienen können. Auf unsere Kosten! Für etwas, was nicht über längere Zeit als wirksam überhaupt zu 100% bei jedem Menschen getestet wurde.«

»Soll ich dir jetzt etwa die Grundzüge des Schwimmens beibringen? Oder kommst du freiwillig mit zu den Rettungsbooten?«

»Nun mal keine Panik auf der Titanic. Ich lasse mir von dir doch keine Schwimmstunde aufdrängen, nur damit mir nachher eine Stunde Lebenszeit fehlt. Und außerdem ist es meine freie Entscheidung, in ein Rettungsboot einzusteigen oder nicht.«

»Dann verreck!«

»Moment! Du kannst nicht einfach meinen Platz im Rettungsboot einnehmen! Ich bin Nicht-Schwimmer!«

»Dann lern schwimmen!«

»Bin ich Fisch, oder was? Für sowas opfere ich doch nicht meine Lebenszeit! Das darf ich doch wohl noch selber entscheiden! Oder willst du mir meine Freiheit einschränken?«

»Dann verreck!«

»Ty-pisch! Ty-pisch Spalter! Diese Spalter müsste man ans Kreuz schlagen! Die spalten mit deren Mentalität die Schiffsgemeinschaft und sind Schuld, dass Menschen ertrinken. Nicht weil das Schiff sinkt, sondern weil die uns als Opfer in Kauf nehmen, indem sie uns zur Wahl zwingen wollen zwischen Ertrinken und Schwimmen-lernen! Die wollen uns zwingen, statt uns die freiheitliche Wahl zu lassen.«

»Niemand zwingt dich zu überhaupt zu etwas! Verdammt, das abgebrochene Heck rollt immer stärker! Ich bin dann mal weg, zu den Rettungsbooten! Ciao!«

»Dann hau doch ab zu deinen Rettungsbooten! Und lass uns Nichtschwimmer doch vorsätzlich allein, du asozialer Sack, du! Ich bleib hier. Das hier ist kein Schiffsuntergang. Dafür gibt es keine evidenzbasierten Beweise dazu. Alles wird gut. Alles wird wieder gut! Und ich werde recht behalten. Und euch Panikhansel wird kein Hahn überhaupt ein Kickeriki nachkrähen, wenn ihr in euren Rettungsbooten abgesoffen seid. Denn 10% von diesen ungetesteten Rettungsbooten kentern sowieso. Sowieso. Da! Da hinten, das gelbe Rettungsbott. Siehste! Eine Welle hat es gerade versenkt! Siehst du das, du Schlafschaf, das immer in der Masse schwimmen will, statt selbst mal zu denken?!?  Na. Da hatte ich doch recht. Das Bott ist untergegangen und die Insassen kämpfen jetzt sogar noch um deren Leben. Es gibt keinen Grund für Rettungsboote. Kein Grund. Nicht einen. Die wurden alle nicht getestet. Von wegen Schiffsuntergang! Kellner! Einen Martini-Cocktail, bitte! Aber bitte rühren und nicht schütteln!«

Ein Kellner-Tablett war im Begriff, auf den Holzplankenboden an ihm vorbei zu schlittern. Es trug zwei halb-volle Cocktail-Gläser. Einen Swimming-Pool und einen Martini. Er stoppte das Tablett geschickt mit dem linken Fuß und ergriff beide Cocktails, während der Kellner hinter ihm an ihm vorbei fiel. Der Blick des Mannes mit den beiden Cocktailgläsern in der Hand, fiel auch mich:

»Hey! Hey du! Was machst du da?«

»Ich schreib nur das alles mit. Für meinen Blog. Ein neues Post,« antwortete ich schüchtern.

»Hab ich das erlaubt? Hast du dafür meine Einwilligung? Das ist illegal! Du kriegst Post von meinem Anwalt!«

»Ich dachte, ich könnte weil … das hier ist eine Notsituation und …«

Er bewegte sich mit den beiden Cocktails bedrohlich auf mich zu:

»Notsituation?«

Ich überlegte fieberhaft meine Antwort. Und dann sprudelte es einfach so aus mir heraus, einfach so, während ich alles auf meinem Notebook abspeicherte, es herunterfuhr und in den wasserdichten Seesack stopfte:

»Nun ja, ich dachte, ich schreib mal mit, bevor hier alles voll Wasser ist. Einfach mal, bevor es keiner mehr lesen kann. Als Nachgedanken an die Nachwelt zum Nachdenken. Als etwas Historisches. Heroisches versus feiglinghaftes. «

»Und? Hast du keine Angst? Keine Panik? Willst du nicht das tun, wie hier alle tun?«

»N … n … n …ein, nein.«

Er lachte laut auf.

»Lobenswert! Du lässt dich nicht von der Panik der Masse anstecken und glaubst nichts vom dämlichen Narrativ der Ängstlichen. Von wegen Untergang. Pah! Du bist ein Mann nach meinem Geschmack, mein Bester! Hier, nimm einen Cocktail und lass uns auf das Leben trinken! Und auf diese Panikhansel spucken! PROST!«

Ich nahm den mir angebotenen Swimming-Pool, trank einen Schluck, hustete ein wenig, nahm den zweiten Schluck und danach wurde es dunkel. Absolut finster. Absolutes nichts.

Und so verschwand meine historische Geschichte für die Nachwelt im Orkus des Internets.

Für immer.

Ungelesen.

So war es, ich schwöre.

Kneipengespräch: Der brutal negative Einfluss der Mainstream-Medien

Koelsch

»Endlich ist es mal vorbei, mit diesen Corona-Trendgequatsche.«

»Wie bitte?«

Mein Thekennachbar schaute mich fragend an, während mir der Wirt ein neues frischgezapftes Kölsch vorbei brachte.

»Ich sagte, endlich ist es mal vorbei, mit diesen Corona-Trendgequatsche.«

»Und ich sagte, wie bitte?«

Ich schaute ihn irritiert an: »Wollen Sie mich provozieren?«

»Ich trinke hier nur meinen Kaffee«, sagte er und rührte in seiner Tasse. Daneben stand ein Glasfläschchen. Er öffnete es und schüttete kleine Kügelchen in seinen Kaffee. Und rührte wieder um.

»Süßstoff?«, fragte ich.

»Nein. Globuli. Arsenicum album.«

»Arsenicum album? Leiden Sie unter Magenbeschwerden, Durchfall oder Erbrechen?«

»Nein. Ich habe die von meiner Frau. Diese Kügelchen sind wunderbar zum Süßen von Kaffee.«

»Ist das nicht teuer?«

»Jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir auf. Aber meine Frau kauft es Dutzendweise.«

»Zum Süßen von Kaffee?«

»Nein, gegen Magenbeschwerden, Durchfall und Erbrechen.«

»Was hat sie? Ich hoffe doch nichts gefährliches.«

Er legte seinen Löffel beiseite, ergriff seine Tasse nahm einen Schluck, verweilte einen Moment, setzte die Kaffeetasse ab, schraubte den Deckel vom Glasfläschchen ab und schüttete nach.

»Sie hat durch eine Nomophobie-induzierte Heterophobie gepaart mit derealisationsähnlichen Symptomen.«

Er bemerkte meinen fragenden Blick.

