Kneipengespräch: Das Bier und sein Meinungsreinheitsgebot

“Und? Wie isses?”

“Wie soll’s schon sein. Schlecht ist noch geprahlt.”

“Was ist so dringlich?”

“Unser Kölsch soll verboten werden.”

“Red’ keinen Müll.”

“Wenn ich es dir doch sage.”

“Unser Kölsch?”

“Es entspricht nicht dem deutschen Reinheitsgebot. Ich buchstabiere: ein rein, ein Heits, ein Gebot. Es geht um ein reines Lebensmittel. Es entspricht dem nicht. Sagen Biertrinker aus bayrischen Kneipen. Und nicht nur dort.”

“Nicht? Wie kann das sein? Es geht doch rein. Und das zugleich mit jedem Heitsgebot. Oder etwa nicht?”

“Kölsch ist nicht gesellschaftsfähig. Das Reinheitsgebot hat seinen Ursprung in Bayern, nicht in Köln. Das sollte jedem zu Denken geben. Zum Nachdenken.”

“Du machst Witze! Nachdenken über solche Seiten einer Meinung? Welche andere aufziehen wollen? Welche Interessen haben diese? Werden die von wem Speziellen dafür finanziert?”

“Kölsch widerspricht der bayrischen Bierkultur. Und weil das so ist, ist das jetzt ein gesellschaftlich missliebiger Faktor.”

“Hä? Kölsches Obergäriges ist nicht wie obergäriges bayrisches Weißbier zu beurteilen?”

“Es geht darum, welcher gesamtgesellschaftlichen Frage man Priorität einräumt, und wie man das dann gesamtgesellschaftlich löst. Dazu müssen alle Teile der Gesellschaft ihren Beitrag leisten. Auch mit Verzicht. Ansonsten steht eine Infizierung mit dem Kölsch-Virus als Gefahr für das bayrische Bier im Raum.”

“Du redest wie die Klimawarner. Hier geht es um Kölsch. Und nur um Kölsch. Und eben das hat seinen uneigennützigen Status in der einträchtigen Gesellschaft hinsichtlich des Reinheitsgebots.”

“Ein Vergleich mit solidarischem Verhalten bezüglich dem Reinheitsgebot ist absolut treffend. Die Bayern haben dazu eine eindeutig eherne Meinung. Es ist das, was man hier und heute am Tresen besichtigen kann. Das Kölsch in dünnen Stangen-Gläsern versus das bayrische Bier in stabilen Willy-Becher-Gläsern. Das bayrische Bier macht mehr her.”

“Aha.”

“Die Warnung vor dem Kölsch erinnert total an reine Panikmache. Hier wird der Konsum lediglich versucht, durch Angst und negative Gefühle komplett negativ zu beeinflussen. Ohne wissenschaftlich erwiesene Hintergründe, für die man nicht nur ein halbes Jahr analysiert haben muss. Der Bierkonsum und der Kölschkonsum sind gesellschaftlich verankert und bestehen schon länger als nur ein paar Monate. Und eben darum: Ich lass mir nichts verbieten. Ich lass mir meine Freiheit beim Bierkonsum in Bayern nicht einschränken.”

“Aber es gibt genügend Menschen in diesem Lande – und auch in Bayern -, welche Kölsch nicht als Bier klassifizieren. Sondern als pissgelbe Brühe. Menschen, die sich dem sogar vehement verweigern, um deren Gesundheit nicht zu schaden.”

“Ja, ja, jene Sonderlinge mit der Meinung, sie wären es nicht gewesen, Kölsch getrunken zu haben, weil sie nur echtes Bier trinken würden. Maximal waren es immer nur die anderen. Ich kenn keinen, denen ein ehrliches Kölsch nicht geschmeckt hat. Und die, die einmal ein Kölsch ganz unbefangen gekostet hatten, die konnten nicht klagen. Kölsch ist kein Grund sich zu beklagen. Und für die Bayern wird es wohl nicht so schlimm sein.”

“Na gut. Mich trifft’s nicht.”

“Eben. Alles übertrieben. Dass Kölsch kein Bier sein soll, das ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Irgendeiner hat’s in die Welt gesetzt, um Kölschtrinker zu unterdrücken. In Wahrheit geht es lediglich darum, Biertrinker zu mainstreamen, zu manipulieren. Des Biertrinkers ehrliche Meinung soll auf perfider Weise unterdrückt werden. Man will die Bayern nur als bierdimpfelnde Mitmenschen vor deren Maßkrug. Intelligente Menschen vor einer Kölsch-Stange in Bayern, das will niemand. Das ist nicht Mainstream. Und der Mainstream unterdrückt diese Wahrheit. Oder hat der Mainstream jemals darüber berichtet? Aus Bayern?”

“Wie du meinst.”

“Ja, so etwas ist lediglich ein offensichtliches Machtinstrument. Ehrlich. Ich hab keinen Bock auf Verzicht. Ich hab auch ein Recht, durch die Welt zu fliegen und Bier zu trinken, wo ich will, wann ich will und mit wem ich will. Kölsch ist sozialer Klebstoff und bringt Menschen eng zusammen. Meine Freiheit ist mein wichtiger sozialer Bier-Fußabdruck in dieser Gesellschaft. Aber da wollen mich wohl ab jetzt die Oberen disziplinieren und reglementieren. Das lass ich nicht zu, dass jene meine Grundrechte einschränken. Sie wollen uns beherrschen. Mit einem Verzicht-Diktat. Mit dem Reinheitsgebot, welches wissenschaftlich gar nicht erwiesen ist.”

