Es ist schön festzustellen, dass das Demonstrationsrecht nicht durch das Infektionsschutzgesetz aushebelbar ist. Es zeigt, dass das Grundrechtsverständnis der Demokratie immer noch lebt.
Andererseits gibt es zu denken, dass wohl liebend gerne über Legislative und Exekutive regiert werden möchte und viele insgeheim dabei hoffen, dass die Judikative möge im Sinne von Gewaltenteilung, also “Gewalt–Enteilung” statt “Gewalten-Teilung” agieren (die richtige Betonung machte schon immer einen Unterschied). Wenn das Bundesverfassungsgericht den Law-und Order-Mentalisten aufzeigt, dass sie Grundrechte einfach ignorieren, ist das gut, zeigt zudem, dass das Grundrechtverständnis kein Allgemeingut der Ausführenden ist. Es gab bereits Stimmen, die darauf hinwiesen, dass die zuvor verhängte Ausgangsbeschränkung vom 21-März und die danach erfolgte Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 27-März (u.a.a. in der verschärften Version in Bayern) unter anderem auch beispielsweise gegen die vom Grundgesetz geschützte Versammlungsfreiheit verstoßen, sollte sie bei Demonstrationsanmeldungen zur Ablehnung des Demonstrationsrechts führen.
Jetzt muss man wissen, dass das das Infektionsschutzgesetz explizit das Grundrecht eines jeden einzelnen einschränkt und sich dem Grundgesetz direkt diametral gegenüber aufstellt. Interessant dabei ist, dass das Infektionsschutzgesetz per Verordnung (und ohne demokratisch erforderliche Anhörung des Bundesrates) eingesetzt wurde, dem Gesundheitsminister bundesweite Verordnungshoheit gibt und die Einschränkung der Grundrechte dafür öffentlich kaum erklärt wurde.
Jetzt spricht also das Bundesverfassungsgericht bei der willkürlichen Einschränkung der vom Grundgesetz geschützten Versammlungsfreiheit ein Machtwort. Das Anmelden von Demonstrationen sollte somit kein Problem mehr sein, wenn die Anmeldenden entsprechend sich Vorgaben (z.B. Abstandsgebot) machen. Das Problem bleibt dann eher bei der Exekutiven bestehen.
Am 7-April wurde die angemeldete Demonstration der Organisation “Seebrücke” zu dem Thema “#LeaveNoOneBehind” der Flüchtlinge auf Lesbos / Griechenland gewaltsam von der Polizei mit Hinweis auf die erlassene Ausgangsbeschränkung aufgelöst. Obwohl die Teilnehmer definierten 2 Meter Sicherheitsabstand zueinander hielten, sah die Polizei trotzdem in der Demo an sich einen Verstoß zum Infektionsschutzgesetz und auf das Recht der Allgemeinheit auf körperliche Unversehrtheit und einer potentiellen Bedrohung deswegen.
Vor drei Tagen räumte die Polizei eine Kunstinstallation in Dresden ab, welche zwei Menschen mit Pappaufstellern erstellt hatten. Sie stellten mit Pappaufstellern eine Demo nach, wobei darauf geachtet wurde, normale Passanten nicht zu behindern.. Bei der Kunstinstallation ging es um das Thema “Flüchtlinge” und deren Lage auf Lesbos. Die Polizei sah eine Gefährdung nach dem Infektionsschutzgesetz und beendete die Pappaufsteller-Demo und zeigte die beiden Organisatoren entsprechend an. Andere gab es nicht, die angezeigt werden konnten. Es waren nur jene zwei, welche diese Aktion durchgeführt hatten.
Zwei Tage später (also gestern) gab es die nächste Demo in Dresden: der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Sachsen (DEHOGA) stellte mehrere hundert Stühle auf den Dresdener Neumarkt auf. Auf Twitter finden sich problemlos Videos (#DD1704, #allgemeinverfügung, #Dresden, #Coronakrise) und Fotos (s.a. hier), bei denen man feststellen kann, dass die Polizei keine Probleme mit Verstößen nach dem Infektionsschutzgesetz hatte. Lag es eventuell am Thema der Demonstration? Oder hat es bei der Exekutiven eine Lernkurve gegeben?
Nun gut. Es gibt einen himmelweiten Unterschied zwischen politischer Kunstinstallation und einer Deutsche Hotel- und Gaststättenverband-Demonstration. Das ist mir irgendwie klar. Allerdings lässt sich schon nachvollziehen, ab wann Polizei bereits bei geplanten Demonstrationen im Vorfeld mit dem Instrument des “Infektionsschutzgesetzes” eingegriffen hat und wie sie das Instrument währenddessen angewendet hat. Bei der DEHOGA-Demo jedenfalls nicht, bei “Seebrücke”-Aktionen jedenfalls immer. Und wenn es sein muss, Zentimetermessstab finden in jeder Einsatzplanungsjacke Platz …
Na ja, was bleibt mir noch übrig zu sagen? Lebbe geht weider. Auch in Corona-Zeiten.