Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (1): Letzte Neuigkeiten

Eff Fünf. Eff Fünf ist die Taste des Lebens. Im Internet. Oberste Tastaturreihe mit dem genannten Buchstaben und der entsprechenden Ziffer. “F5”. Ich drücke und du aktualisierst dich. Du Browser. Fast wia im richtigen Leben.

“F5”, “F5”, “F5”.

Aber je mehr ich die Taste drücke, desto größer der Frust. Der Browser aktualisiert sich zwar, aber neues kommt dabei nicht rum.

“F5”, “F5”.

Ich steh auf, geh raus (weil, Ausgangsbeschränkung ist ja nicht mehr), steige in die U-Bahn, fahre zum Odeonsplatz, schreite vorbei an die Corona-verwaisten Stühle der Gastro-Location “Tambosi” (Übersetzung für Nicht-Münchner: “Bussi-Bussi-Social-Meeting-Platzl”), lustwandle durch den Hofgarten auf die bayrische Staatskanzlei zu und gehe zum Hintereingang.

“Zum Söder, bitte!”

Der Pförtner schaut mich auf seinen Monitor wohl streng an.

“Termin? Besuchserlaubnis? Autorisierung?”

“Ich war sein Wähler!”

“Kann jeder sagen”, schallt es aus der quäkenden Gegenanlage zurück.

“Nein, das kann nicht jeder sagen”, korrigiere ich den unsichtbaren Sicherheitsbeamten, “Das kann nur ich sagen. Denn nur ‘ich’ bin ich und das kann ich belegen! Das kann garantiert nicht jeder. Oder die PAs sind generell für den Hugo.”

Ich halte meinen Personalausweis vor der Kamera.

“Kann ich jetzt zum Söder?”

“Sind Sie angemeldet?”

“Freilich! Ich verfüge über einen festen Wohnsitz in München und das KVR hat bei meiner Anmeldung meine Adresse. Steht aber alles auch auf meinen PA.”

Ich drehe meinen Personalausweis und halte meine Meldeadresse in die Kamera.

“Mit ‘angemeldet’ war ein Termin gemeint. Sie sagten, Sie persönlich hätten Söder gewählt. Das ist falsch. Sie selber können den Söder nicht gewählt haben. Sein Wahlkreis ist nicht München, sondern der ist Nürnberg-Ost. Sie haben eine Falschaussage getätigt.”

“Okay, okay. Aber mit meiner Zweitstimme …”

“Das behauptet jeder.”

“Ich habe doch schon nachgewiesen, dass ich nicht ‘jeder’ bin. Was verlangen Sie denn noch von mir?”

“Den bayrischen Staatshinzugehörigkeitsausweis, bitte.”

Ich krame aus meiner Brieftasche meinen weiß-blauen Ausweis hervor, öffne ihn und halte jede Seite einzeln in die Kamera.

“Soso, einen bayrischen Staatshinzugehörigkeitsausweis hat der auch”, höre ich die Stimme undeutlich murmeln. Und dann deutlicher: “Ich bedaure, der Herr Söder ist gerade im Keller der Staatskanzlei und huldigt mit seinem Kabinett am Ehrendenkmal vom GröBaz Franz-Josef Strauß. Wie jeden Morgen. Kommen Sie morgen wieder.”

“Morgen? Oder später?”

“Morgen. Oder später.”

“Und ist er dann da?”

“Morgen.”

Neben der Eingangsklingel sehe ich einen kleinen Knopf. Darunter ein noch kleineres Schild, darauf winzig kleine Buchstaben. “Eff fünf” kann ich mühsam entziffern.

“Ha!”, lache ich innerlich auf und drücke instinktiv auf den Knopf. Die Welt wird kurz dunkel und baut sich darauf pixelweise Zeile für Zeile erneut auf. Etwas türmt sich hinter mir auf. Einen kurzen Blick hinter mir und ich sehe einen frisch frisierten kurzhaarigen einsneunundvierziger Hühnen mit brauner Jacke, rosa Krawatte, weißes Hemd und spitzbübigem Gesicht, dessen Augen mich scharf fixieren.