»Ihr Arzt hat das diagnostiziert und weil sie Magenbeschwerden, Durchfall und Erbrechen hatte, verschrieb ihr der Arzt Arsenicum album.«

»Und es wirkt?«

»Anscheinend. Die Symptome Magenbeschwerden, Durchfall und Erbrechen, die sie immer wieder tendenziell bemerkte, die seien wohl vorbei, meint meine Frau. Seitdem soll ich ebenfalls – vorbeugend – täglich ein paar Globuli einschmeißen, damit ich nicht auch Auswirkungen ihrer Nomophobie-induzierten Heterophobie gepaart mit derealisationsähnlichen Symptomen bekomme.«

»Haben Sie dieses Nomophobie-Symptom-Gequatsche auswendig gelernt?«

Er antwortete zuerst nicht, sondern rührte wieder seinen Kaffee um. Dann blickte er mich an und meinte: »Der Glaube versetzt Berge und die Globuli machen den Kaffee süß. Und immer wenn ich in einer Kneipe bin und Stammtisch-Luft schnuppere, schütte ich etwas davon in meinen Kaffee. Als ihr Wort ‚Corona-Gequatsche’ fiel, merkte ich mal wieder, wie sie wirken.«

Ich hatte nicht genau verstanden, was er meinte: »Was bitte?«

»Es wirkt gegen ‚Corona-Gequatsche‘-Ansichten.«

»Sie wollen sagen, ich rede Quatsch?«

»Ihre Worte.«

So ein Arsch, ging es mir durch den Kopf. Wenn solche Menschen denkfaul sind, dann sollten die sich mit solch einer dümmlichen Meinung zurück halten. Ich ergriff mein Kölsch und nahm einen Beruhigungsschluck. ‚Corona-Gequatsche‘, das war doch nur ironisch sarkastisch mit einem Schuss Ernsthaftigkeit gemeint. Das war doch eindeutig witzig, humorvoll. Was glaubte der eigentlich, wer er ist? Einer dieser Pseudo-Informierten?

»Und was meinen Sie genau mit ‚Corona-Gequatsche‘-Ansichten?«

»Genau das, was ich gesagt habe. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Aha.«

Ich drehte das Kölsch auf meinem Deckel. ‚Corona-Gequatsche‘-Ansichten. Soso. Man kann sich zwar seine Stammkneipe aussuchen. Nur Gäste, die darf man leider nicht sich vorher aussuchen. Und erst recht nicht Sitznachbarn.

»Ich finde, dass in dieser Hochwasserkatastrophe, der Staat gründlichst versagt hat, wissense. Die ganzen Politiker, die gehören alle mit ihren Hochwassertourismus in dem Schlamm eingebettet, den die selber nicht wegräumen wollen.«

Er blickte von seinem Kaffee hoch und sah mich an. Ich rümpfte die Nase ein wenig, um ihm mitzuteilen, dass das Fakt sei. Dass die Politiker einen absolut schlechten Job in der Hochwasserkatastrophe gemacht hatten. Da war verdammt viel Luft nach oben, den Raum, den sie nicht fähig waren, mit Kompetenz auszufüllen.

»Wenn Sie meinen.«

»Ja, meine ich. Haben Sie nicht die vielen Interviews dieser Selbstdarsteller gesehen? Kaum richtet ein Kamera-Team die Objektive und Mikrofone auf sie, da werden sie ach-soooo mitfühlend in ihren nigelnagelneuen Gummistiefeln. Richtige Empathie-Monster. Dabei imitieren die doch bloß.«

»Aha.«

»Ja. Aha. Genau. Man muss sich diese Selbstdarsteller mal genau anschauen in diesen Mainstream-Medien. Diese gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen und die Politiker arbeiten doch Hand in Hand. Clericus clericum non decimat.«

»Aha. Sie hatten Latein in der Schule, oder? Humanistisches Gymnasium, wa?«

»Das heißt für Sie übersetzt: die eine Krähe hackt der anderen Krähe kein Auge aus.«

»Das heißt das sicherlich nicht.«

»Woher wollen Sie das wissen? Hatten Sie Latein?«

Er lächelte leicht spöttisch und rührte in seinem Kaffee. Der Wirt brachte mir ein frisches, neues Kölsch. Vier Striche auf meinem Deckel. Wenn es läuft, dann läuft’s.

»Nein, aber ‚clericum‘ hört sich eher nach Kirche an, statt nach Ornithologie. Obwohl, ist eigentlich das gleiche. Es geht auch der Kirche immer nur um klandestine Gelegenheiten zu Vögeln.«

»Hab ich übers Vögeln gesprochen?«

»Nein, aber über Klerikale. Ist das nicht eh das gleiche?«

Guter Versuch. Diese Strategie von ihm. Whataboutism in Reinform. Immer ablenken und andere themenfremde Themen zum Hauptthema machen. Tintenfischtaktik. Vernebeln bis zur Unkenntlichkeit. Er lächelte und ich versuchte zu kontern:

»Eben nicht. Wenn diese Selbstdarsteller in Katastrophengebiete sich von anderen Selbstdarstellern interviewen lassen, aber ansonsten keinen Handschlag tun, dann ist das pervers. Und dafür zahlen wir alle diese Zwangs-GEZ-Gebühren.«

»Die GEZ gibt es schon lange nicht mehr. Feindbild ‘GEZ’ ist sowas von Nuller-Jahre. In welcher Welt leben Sie?«

»Sie wissen, was ich meine!«

»Was meinen Sie denn?«

»Die Politiker tun gar nichts. Aber lassen uns zahlen. Immer. Immer nur wir. Die nie. Sondern stattdessen lassen sie uns Menschen allein und lachen auch noch hinterrücks, wenn sie meinen, man sähe sie nicht. So wie der lachende Laschet im Rücken vom selbstredenden Steinmeier. Aber wir, wir sind nicht blind, nicht wahr. Wir sehen es! Die absolute Dreistigkeit der Mainstreammedien ist es dann sogar, so etwas trotzdem zu senden!«

»Was hätten sie sonst machen sollen? ARD-Brennpunkt zu Laschets Lach-Flash? Halbstündige Sondersendung im ZDF? Und Steinmeier dann auffordern, seine Rede nochmals zu halten, während Laschet nicht mehr hinter ihm stehen darf?«

Ich hatte das Gefühl, der Typ legte es drauf an, mich vorsätzlich wegen meiner begründeten Meinung zu provozieren: »Was Sie da reden ist doch Quatsch! Wegen Menschen wie Sie trauen sich doch immer weniger Menschen ihre Meinung zu sagen! Menschen wie Sie sind die nützlichen Idioten der Mainstreammedien«, blaffte ich ihn an.

»Na, immerhin besser nützliche Idioten als unnütze Idioten, nicht wahr?«, antwortete er und lächelte maliziös. Erneut provozierend.

»Ach ja? Gäbe es die vielen Menschen nicht, die unentgeltlich jetzt in den Hochwasserkatastrophenregionen helfen, dann würden die armen Bewohner der Gegenden weiterhin in ihrem Dreck stecken und leiden. Der Staat aber tut nichts. Stattdessen lässt er von sich Hochglänzbilder und -videos fürs Abendprogramm seiner Medien-Vasallen zwischen Salzgebäck und Bier präsentieren. Statt sich mal mit den Betroffenen zu unterhalten und deren Sorgen und Nöte empathisch zu verstehen. Empathie ist denen völlig fremd.«

Ob dieser eklatanten Arroganz der Politik hatte ich mich in Rage geredet. Mein Kölsch war schon zur Hälfte getrunken und ich überlegte, ob ich aus dem Rest noch zwei Schlucke machen oder es gleich exen sollte. Die leichte Schaumkrone in der Stange sprach eher für die Zwei-Schluck-Strategie. Der Wirt blickte in meine Richtung und suchte mein Vorhaben an den Falten auf meiner Stirn abzulesen.

»Ist das so?«, fragte der Kaffeetrinker neben mir betont vorsichtig zurück.