“Reden wir nicht lediglich übers Kölsch?”

“Ja. Und über die Leute, die Kölsch und deren Befürworter aus unerfindlichen Gründen falsch beurteilen und deren Meinung mit diktatorischen Mitteln unterdrücken. Oder hast du schon mal jemand im Paulaner-Garten Geschichten über Küppers-Kölsch erzählen gehört? Das ist doch Meinungsdikatur!”

“Echt. Könnte man den Kölschkonsum nicht für sieben Monate mal untersagen, um festzustellen, ob Kölsch wirklich so wichtig für jedermann ist? Es gibt ja auch noch andere obergärige Biersorten.”

“Wie bitte? Du redest gerade über eine Dimension von jetzt ab sieben Monaten. Kölsch wird nichts sein, worauf man nach sieben Monaten Einschränkung keinen Bock mehr haben wird. Kölsch wird es auch noch geben, wenn man es jetzt verbieten wird. Somit ist so ein Verzicht unbegründet und die Forderung danach nichts als pure Meinungsdiktatur.”

“Äh? Wie? Was?”

“Nichts wird Kölsch per Gesetz verbieten können. Die Leute würden es privat im Keller brauen und in der Gesellschaft klandestin verteilen. Kölsch wird immer sein und nicht ausrottbar sein. Das ist Fakt. Somit ist ein Verbot nichts, was des Volkes Meinung entspricht und was man als Wahrheit zu akzeptieren hat. Und das wird man wohl noch sagen dürfen, oder? Oder ist diese Meinung inzwischen auch schon verboten?”

“Äh, Moment mal. Sich künstlich aufregen und sich laut empörend auf deiner teils abgekupferten und teils selbstgebastelten Argumentation zu berufen, dich dann in Folge beklagend, dass du nicht mehr sagen könntest, was du sagen wolltest, was aber ansonsten eh niemand hören wollte, das ist schräg. Lost. Und dann gar irgendetwas zu sagen oder auch hanebüchen zu fragen, also etwas auf jeden Fall total Provozierendes raus zu hauen, um sich dann als Messias der von dir als Unterdrückten definierten Gesellschaft zu gerieren, weil man als Tabubrecher sich hinstellt, … also, das ist rhetorisch einerseits geschickt, aber andererseits vollkommen mies. Als jemand, der vorgibt, tiefer nachzudenken, so wie du es vorgibst, also mehr zu nachzudenken als jene apostrophierte ‘Null-Acht-Fuffzich-Michel des Mainstreams’, welchen man unterstellt nur zwischen Zwölf und Mittags gedanklich etwas tiefer als die eigene Nasenspitze tauchen zu können, und sich damit sogleich den Orden des gerechten Widerständlers zu verleihen, also mal ehrlich: das ist der wohl kalkulierte, zukünftige Scheisshaussturm für die nicht eigenen Echokammern auf Twitter, Facebook und Instagram. So ein Scheisshaussturm als aufgewärmter Darmwind des eigenen Unverdauten, also, einer, der schlecht im Wasserglas riecht und sogar damit Tote aufwecken müsste, aber als Sturm taugen soll? Also mal ehrlich. Und das alles nur, weil eben jene anderen mit einem schlechten Witz ein angebliches Tabu brechen, um als Helden zu gelten, womit sie im Walhalla der Heldentaten einen Lufthauch von Heldentum aus dem Marvel-Universum an deren Riechkolben vorbeigeweht haben wollen?”

“Hm. Was hast du gesagt? So viele Worte um nichts. Das macht mich pessimistisch, dass die Menschheit so etwas überhaupt verstehen könnte.”

“Davon kannst du ausgehen.”

“Sicher dat.”

“Kölsch?”

“Gerne.”

“Biergartenrevolution?”

“Schon wieder eine in München?”

“Hast recht. Es hatte derer bereits eine in München. Lass stecken. Zuviel davon verdirbt den Mainstream-Charakter.”

“Ja,ja, der Mainstream. Er verdirbt die Menschen. Prost.”

“Jawohl, hast Recht, du Thanos für geistig Arme. Prostata.”

Kneipengespräch: Postfaktische Ostereier

Tresen 0

“Und?”

“Genau.”

“Aber?”

“Ich habe es noch nicht verstanden.”

“Dem Manne kann geholfen werden. Herr Oberspielleiter, ein Kölsch für den Grübler an meiner Seite!”

Der Wirt blickte nur kurz auf, polierte eine Kölsch-Stange, füllte sie und schob sie neben dem anderen halbvollem Kölsch und widmete sich danach einer anderen Stange.

“Bassemauff. Da ist auf der einen Seite der US-Milliardär Robert Mercer”, er schob das volle Kölsch direkt neben dem halbvollem, “und da ist Cambridge Analytica und so”, er nahm das volle Glas, schüttete etwas in das halbvolle. Von dem nun aufschäumenden fast vollem Glas schüttete er wieder etwas in das jetzt dreiviertel Volle. Beide schüttelte er noch vorsichtig und schon schauten die Kölsch wie frisch gezapft aus, “und beide sollen die amerikanische Wahl beeinflusst haben?”

“Ja”, der andere schaute auf die beiden schäumenden Kölsch-Stangen, “die haben über Facebook die Wähler manipuliert.”

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