“Kann ich Ihnen behilflich sein?”

“Herr Söder! Na sowas, dass ich Sie mal persönlich treffe, hier an der Staatskanzlei!”

“Ich arbeite hier. Und wenn Sie jetzt bitte mal zurücktreten würden, ich muss zur Arbeit.”

“Herr Söder, Augenblick bitte, ich wollte Sie etwas fragen, Herr Söder.”

“Pressekonferenztermine erfahren Sie bei meinem Pressereferenten per Anfrage mittels Email. Akkreditierung nur mit Ausweis.”

“Herr Söder, wir brauchen ein neues Bay-i-eff-ess-gee.”

“Ein was bitte?”

“Ein neues Bayerisches Infektionsschutzgesetz. Bay-i-eff-ess-gee ist die Abkürzung dafür, die von ihrem Ministerium dafür verwendet wird.”

“Und warum brauchen wir ein neues?”

“Weil ein neues immer besser ist, als das alte. Wer aufgehört hat, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.”

“Aha, ein Spruch aus der Automobilindustrie. Wer schickt Sie? Frau Quandt? Oder Dr. Herbert Diess?”

“Herr Söder, die Lage ist ernst! Besorgte Bürger erwarten für morgen einen Impfzwang und das passende Gesetz dazu. Enttäuschen sie diese nicht. Sonst müssen jene ihre Aussagen korrigieren und das macht alles nur komplizierter.”

“Sie sind ja ein ganz ausgeschlafenes Bürschchen. Wer hat Sie denn denn aus Zwangsjacke entlassen? Gehen Sie mal wieder nach Hause, nehmen Sie Ihre Pillen und lassen Sie mich dafür meine Politik machen, okay?”

Ein Türsummer ertönt, er drückt an die Tür und verschwindet im Innern. Mein Blick fällt erneut auf den “Eff Fünf”-Knopf. Zögernd hebe ich meinen Zeigefinger und bewege ihn auf den Knopf. Der Knopf fühlt sich so gut an, so kupfern, so glänzend, so kalt, so machtvoll, so richtig nach social distancing.

“Finger weg!”, schnarrt es aus der Gegensprechanlage. “Unterstehen Sie sich! Ich gebe Ihnen fünf Sekunden, sich umgehend zu entfernen. Ansonsten wird unser spezielles Spezial-SEK-Team zur Gefahrenabwehr sich binnen fünf Sekunden vom Dach herab abseilen und Sie wie ein Schluck Wasser einkassieren. Fünf.”

“Ich wollte doch nur …”

“Vier.”

“Hören Sie bitte …”

“Drei.”

“Ich dachte …”

“Zwei.”

“Also …”

“Eins.”

Ich drücke den Knopf. Einmal, zweimal, dreimal, viermal, mehrmals. Wie im Wahn. Eff Fünf, Eff Fünf, Eff Fünf, Eff Fünf …

Eine weibliche Computerstimme schnarrt: “System thread exception not handled. System service exception. Watchdog violation. Das System wird neu gestartet. Bitte warten. Das System wird neu gestartet. Bitte warten.”

Pause.

Der Morgen ist blau, der Himmel lau,
Alle Theorie grau,
Grün des Lebens goldner Bau,
Genau, jetzt ganz schlau
Nen Kakao.
Spaghetti.

Ich fahre zurück nach Hause, hocke mich vor dem Computer, rufe die Seite “Bayern.Recht” auf, drücke zur Kontrolle Eff Fünf und starre auf die Seite, wie sie sich neu aufbaut.

Im Deutschlands Süden bei Südosten nichts Neues.

Wir warten.

Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (45): Maikäfer, flieg …

Die wichtigste Erkenntnis vom Tage: Der Berliner Hauptstadtflughafen wird wohl nun doch geöffnet. Dumm nur, dass jetzt kaum Passagiere kommen werden. In München werden Start- und Landebahnen gesperrt und nur noch ein Terminal betrieben. Der Berliner Flughafen Tegel bereitet eine vorübergehende Schließung des Flughafens vor. Zu wenig Betrieb. Damit die drei Flughäfen demnächst nicht von spontanen Tourismusströmen überrannt werden, wurde die weltweite Reisewarnung vom Auswärtigen Amt bis Mitte Juni verlängert.

Bayern wurde ausdrücklich nicht in dieser Reisewarnung einbeschlossen. Söder hat ja bereits erklärt, Bayern könne nichts dafür, dass es solche Nachbarn wie Italien und Österreich habe, wo sich das Virus ungehemmt sich beim After-Ski unter Deutschen vermehren konnte. Dumm nur, dass die vielen kommerziellen Starkbierfeste in Oberbayern hot spots zur Vermehrung der Pandemie waren und aus traditionellen geschäftlichen Gründen nicht abgesagt wurden. Heinsberg war da nur ein kleiner hot spot. Die Umgebung Rosenheims ist sehr stark betroffen. Out of Rosenheim ist die Welt überhaupt nicht in Ordnung.

Söder gilt als Macher. Laschet eher nicht. Dumm für die Nordrhein-Westfalen, dass sie nicht so feierwütig wie die Bayern sind. Karneval war nicht wirklich das Gegengewicht, welches den Virus in Laschet-Sektor so verbreiten konnte, wie das Feiern in Bayern beim Söder. Daher hat Bayern auch ein schärferes Infektionsschutzgesetz als NRW. Und den rigideren Bußgeldkatalog. Das mögen die Deutschen. Deshalb steht Söder auch so hoch in deren Gunst.

Im Fernsehen werden zu möglichen Geisterspielen zwei Experten gefragt: der eine ist arg adipös und wird einen Ball vor seinen Füßen garantiert nicht sehen können, der andere ist Schauspieler, der mal einen Fußballspieler geschauspielert hat. Der fehler ist offensichtlich. Deutschland hat umgerechnet 80 Millionen Trainer, aber niemand läd diese in eine Talk-Show ein. Meiner Meinung nach ein ganz großes Versäumnis …

Draußen regnet es. Ein Gruß der Natur an die Dürre. Regen bringt Segen. Kommt’s ungelegen? Bald ist wieder Feiertag. Vielleicht haben die Maikäfer wieder ne Chance zu fliegen und nicht wie üblich bei den 1.-Mai-Feiertagswanderungen zu Tode gestreichelt zu werden …

Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (34): Demokratieverständnisse

Es ist schön festzustellen, dass das Demonstrationsrecht nicht durch das Infektionsschutzgesetz aushebelbar ist. Es zeigt, dass das Grundrechtsverständnis der Demokratie immer noch lebt.

Andererseits gibt es zu denken, dass wohl liebend gerne über Legislative und Exekutive regiert werden möchte und viele insgeheim dabei hoffen, dass die Judikative möge im Sinne von Gewaltenteilung, also “GewaltEnteilung” statt “Gewalten-Teilung” agieren (die richtige Betonung machte schon immer einen Unterschied). Wenn das Bundesverfassungsgericht den Law-und Order-Mentalisten aufzeigt, dass sie Grundrechte einfach ignorieren, ist das gut, zeigt zudem, dass das Grundrechtverständnis kein Allgemeingut der Ausführenden ist. Es gab bereits Stimmen, die darauf hinwiesen, dass die zuvor verhängte Ausgangsbeschränkung vom 21-März und die danach erfolgte Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 27-März (u.a.a. in der verschärften Version in Bayern) unter anderem auch beispielsweise gegen die vom Grundgesetz geschützte Versammlungsfreiheit verstoßen, sollte sie bei Demonstrationsanmeldungen zur Ablehnung des Demonstrationsrechts führen.