»Ja, was soll es denn sonst sein? Es ist doch auffällig, dass es nicht nur mir allein auffällt.«

»Wieso? Wem fällt es denn noch auf?«

»Sie lesen nur Mainstream, oder? Lesen Sie doch mal auch alternative Medien. Zum Beispiel die Nachdenkseiten! Jens Berger, der Spiegelbestseller-Autor seines Corona-Buches, dieser hat einen bemerkenswerten Artikel über diese Selbstdarstellungssucht der unfähigen Politiker geschrieben. Auch in anderen alternativen Internet-Blogs finden Sie gleiches. Das ist die Phalanx gegen die stupiden Mainstreamer!«

»Jens Berger? Der Meister der adjektivierten Substantive? Der Spieler mit Adverbien und Füllwörter, Konnotationen und Selbstbeweihräucherung? Der selbst nicht davor zurück schreckt, sich selbst als valide Quelle zu zitieren?«

»Was wissen Sie denn schon über Jens Berger?«

»Einiges. Auch über Albrecht Müller, dem Herausgeber der Nachdenkseiten. Wenn man Albrecht Müller als den feingeistigen Degenfechter gegenüber der vermeintlichen Bedrohung einer Übermacht des organisierten Verbrechen, also einer staatlichen Konglomerat-Bande, bezeichnet, so ist Jens Berger der Hackebeil-Schlächter, der es versteht seine gedanklichen Rundumschläge in nett anzuschauender adjektivistischer Pseudo-Intellektualität adverbial zu verpacken. Ich würde ihn ebenfalls zu den ‚unnützen Idioten‘ einordnen. Beide sind doch in einem Wahn behaftet, von einer Allmachtsphantasierealitätsgestaltung anderer beherrscht zu sein.«

Wortungetüme aussprechen, das konnte er wohl. Aber Inhalt statt  nur solche Worthülsenabsonderung? Für einen Moment musste ich mich sammeln. Vor mir saß ein Ignorant, ein Hetzer und ein Dummkopf par excellence, der sich der Wahrheit, der Realität verweigerte. Ein Schöngeist. Ein Dummkopf: »Ach ja? Er steht allerdings nicht alleine mit seiner fundiert begründeten Meinung. Im Gegensatz zu Ihren Hetzereien hier.«

»Hetzereien? Oder wollten Sie sagen, Ketzereien? Wo ist denn Jens Berger seine fundiert begründete Meinung?«

»Er bringt Quellen, die zeigen, dass der Staat komplett unfähig ist, Katastrophen angemessen entgegen zu wirken, dass der Staat komplett unfähig ist, zu helfen, dass unsere Politiker nur Reden vor deren Lakaien mit Kameras schwingen statt selber mal tatkräftig anzupacken. Und das weist er nicht erst seit der Hochwasserkatastrophe, sondern bereits seit seit März 2020, dem Anbeginn von Corona, nach. Wie hilft denn der Staat? Wo isser denn, wenn es darum geht Katastrophen zu vermeiden und nach Katastrophen tatkräftig anzupacken? Wo sind denn deren Lakaien und Vasallen, wenn es darum geht, das echte Leid mal deren öffentlich-rechtlichen Zuschauer nahe zu bringen? Wo sind sie denn alle?«

Ich musste Luft holen und das tat ich zwischen zwei Schlucke Kölsch. Ja, ich hatte mich in Rage geredet. Nun, wenn ein solcher Spinner neben mir einen solchen Unsinn ablässt und keiner da ist, um solch einem Tand zu widersprechen, ist es dann ein Wunder, wenn dann jeder voller Angst feststellt, dass dieses Land mit Politikern als Kapitäne volle Fahrt auf den nächsten Eisberg zu hält? Und dass sich ein Land kontinuierlich abschafft, dafür war dieser Kaffeetrinker neben mir am Tresen der lebende und treffenste Beweis.

»Der Staat hilft …«, setze er an.

»Ja, wo isser denn in den Katastrophenregionen?«

»Feuerwehr, Rote Kreuz, Polizei …«

»Ach ja, paar Tröpfchen auf dem heißen Stein.«

»THW, Bundeswehr …«

»Jaja, das Lieblingsargument. Aber die wahren Helfer sind die Leute der Umgebung und aus anderen Gegenden. Nur Feuerwehr, Polizei und THW behindern diese, statt denen Raum zum Helfen zu geben! Und die Bundeswehr mit ihren paar Hilfsmittelchen wird nur deswegen beachtet, weil die Mainstreammedien mit Tele auf deren einzelne Bergungsfahrzeuge zoomt. Da brauchste nur ins Internet zu gehen, da findeste Hunderte von Belegen, was da alles für ein Scheiß vom Staat passiert! Der organisiert gar nichts, wenn mal ne Katastrophe passiert!«

Ich winkte dem Wirt für ein neues Kölsch.

Der Nachbar hier nervte langsam. Keine Ahnung von nichts, aber mitreden wollen. Wie hatte Dieter Nuhr schon 1998 treffend in dem damaligen Programm von ihm bemerkt: Wenn man keine Ahnung hat: Einfach mal Fresse halten.

Wobei, das Zitat ist zwar von ihm, aber die eigentliche Quelle ist Ekel Alfred Tetzlaf aus der Mendes-Serie »Ein Herz und eine Seele«. Aber damals war das in der normalen Sprache der Mitte 1970er gesagt worden. Eine Barbrock wäre für das Abkupfern eines solchen Spruches gesteinigt worden. Dieter Nuhr hat die Gunst des Spätgeborenen. Daher darf er auch über Baerbocks aus anderen Büchern kopierten Stellen in deren Buch lästern. Denn er hat Ahnung und hält deswegen nicht seine Fresse.

»Was denn nun?«, fragte er mich im ironischen, leicht sarkastischen Tonfall, »beteiligt sich der Staat nun? Oder beteiligt er sich nicht? Oder hätte er Rosinen-Bomber starten lassen sollen, die Euro-Geldscheinbündel über das Krisengebiet abwerfen? Oder Lebensmittel-Pakete? Oder Pampers, zum Aufsaugen der überflüssigen Flüssigkeiten in jenen Dörfern? Die THW-Helfer werden durch selbstdeklarierte Querdenker-Aktivisten behindert, weil diese Aktivisten jene als Büttel des Staates sehen. Die fahren sogar nachweislich mit Fahrzeugen herum, welche Polizeifahrzeugen und deren Lackierungen nachgeahmt wurden und verkünden den Bewohnern per Lautsprecher, dass der Staat sich bei der Hilfsaktion zurück zieht und die Hochwasserofper alleine lässt. In Ahrweiler. Mit Fahrzeugen aus hier um der Ecke: Starnberg. Nummernschild lässt grüßen. Berichtet darüber auch ein Jens Berger? Oder tut er es nicht, weil er damit den Staat und seine Bediensteten nicht niedermachen kann? Wer erkennt darin ein Muster?«

»Sie werden unsachlich!«

»Und Sie blicken es nicht«, gab er mir zurück. »Katastrophen sind keine Katastrophen, wenn man deren Verlauf im Voraus kennt. Dann wären es schlichtweg normale Ereignisse. Wer sich beklagt, dass der Katastrophenschutz seiner Aufgabe nicht nachgekommen wäre, der hat nicht die Natur einer Katastrophe verstanden. Katastrophe an sich ist etwas unkalkulierbares, das immanente Risiko des Daseins, der Existenz. Wenn es keine Katastrophen gegeben hätte, würde in ihrem Vorgarten noch immer ein Diabloceratops grasen, begleitet von einem Neandertaler und dessen LAG Lucy. Und für Sie wäre es eine Katastrophe. Verstehen Sie? Ein Dino der ihren Garten ohne Lizenz abgrast. Katastrophenschutz ist eine Risikoverminderung, allein getätigt aus einer Risikoabschätzung! Und gerade beim Thema Wetter sagt doch eh jeder, dass der Wetterbericht von morgen die Lüge von heute ist. Keiner vertraut dem Wetterbericht von morgen. Da genießt das tägliche Sternzeichen-Horoskop der BILD-Zeitung bereits erheblich mehr Vertrauen.«