Jetzt muss man wissen, dass das das Infektionsschutzgesetz explizit das Grundrecht eines jeden einzelnen einschränkt und sich dem Grundgesetz direkt diametral gegenüber aufstellt. Interessant dabei ist, dass das Infektionsschutzgesetz per Verordnung (und ohne demokratisch erforderliche Anhörung des Bundesrates) eingesetzt wurde, dem Gesundheitsminister bundesweite Verordnungshoheit gibt und die Einschränkung der Grundrechte dafür öffentlich kaum erklärt wurde.

Jetzt spricht also das Bundesverfassungsgericht bei der willkürlichen Einschränkung der vom Grundgesetz geschützten Versammlungsfreiheit ein Machtwort. Das Anmelden von Demonstrationen sollte somit kein Problem mehr sein, wenn die Anmeldenden entsprechend sich Vorgaben (z.B. Abstandsgebot) machen. Das Problem bleibt dann eher bei der Exekutiven bestehen.

Am 7-April wurde die angemeldete Demonstration der Organisation “Seebrücke” zu dem Thema “#LeaveNoOneBehind” der Flüchtlinge auf Lesbos / Griechenland gewaltsam von der Polizei mit Hinweis auf die erlassene Ausgangsbeschränkung aufgelöst. Obwohl die Teilnehmer definierten 2 Meter Sicherheitsabstand zueinander hielten, sah die Polizei trotzdem in der Demo an sich einen Verstoß zum Infektionsschutzgesetz und auf das Recht der Allgemeinheit auf körperliche Unversehrtheit und einer potentiellen Bedrohung deswegen.

Vor drei Tagen räumte die Polizei eine Kunstinstallation in Dresden ab, welche zwei Menschen mit Pappaufstellern erstellt hatten. Sie stellten mit Pappaufstellern eine Demo nach, wobei darauf geachtet wurde, normale Passanten nicht zu behindern.. Bei der Kunstinstallation ging es um das Thema “Flüchtlinge” und deren Lage auf Lesbos. Die Polizei sah eine Gefährdung nach dem Infektionsschutzgesetz und beendete die Pappaufsteller-Demo und zeigte die beiden Organisatoren entsprechend an. Andere gab es nicht, die angezeigt werden konnten. Es waren nur jene zwei, welche diese Aktion durchgeführt hatten.

Zwei Tage später (also gestern) gab es die nächste Demo in Dresden: der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Sachsen (DEHOGA) stellte mehrere hundert Stühle auf den Dresdener Neumarkt auf. Auf Twitter finden sich problemlos Videos (#DD1704, #allgemeinverfügung, #Dresden, #Coronakrise) und Fotos (s.a. hier), bei denen man feststellen kann, dass die Polizei keine Probleme mit Verstößen nach dem Infektionsschutzgesetz hatte. Lag es eventuell am Thema der Demonstration? Oder hat es bei der Exekutiven eine Lernkurve gegeben?

Nun gut. Es gibt einen himmelweiten Unterschied zwischen politischer Kunstinstallation und einer Deutsche Hotel- und Gaststättenverband-Demonstration. Das ist mir irgendwie klar. Allerdings lässt sich schon nachvollziehen, ab wann Polizei bereits bei geplanten Demonstrationen im Vorfeld mit dem Instrument des “Infektionsschutzgesetzes” eingegriffen hat und wie sie das Instrument währenddessen angewendet hat. Bei der DEHOGA-Demo jedenfalls nicht, bei “Seebrücke”-Aktionen jedenfalls immer. Und wenn es sein muss, Zentimetermessstab finden in jeder Einsatzplanungsjacke Platz …

Na ja, was bleibt mir noch übrig zu sagen? Lebbe geht weider. Auch in Corona-Zeiten.