Der Typ bewies, dass ihm der richtige Durchblick fehlte. Sternzeichen-Horoskop. Ein wohl arg verwirrter Esoteriker. Ganz klar, der Typ neben mir verstand nichts, blickte nichts. Aber auch dreimal nichts. Geschweige war sein Nachdenk-Vermögen auf niedrigem Niveau. Vernachlässigbar. Ein totaler Nullblicker:

»Sie reden am Thema vorbei! Wahrscheinlich sind Sie auch der Ansicht, der Starkregen ist der Klimawandel«, erwiderte ich und versuchte meine Stimme dabei ganz sachlich zu halten.

»Natürlich nicht!«, entgegnete er, »weil Wetter und dessen Auswirkungen sind nicht der Klimawandel, sondern die Hinweise, weswegen dass das Klima dabei ist, sich negativ zu verändern. Kimawandel passiert nicht zwischen Salzgebäck und Bier und zwischen ‘Bachelorette 2021’ und ‘Deutschland sucht den Superstar’, sondern zieht sich unerbittlich über zwei, drei Menschengenerationen hin.«

Zwei, drei Menschengenerationen. Als ob er solange schon gelebt hätte. Als ob er Wissenschaftler wäre. Der Typ nervte. Die Weisheit glaubte er wohl gepachtet zu haben. Eine eindeutige Auswirkung der verschroben verschobenen, manipulierenden Ansicht der Wahrheit der Mainstreammedien:

»Aha, Sie haben also die Weisheit mit Löffeln aus der Mutterbrust ihres Mainstream-Fanboy-Tums gesaugt, nicht wahr?«

»Nein. Selbst meine Mutter schwörte bereits auf Globuli. Ebenso wie meine Frau heute. Nur nannte meine Mutter Globuli immer nur ganz profan ‘Zuckerwürfel’. Und auch noch ‘effektive Süße’. Zuckerwürfel knackten wenigstens beim Kauen zwischen den Zähnen. Globuli dürfen das nicht, weil sonst schädigen sie den Zahnschmelz nachhaltig. Drum lösen die sich schneller auf als Süßstofftabletten. Sind allerdings aber auch teurer. Aber meine Frau zahlt’s ja.«

Er griff erneut zu seinem Gläschen und schüttete wieder eine Portion in seinen Kaffee: »Tja, nur, Süßstofftabletten sind erheblicher effektiver in Sachen Süßen als Globuli.«

»Würde der Staat effektiv in den Katastrophengebieten helfen, dann würde sich niemand beschweren. Dann hätte auch ein Jens Berger nicht als Kronzeugen der staatlichen Untätigkeit das ‚Lohnunternehmen Wipperfürth‘ in seinem Nachdenkseiten-Kommentar anführen müssen. Schau dir doch die Videos an, auf dessen Facebook-Account. Wie er das filmt, was man in den Öffentlich-Rechtlichen verschweigt. Was man dort nicht berichtet, weil man das Versagen derer politischen Protegés kaschieren möchte.«

Während ich das sprach, liefen vor meiner inneren Leinwand erneut die erschütternden Videos des Markus Wipperfürth ab. Das brutale Elend. Die hoffnungslose Trostlosigkeit. Und dagegen die heldenhafte Tapferkeit der unermüdliche Helfer. Und dann wieder die hilflos zuschauenden Opfer, die auf deren vernichtetes Hab und wertlos gewordenes Gut blicken. Die den untätigen Staat berechtigt für dessen vorsätzliche Tatenlosigkeit anklagten. Und dann wieder die unermüdlichen Helfer. Und dann die verzweifelten Opfer. Und weit und breit kein staatlicher Helfer. Nur untätig herumstehende Staatsbedienstete, außer wenn sich gerade ein Objektiv oder Mikro auf jene richtete.

Er schaute mich zweifelnd an: »Ehrlich? Jens Berger, der Feind der órganisierten Überwachung durch Facebook, Amazon, Mikrosoft und Apple, der hat also einen Account, mit dem er die Videos überhaupt sehen kann? Interessant, dieses Schattenleben im Flutlichte von Facebook. Und: Sie beklagen die Hilfsbereitschaft der Freiwilligen? Und um jene noch weiter zu heroisieren, stellen Sie das angebliche Fehlen staatlicher Organisationen heraus? Weil der Staat keine Lohnunternehmen besitzt, weil er keine Armee der Starkregen-Sondereinsatzkommandos unterhält, ist es das, was falsch läuft? Oder ist es das Beklagen, dass der Staat Arbeitseinsätze nicht im Sinne des Kapitalismus bezahlt, sondern sozialistisch auch auf kostenfreie Nachbarschaftshilfe im Sinne der christlichen Nächstenliebe setzt? Ich hatte eine Woche vor der Katastrophe ein Gespräch, in dem beklagt wurde, dass Deutsche herzlos seien und sich kaum für das Schicksal seiner Nächsten interessieren. Würde jemand leblos in der Fußgängerzone liegen, niemand würde sich drum kümmern. Weil der Staat seine Bürger zur seelenlose Wesen erzieht und Ignoranz belohnt. Kaum eine Woche später entlarvt sich dieses Gelaber jetzt als Unsinn. Oder etwa doch nicht? Aber dem Staat kann man es vorwerfen. Das Volk ist freilich nicht der Staat. Das Volk ist dem Staate ein Fremdkörper, oder? Der Staat, das ist eine Clique von Selbstbereichernden, die andere Selbstbereichernde an deren Selbstbereicherung hindern. Ein Staat, der das Glück auf Bereicherung untersagt? ist das die logische Weiterentwicklung der Anklagen an den Staat? Redet eigentlich jemand in den alternativen Medien von den organisierten Plünderungen in den Hochwassergebieten, welche die Polizei bereits bei angeblichen ‘Schrotthändlern’ festgestellt hat? Nein? Komisch. Der Mainstream berichtet darüber. Den alternativen Medien ist es nicht reitschusterisch genug? Nicht Borriss genug, oder? Eben Weil es keine Kritik am Staat wäre? Erkennen Sie das Muster?«

Während seines Monologs ohne Punkt und Komma hatte er sich inzwischen zu mir rüber gebeugt. Dieses Verhalten war definitiv übergriffig. Das bemerkte ich gleich, das musste mir mein Gefühl nicht erst bestätigen. Typisch, wenn Argumente ausgehen, werden solche Tyen einfach mal übergriffig. Wenn so einer schon über Muster redet, entdeckt so einer überhaupt bei sich selbst seine Muster?

Nun, andererseits ist das mir auch nicht unbekannt, dass, wenn Menschen keine validen Argumente haben und deren Idiotie auf anderer Weise Nachhaltigkeitsbestreben sucht, sie mit allem an psychologischen Machwerk agieren, um deren Gegenüber in Argumentationsschwierigkeiten zu bringen:

»Wissen Sie, Sie brauchen sich nicht so zu mir herüber zu beugen. Das gibt ihren Argumenten auch keine bessere Position.«

»Ach ja?«

»Ach ja. Denn es geht nicht um das neoliberale Bezahl-Prinzip ‚Geld für Leistung‘, sondern hier geht es um gerechte ‚Aufwandsentschädigung‘ für erforderlichen Einsatz, nicht wahr. Wertschätzung? Kennen Sie das Wort überhaupt? Würde man Geld sofort an Bauunternehmen geben, dann müssten nicht so viele Freiwillige aufräumen!«

»Also, genau so wie das Modell ‚Masken gegen Geld‘ im letzten Jahr? Ist Ihnen aufgefallen, dass die Dokumentenfälschungen der Grünen Kanzlerin Baerbock in dieser Nation mehr Staub aufgewirbelt haben, als dass eine Partei mit gesellschaftlich postulierten christlichen Grundwerten mit getürkten Masken-Deals ordentlich in die eigene privatwirtschaftliche Tasche gewirtschaftet hat? Das Modell hatte doch auch Schiffermännchen zu persönlichem Reichtum geführt. Schiffermanneken lässt sich seine Wertschätzung auf sein Konto spenden. Er bittet und Hundertausende oder gar Millionen folgen.«

»Also, ‚getürkt‘, das ist jetzt wohl absolut eindeutig rassistisch! Da sollten Sie sich mal hinterfragen, wessen Geistes Kind Sie sind. ‚Getürkt‘. Unglaublich.Das man so etwas in diesem Jahrhundert noch hören muss. Ich dachte, Rassismus wäre überwunden!«

Er lachte: »Kommen Sie mir nicht damit, oder gehören Sie auch wie jener Nachdenkseiten-Jens-Berger zu den ‚Cancel Culture‘-Hassern? Die es bedenklicher finden, dass einem Antisemit dessen Internetauftritt gesperrt wird, als sich mit dessen antisemitischer Vergangenheit und seinem nachweislichen Verschwörertum auseinandersetzen?«

Diese abgrundlose, hetzerische Bemerkung hatte ich nicht erwartet und sie schlug mir auf den Magen. Ich versuchte meine Übelkeit zu unterdrücken:

»Jens Berger gehört zu den besten Kritikern in Deutschland, die es gibt! Er gehört zu den wahren Intellektuellen Deutschlands, zu den wahren Nachdenkern! Also hüten Sie ihre Zunge!«

»Ja, nee, is klar. Den meinte ich mit dem Antisemitismus-Vorwurf nicht. Jens Berger weigert sich aber, damit auseinander zu setzen. Die ihn darauf hinweisen, nennt er beckmesserisch. Sein Lieblingswort. Jens Berger folgt einem charakteristischen Muster. Immer wieder. Es scheint seinem Lesern aber nie aufzufallen. Vielleicht sollten dessen Leser sich mal dessen Argumentationslinien pro Kommentar aufzeichnen, vielleicht fällt denen dann das Berger-Muster auf.«

Er lachte kurz auf und setzte fort: »Er ist der Widerstand. Jedenfalls meint er es. Jens Berger ist komplett gegen das Tragen von Masken, weil er keinen Sinn in der Corona-Bekämpfung darin sieht. Deswegen leistet er auch Widerstand dagegen. Er hat auch geschrieben, wie er es tut. Dessen eigene Worte: indem er auf den Parkplätzen vor den Supermärkten keine Maske trägt, obwohl es gefordert war. Toll. Ein Held. Wahrscheinlich hat er auch den Lohnunternehmen Wipperfürth dessen Videos gesehen und hat dazu zu Hause tatkräftig seine zwei Daumen nach oben gezeigt: Und weil es heißt ‚Tue gutes und rede drüber‘, hat er in den Nachdenkseiten drüber geschrieben.«

»Hetzer! Sie reden nur Schwachsinn! Ist Ihnen da überhaupt klar?«

»Jens Berger ist genau eines der Exemplare Gutmenschen, also jene, welche ihm so verhasst sind. Schon mal aufgemerkt, dass er immer darüber meckert, was er selber an sich wohl nicht mag? Ist dir nebenbei aufgefallen, dass der Berger-Held Wipperfürth kein Vorbild sein kann? Ich sage nur STVO §23 und STGB § 201a. Besonders STGB § 201a. Jeder reklamiert Gaffer und die moralische Grenzwertigkeit von Sensationsberichterstattungen. Aber wenn es dann passiert, klatschen die Gleichen dann permanent Applaus. Natürlich nicht, wenn es Öffentlich-Rechtlich passiert. Dann ist das Geschrei groß, weil es Gaffertum und ähnlich mieses ist. Also die privaten Sender wie BILD-TV, die dürfen es, wenn es denn auch Werbung von Nestlé, Pampers, Procter & Gamble und eis.de gibt. Die sind dann innovativ. Öffentlich-rechtliche machen so etwas nicht. Deswegen sind die auch nicht innovativ, sondern ganz im Gegentum.«

Beherrschung.

Beherrschung.

Schreien wäre die richtige Reaktion.

Nur, wer schreit, der hat niemals recht.

Also Beherrschung.

Beherrschung.

Hetzern begegnet man nicht mit der Machete. Der zielsichere Stich mit dem feinen Florett ist erforderlich. Ein kräftig geführter Strich eines profunden Arguments ist immer der Feind einer labberigen, unfundierten Meinung. Nur darf man sein Gegenüber nicht so einfach gegen den Kopf stoßen. Man will ihn ja schließlich überzeugen, man ist ja schließlich Mensch.

Ich atmete tief durch, griff mein Kölsch und feuchtete meine Kehle an. Kölsch. Nichts hilft besser in solchen Situationen als der wohlgeformte Geschmack eines prickelnden Kölsch. Viva Colonia, viva la vida. Ich schaute meinen Tresennachbarn an und entgegnete:

»Sie greifen ziemlich in die unterste Schublade. Vielleicht sollten Sie sich mal Gedanken machen über den Unterschied zwischen einer sachlichen Auseinandersetzung und einem persönlichen Angriff. Wenn Sie nicht verstehen, dass sie beleidigend sind, kann ich Ihnen nicht helfen beim Nachdenken. Verzichten Sie bitte auf weitere wortreiche Epistel.«

»Epistel? Richtig, ich vergaß, Sie sprechen auch fließend lateinische Sprichwörter. Sie waren Lehrer in einem früheren Leben, nicht wahr? Sie sind der Meinung, ihre Schüler verehrten Sie, nicht wahr? Auch wenn sie es Ihnen nicht permanent zeigten. An Ihnen ist der absolute Oberlehrer verloren gegangen. Niemand hat Sie befördert. Verstehen Sie? Sie wären jemand, welcher jene Rainer Fühlmichs und seine Brüder Schiffermanns dieser Welt, jene Wolle Wordargs und den anderen Suchart Bakdadis der Randwissenschaftlichkeit, also Sie wären einer gewesen, der diesen den Weg der wahren Wahrheit weisen könnte. Ein wahrer Messias. Nun. Die ersten beiden genannten haben ja bekanntlich Hunderttausende an Spendengeldern auf deren private Konto eingesammelt. Sie dagegen haben nichts auf ihrem Konto, nicht wahr?  Die Füllmichs dieser Welt wollten mit dem eingesammelten Geld die Drostens dieser Welt verklagen, um damit der Welt zu erklären, das alles mit Corona-Bezug nur ein Witz wäre. Der zweite von den ersten beiden heulte öffentlichkeitswirksam über angeblich an Masken erstickte Kinder, tränenreich, anklagend, extensiv, pseudo-empathisch um Spendengelder einzusammeln, um dann dann Safaris in Tansania den Querdenkern anzubieten. Beide sind wohl ne Reinkarnation von den Politikern Friedrich Zimmermann, Old-Schwurhand, welcher dem Titel ‚Ankündigungsminister‘ in den 1990er Jahren erst seine Berechtigung gab. Aber wer interessiert sich schon für Ankündigungen von Querdenkern, die nicht umgesetzt wurden?«

Er schütte dabei erneut Globuli in seinen Kaffee, rührte erneut um, schmeckte das Ergebnis mit seinem Löffel ab und fuhr fort:

»Wenn eine Gruppe den Begriff ‚Postfaktische Wahrheiten‘ und ‚Fake News‘ ebenfalls mit Inhalt unterfüttert hatte, dann die Gruppe jener vier. Deren Vorteil war es bislang immer gewesen: wenn die was ankündigten und es trat nicht ein, oder wenn deren Behauptungen als falsch entlarvt wurden, es hat kein Schwein interessiert. Es stand in keiner Presse. Nicht mal in den alternativen Medien. Die alternativen Medien sind eh die Besten im Auslassen und Verschweigen, da hilft mal ein wenig Nachdenken, um das zu verifizieren. Aber passiert so etwas dem Mainstream, dann kleben die alternativen Medien wie Fliegen am Leimfänger daran. Der Unterschied? Fliegen sterben, alternative Medien leben vom Leimfänger, weil sie im Leim den Honig rausschmecken. Deren Motto: vom Mainstream lernen, heißt siegen lernen.«

Ich hatte ihn bei dieser unsäglichen Aussage gemustert gehabt. Dieser Mensch war der Typus, der keine Frau für seinen Haushalt und sein Bett abbekommen hatte und jetzt alles auf ein Randthema sublimiert hatte. Wenn es einen Beweis für die Gefährlichkeit der Mainstream-Medien, also der Öffentlich-Rechtlichen mit deren verfehlten Bildungsauftrag, gab, dann war er es: manipuliert, verblendet, auf Mainstream-Linie getrimmt und auch noch gefährlich eloquent. Im Grunde war jener es nicht wert, noch ein Wort mit ihm zu wechseln. Nur wir alle wissen: wer bremst, der verliert:

»Ach ja? So eine gequirrlte Scheiße, die Sie hier ablassen. Gäbe es die alternativen Medien nicht, die Mainstream-Knispel würden heute noch ungestraft in den Katastrophengebieten deren Lügen verbreiten.«

»Richtig. Mud-Facing der Mainstream-Medien ist ja kein Thema für die alternativen Medien. Weil es nicht von den öffentlich-rechtlichen Medien begangen wurde.«

»Mud-Facing?«

»Mud-Facing. Genauso mies und untergründig wie Black-Facing. Wenn sich Reporter der privaten Sendeanstalten bei der Berichterstattung Schlamm ins Gesicht schmieren, um authentischer zu wirken, um als Helfer zu wirken. Wenn Axel-Spinger-Verlag-Zeitungen und deren TV-Formate über TV-Empfangsgeräte und im Internet deren Senf und Müll zu dem angeblichen Staatsversagen gemeinsam zu den Hochwassermüll an den Straßenrändern stellen und es medial als Gold deklariert wird, dann sollte eigentlich jeder aufmerken. Da redet keiner von diesen Ach-so-Querdenkenden über Mainstream, eben weil es nicht mehr öffentlich-rechtlich ist. Alchemisten, die aus Stroh Gold produzieren wollten, waren schon im Mittelalter die unantastbaren heiligen Kühe zum Melken für eine verschrobene Minderheit. Warum sollte es heute anders für alternative Medien sein?«

C360_2013-12-12-17-12-54-529_DxO_thumb.jpg Ich schnaufte.

Ich atmete tief.

Nein. Nicht provozieren lassen.

Nein. Niemals. Nimmer. Nicht.

Diese Verblendeten legen es drauf an, andere zu blenden. Jene sind argumentativ geschult, kadermäßig wahrscheinlich, und machen aus komprimierter Scheiße mit viel Druck Kunstdiamanten. Jene Manipulierer sind gefährlich. So wie eine Sekte. Wie Influencer.

Ich schnaufte.

Ich atmete tief.

Nein. Nicht provozieren lassen, aber auch der Antwort nicht schuldig bleiben:

»Wir zahlen Zwangsabgaben für das Öffentlich-Rechtliche, die deren Bildungsauftrag nur als Hofnarrenonanisten der Regierung verstehen. Die betreiben Hofnarrenonanie! Das sind Wixer! Totale Wixer!«

»Sie sind Sexist? Wixer bezieht sich nur auf Männer. Geht gar nicht. Das ist misogyn. Und auch noch misanthrop. Ich hab was dagegen. Auch ein paar Globuli? Dann ist der Kaffee nicht so bitter.«

»Ach, Sie haben wohl ihr Abitur an einer Fernhauptschule übers Internet gemacht, oder was? Oder war es doch eher Lotto, Toto, Rennquintett?«

»Sie werden unsachlich.«

»Ha! Berechtigte Polemik ist das! Von wegen unsachlich. Gegen Sie hilft nur der starker Strich der Polemik! Unbelehrbar Sie sind! Uneinsichtig eine Sache ihres Geistes ist! Hetze ihr Talent ist! Wie bereits Kindermund sagte: Wer nicht denkt, gibt zu denken. Und wie Sie jetzt bewiesen haben, Sie haben ihr Nachdenken outgesourct! Nein, Sie denken nicht. Sie nicht! Sie geben zu denken. Echt jetzt! Andere Menschen überdenken deren Meinungen, bei Ihnen wird maximal das eigene Auto per Partyzelt überdacht. Das ist ihre gesellschaftliche Maximalleistung, mehr nicht. Ihre Ansichten beweisen, dass das, wie hiesige Denker solche Menschen wie Sie beurteilen: Sie haben ihre Meinung schlafen gelegt und labern dafür Mainstream. Sie denken nicht. Nachdenken ist Ihnen ein Fremdwort!«

Ich ergriff mein Kölsch, mein Puls war auf 195, mein Bluthochdruck pochte mir in der Schläfe, vor meinen Augen imaginierte ich mir die Schlussszene vom ersten ‘Bladerunner’-Film. Riesige Angriffsschiffe brennend vor den Schultern des Orions. Nahe des Tannhäuser Tors C-Beams. Verlorene Momente, wie Tränen im Regen. Eine Taube gen Himmel. Ein Donnern, dann Ruhe. Langsam beruhigte ich mich wieder.

Selten hatte ich einen so verbohrten Menschen getroffen. Und das dazu in meinem Wohnzimmer. In meiner Kneipe! Wenn man noch nicht mal in seiner Kneipe seine wohl verdiente Ruhe haben kann, dann ist das Leben ein Krieg und der Tod wohl der Waffenstillstand. So musste es wohl sein.

Wer hatte diesen Knispel überhaupt rein gelassen? War der überhaupt doppelt geimpft? Wahrscheinlich sogar einer der ersten, die doppelt geimpft waren, ein Streber, einer, der FFP2-Masken als dessen Lebensstandard definiert. Einer jener, der die dümmlichen Maßnahmen des Staates ohne Widerspruch begrüßt, Für den die Eins-fünfzig auch geistig ein Maßstab als Abstand zum eigenen Hirn wichtig ist. Einer, der die Einschränkungen der Grundrechte schon immer wollte, dem eine Diktatur als Bereicherung seiner Lebensumstände erscheint. Einer, für dem Selbstverantwortung ein Fremdwort beim Thema Gesundheit ist, der aber dann im Katastrophenfall auf die Selbstverantwortung der Bürger pocht, statt den Staat in der Pflicht zur Hilfe sehen. Ein Mensch mit verqueer verquastem Demokratieverstand. Einer, der lieber die Diktatur einer wohlhabenden Oberschicht haben will, als dass das Volk das Souverän sein wird. Globalisierung statt Autonomie. Impfpflicht statt individuelles Wohlsein. Abwesenheit vom Staat statt Hilfe im Notfall. Hartz-4 statt Wohlstand für alle.

Wie kann man mit so einer Einstellung im Hirn überhaupt leben, ohne täglich Pillen schlucken zu müssen? Wie kann jemand überhaupt mit solchen Gedanken normal sein? Gibt es dazu nicht sogar etwas von Ratiopharm? Oder ist das ein Effekt der Doppel-Impfung? 5G? Gechippt? Oder nur lobotomiert? Schlägt so etwas nicht auch aufs Hirn? Das wollen doch die staatlichen Organisationen, diese mafiösen Weltherrscher, die uns als Schafe zu deren Schlachtbank zum finanziellen Ausweiden führen wollen? Bauern-Schachfiguren auf deren Brett, um für deren Bauern-Gambit herzuhalten?

Ich schnaubte erregt:

»Wissen Sie, was Sie sind? Sie sind ein Holocaust-Freund. Sie sind einer, der den Holocaust zu einem freundlichen Happening macht, weil er dauernd nur den Saikeirei als aufrichtige und reuevolle Entschuldigung vor Merkel und der amerikanischen imperalistischen Politik ausübt.«

»Saikeirei?«

»Unterbrechen Sie mich nicht dauernd! Sie mögen wohl keine andere Meinung, oder was? Kein Wunder, dass sich nachgewiesenermaßen heute immer weniger Leute angesichts solcher Äußerungen wie der Ihren trauen, ihre Meinung frei zu äußern. Denn niemand fragt mehr nach Meinungen und Meinungsaustausch, sondern immer nur nach Gründen. Saikeirei ist In Deutschland auch als der chinesische Begriff ‘Kotau’ bekannt.«

»Ich hatte nicht nach Ihren Gründen gefragt.«

»Immer unterbrechen. Ist wohl ihr Hobby, was? Können Sie noch etwas anderes? Gehen Sie mal auf die Bedenken und Argumentationen derjenigen ein, die nicht mehr das Gedankenschema und das Narrativ des Mainstreams mitmachen wollen. Praktizieren Sie nachdenken!«

»Bevor ich meinen ersten Kaffee leer trinke und Sie ihr siebtes Kölsch erhalten, würde ich gerne Ihre Meinung, also ihr Narrativ, zum Thema Querdenken erfahren. Kennen Sie Lore Lorentz Solo-Programm von 1988 ‚Regeln für Querdenker‘? Was würden Sie sagen, wenn Sie die heutigen Querdenker, Rechtsradikalen und Qanon-Jünger gemeinsame Sache machen sehen? Wäre Utøya und das Münchener McDonalds-Massaker vor zehn und vor fünf Jahren dann nur ein Fliegenschiss in der Geschichte der …«

Ich schnappte bei seinen Worten nach Luft. Er regte mich auf. Er war unsachlich, hetzerisch und offensichtlich ohne Ahnung von dem, was er sprach. Ich fiel ihm direkt ins Wort:

»Sie sind einer dieser verkappten Gutmenschen! Sie sollten …«

»STOPP!«

Der Wirt donnerte mir ein Kölsch auf meinen leeren Deckel. Pissjelb spritze es heraus, auf meinen hellen Wams. Der Spritzer hinterließ eine feuchte Kölschspur.

Mein Wirt starrte mich wütend an:

»Hast du das Schild hier am Tresen nicht gesehen?«

»Welches Schild?«

»Hier ist meinungsfreier Bezirk am Tresen.«

»Du willst meine Meinungsfreiheit einschränken?«

»Ja.«

»Mein ureigenstes verbrieftes Grundrecht? Meine eigene Meinung? Du hast sie ja nicht mehr alle! Wir sind hier doch nicht bei Adolf!«

»Ach ja? Ich bin hier Hausherr. Und Adolf Tegtmeier war schon immer mein Idol.«

»Den meinte ich nicht. Den anderen Adolf meinte ich. Den, der hier in München mit seiner Meinungsdiktatur angefangen hatte, welche andere hier … .«

»Nur den meinte ich nicht«, unterbrach mich der Wirt. »Ich meinte Adolf Tegtmeier und sein Motto ‚Bleibense Mensch‘. Jürgen von Manger. Dein Palaver geht schon über eine halbe Stunde. Da hatte Jürgen von Manger als Adolf Tegtmeier schon erheblich mehr Lacher produziert.«

»Was geht mich dein Adolf an. Ich verlange mein Recht auf Meinungs …«

»Hier! Auf diesem Schild steht: ‚Meinungsfreier Tresen‘. Wenn du die Lufthoheit über einen Stammtisch erobern möchtest, dafür habe ich extra den Raum da hinten rechts eingerichtet, den ‘Speakers Room’. Da kannste mit deinesgleichen reden und argumentieren. Aber verschone meine Gäste hier am Tresen mit deinen Mist!«

»Ach ja?«

»Bist du nicht vor einem Monat der Partei ‘AfD’ in deinem Viertel beigetreten?«

»Na und? Darf ich das nicht? Sind wir hier in Deutschland keine Demokraten mehr? Da darf ich meine Meinung haben, welcher Partei ich beitrete, oder etwa nicht? Wird man aufgrund der eigenen Meinung in diesem Land diskriminiert? Ist es schon wieder so weit?«

»Wie gesagt. Hinten rechts. Diskussionszimmer. Speakers room. Ansonsten, da drüben, schwere Tür, zum Öffnen ziehen und dann Tschüssikowski.«

Wutentbrannt zückte ich meine Geldbörse, entnahm drei Zehnerscheine, donnerte sie auf den Tresen neben das noch volle Kölsch, stand kochend auf und steuerte auf den Kneipenausgang zu.

Das effektvolle Knallen der Kneipentür gelang mir nicht. Der Wirt hatte nach Jahren endlich den Faulenzer der Tür repariert. Wie gut. Endlich mal eine positive Impression. Deutschland geht doch nicht so ganz den Bach runter, es tut sich was.

Das Leben ist voller Leid, Krankheit, Schmerz – und zu kurz ist es übrigens auch … (Woody Allen)

Das Spiel ist eröffnet.

Ein erneutes Match Mensch gegen Virus. Über vierzehn 24-Stunden-Runden. Der Sieger wird durch das Absterben des anderen gekürt. Ein Remis wird es nicht geben. Kampf ums Überleben.

Was ist der Virus? Was ist der Mensch? Ein Raubtier, ein Karnivor, ein Prädator? Ein unbequemer Gast auf dieser Welt? Die Krone der Schöpfung? Eine mit roten Blutkörperchen vollgestopfte Mammalia gesteuert mit ADHS im Hirn? Ein Attentat der Natur auf sich selbst? Eine schlechte Laune der Natur? Ist der Mensch souverän? Ist der Mensch autonom?

Nach Karl Marx, haben Philosophen immer nur die Welt interpretiert: Veränderung war nicht deren Metier. Allein der Kinder wegen müsste die Welt verändert werden. Nur eine neue Realität, die will keiner. Alle wollen nur die alte Realität. Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich.

Und am besten ist, der Mensch partizipiert an der Situation. Die Besten sterben zuerst. Niemand will beim Sterben der Erste sein. Helden, sagt man, Helden sterben immer zuerst. Denn sonst wären es keine Helden. Und Helden sollen immer die anderen sein. Denn man selber hat gerade zu tun. Damit, beim Sterben nicht der Erste zu sein. Erster zu sein, das ist maximal im wirtschaftlichen Leben förderlich. Denn wer Erster ist, der kassiert die ganze Ziffer aus der Bruchrechnung. Und die besteht bekanntlich aus Nenner und Zähler. Die Nenner stehen oben, die Zahler unten und es wird alles gebrochen. Das, was dabei raus kommt, also das Wichtige dabei, das ist der Rest vor dem Komma. Diesen Rest gilt es zu bekommen. Zum Erreichen des Zieles tut es notfalls auch Bestechung.

Das Problem der Bestechung ist nicht das Ungewöhnliche oder das Verwerfliche. Denn eigentlich ist es ja das Normale. Das Ungewöhnliche ist vielmehr bei allen die vielfachen Fragezeichen hinter der Frage: Echt? Hat der so wenig genommen? War der wirklich so bescheiden? Es wird dann auch gar nicht mehr großartig verschleiert. Nein, verschleiern ist ja bekanntlich belügen.

Es wird einfach gemacht, durchgeführt, umgesetzt. Hauptsache, einträchtig einträgig. Immer als Beratertätigkeit abgerechnet. Ist eigentlich bewusst, dass das Justizministerium zur Erstellung von Gesetzen Beraterfirmen beauftragt? Und wenn das Gesetz später kassiert wird, ist die Tätigkeit bereits bezahlt. Und allenthalben erfüllt ein großräumiges Schweigen die enge Sprachlosigkeit darüber, dass sprachgewaltige Experten stumme Experten beauftragen, gemeinsames Experten-Know-How zu simulieren.

Show-Program for customers. Das Handgeschäft der Zauberer. Wenn allerdings echte, also wirkliche Experten komplizierte Sachverhalte einfach erklären, dann ist das Geschrei groß. Denn Zauberer erklären nie deren Tricks. Also ist einer, der erklärt, wie es geht, eben drum allen suspekt.

Denn wer schon alle Herr-der-Ringe-Film-Folgen und alle Avengers-Filme sich einverleibt hat, der gibt sich nicht mehr mit normalen Erklärungen zufrieden. Da ist dann zu wenig Chichi, zu wenig Krach-Bumm-Peng und zu wenig Dutzend tote Affen-Trinitäten. Die Realität ist zu ernüchternd. Und deswegen muss dagegen die eigene Stimme erhoben werde. Gegen die Experten, welche wirklich Ahnung haben. Denn wenn denen keiner widerspricht, dann könnte die Ahnung aufkommen, dass man selber erst recht keine Ahnung habe. Ich frag mich, für wie blöd halten eben solche ihre Mitmenschen eigentlich?

Richtig. Genau für so blöd, wie wir nun mal sind. Wissen ist Macht. Von Experten mit Wissen, davon war ja bei „Wissen ist Macht“ nie die Rede. Es geht darum, Meinung zu äußern. Auch gegen Expertenwissen. Und wenn jene Meinungen kein Gehör finden, dann ist es opportun von Meinungsdiktatur oder Meinungszensur zu reden. Wissen, das ist etwas ganz anderes.

“Ich weiß, dass ich nichts weiß”, sagte irgendwer im alten Griechenland, kurz bevor er den gereichten Schierlingsbecher leer trank

“Ich weiß nicht mehr, was ich gewusst habe”, sagte irgendwer im Mittelalter angesichts der Folterwerkzeuge, die ihm präsentiert wurden.

“Hehehe, mir sollte mal erst jemand beweisen, dass ich etwas gewusst habe”, sagen die Leute von heute, vertreten deren Ansichten felsenfest und pochen auf Meinungsfreiheit.

In der Politik wird immer fatal deutlicher, dass in der Corona-Angelegenheit nie eine einheitliche Linie bestand. Vor zwei Wochen drohte Merkel noch, dass sie sich das Ganze in Deutschland keine vierzehn Tage mehr anschauen und dann reagieren würde. Hat Sie inzwischen auch. Sie denkt jetzt nach. Über eine gemeinsame bundesweite Linie der Länder zur Corona-Frage. Als Physikerin weiß sie, dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten keine gerade Linie ist. Bewusst wird ihr allerdings wohl auch, dass momentan die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten eher eine unbestimmte amorphe Linie ist.

Und weil eine gerade einheitliche politische Gedankenlinie nicht existiert, wird sie halt erdacht. Von anderen. Vorsätzlich konstruiert. Wo bestimmte Leute ohne Hosen da stehen, gefällt es den Züchtigen nicht und sie dichten denen eine gestrenge Hosennaht als Linie an. Damit dazu deren eigenes Denken quer gelegt werden kann. Eine erdachte Linie wird als real existierend erklärt. Ansonsten würde dem eigenen Querdenken überhaupt eine Orientierung fehlen. Man müsste dann zugeben, dass man im Denken amorph nachzugeben hätte, um gedacht quer zur Regierungslinie zu kommen. Was im Grunde ein ganz unsympathischer Gedanke ist. Eine schwabbelige undefinierte Linie als Basis der eigenen Querdenkerei.

Bereits damals hatten schon immer die Eltern ihren Kindern versucht zu erklären, der Klügere gibt nach. Der Klügere gibt nach und stellt sich nicht in die Quere. Der Klügere gibt nach und gönnt dem Denken das Verquere. Nur, Nachgeben ist ja nur etwas für Schwächlinge. Also jene, denen eben jene Herr-der-Ringe-, DC- und die vielen Marvel-Filme nicht gewidmet worden waren und die die Q-Denker jahrelang begeistert konsumiert hatten.

Das Prinzip “Der Klügere gibt nach” ist dumm, weil dann alle, die sonst nichts zu sagen haben, das Sagen haben werden. Aber nicht die Klügeren. Was den Querdenkern nicht gefällt. Auch wenn es denen nicht auffällt. Oder sollte den Eltern mal recht gegeben werden, dass sie doch recht hatten und die eigene jugendliche Pubertät nichts als die reine Pubertät war? So etwas geht gar nicht. Schließlich erklären bereits Psychologen, dass die Pubertät immer auch die Verneinung der Prinzipien in sich vereint, welche Eltern den Pubertierenden vorhielten, um sie in deren jugendlichen Handlungen zu entmündigen. Oder wie heißt es so schön: wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt hatten. Und womit? Mit vollstem Recht.

Aber das zu erkennen, würde bedeuten, dass Superman, die Hobbits und die Avengers in Ricks Café in Casablanca sich bei einem alten Cognac unter den Augen eines Kommandanten nie die üblichen Verdächtigen zur Brust nehmen würden. So sitzen sie einträglich mit deren Experten am gleichen Tisch und planen die nächsten Predigten für deren Gläubige. Die Bergpredigt über Thanos seinen Finger-Schnipp.

Es werden keine “Glorreichen Sieben” am Horizont zu meinem Kampf “Against all odds” auftauchen und mir helfen. Kein Avengers, kein Batman, keine Wonder Woman, kein Superman wird sich neben mir stellen. Allein.

Der Sauerstoffgehalt liegt bei 98%, Puls bei 79, Temperatur erhöht, leichter Husten, der Blutdruck wie immer zu hoch und das Konto für mein 14-Runden-Match noch gedeckt. Wie geschaffen für ein Duell mit einem Virus, der mit N501Y klassifiziert wird.

Los geht’s.

Lebe geht wieder.

Ich hasse die Wirklichkeit, aber es ist der einzige Ort, wo man ein gutes Steak bekommt. (Woody Allen)