Was vorher geschah: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4
Thomas saß auf der Polizeistation in dem beschaulichen Dorf Davensberg und lass nochmals das Protokoll durch. Der Polizist musterte ihn abwartend.
“Und das wollen Sie wirklich so zu Protokoll geben? Eine Frau am Spinnrad? Ein Zwerg, der Sie wegen Ihrem ‘ho-ho’ überfallen und gewürgt haben soll? Ein Mann und zwei Frauen, die Dirty-Dancing getanzt haben? Und dann eine Kutsche mit drei Verfluchten drinne?”
“Ja, so war es. Wenn ich es Ihnen doch sage.”
“Sehr verehrte Herr Thomas Pollde. Ich gebe Ihnen noch eine letzte Chance. Sollten Sie darauf bestehen, dass alles so gewesen sein soll, wie Sie hier zu Protokoll gegeben haben, dann werden wir Sie in Münster in die Klappse einweisen. Dann gehen Sie nicht über Los und ziehen auch keine 4000 Euro ein. Sondern dann geht es direkt hinter gesiebte Luft der Psychischen. Ich versteh ja, dass Sie damals unter erhöhter Belastung standen, wegen Beruf, Scheidung und ihrem Drogenkonsum. Und wir wissen auch, dass Sie Schauermärchen lieben. Aber das, was Sie hier uns gerade erzählt haben, dass reicht, Sie für längere Zeit aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei waren Sie doch in den drei Monaten Krankenhaus gemäß ärztlicher Beurteilung ein völlig zurechnungsfähiger Mensch.”
Thomas blickte den Polizeibeamten an. Der Polizist wollte ihn nicht verstehen. Warum nahm er die Geschichte nicht so auf, so wie sie sich zugetragen hatte? Was hatte sein Beruf damit zu tun? Ja, es gab Druck, aber das war doch normal für seinen Job. Thomas war krisenerprobt und für sein Krisenmanagement in der Firma immer wieder gefragt und belobigt worden. Und wenn seine Frau die Scheidung einreichte, weil sie ihm vorwarf, dass sie zwischen Beruf und seinem Hobby Geocaching kaum noch einen Platz für ihn übrig gelassen bekommen hatte, dann änderte es doch nichts an den Fakten. Und Drogenkonsum? Thomas hatte außer Wein, Kaffee und Tee noch nie andere Drogen konsumiert. Was redete der Polizist denn nur?
“Lieber Herr Pollde, war es nicht eher so, dass Sie an jenem Tag zum Geocaching zwar aufgebrochen waren, aber dann ein ruhiges Plätzchen suchten, um sich dort psychoaktive Pilze zu suchen und sie dort zu konsumieren? Und als Sie ihre magic mushrooms gefunden hatten, verzehrten Sie diese in der Davert unter der Teufelseiche. Dabei hatten Sie – weil es Nacht und kalt war – noch ein kleines Feuerchen an der Eiche gezündet, welches aber glücklicherweise recht schnell erlosch. Sie sind dann aber auf die andere Seite der Lichtung gegangen, kletterten jene Buche hoch und stürzten sich runter, weil Sie dachten, Sie könnten fliegen, schlugen dabei auf einen Findling auf, brachen sich den Ellenbogen, kugelten sich ein Bein aus, zerschlugen sich beide Knöchel, verletzen sich erheblich im Gesicht und blieben bewegungslos liegen. Hätten unsere Kollegen Sie nicht zufällig dort gefunden – übrigens fuhren unsere Kollegen einen schwarzen SUV, was Sie dann wohl als Kutsche wahrnahmen – sie wären wahrscheinlich dort elendig verreckt. Und ohne Rettungshubschrauber wäre Ihre Überlebenschance gleich Null gewesen.”
“Ich habe keine magic mushrooms konsumiert.”
“Ja, nee, is klar. Und das was, man aus ihrem Mund gefischt hat, waren wohl 1a-Champignons aus dem Demeter-Laden, oder? Jetzt lauschen Sie mal genau zu: Ich habe hier das Protokoll vorbereitet, so wie es wirklich war. Das Protokoll liegt zu Ihrer Rechten. Das Protokoll, welches Sie haben wollen, das Protokoll mit all den Spökenkiekereien und Schauermärchen liegt zu Ihrer Linken. Ich gehe jetzt mal kurz raus und mache mir einen Milchkaffee. Und wenn Sie auch einen wollen, dann haben Sie doppelt so viel Zeit, Ihre Unterschrift unter einen der beiden Protokolle zu setzen. Fürs rechte droht Ihnen maximal eine Geldstrafe und Sie erhalten von mir den Gratis-Milchkaffee, fürs linke kriegen Sie Klappse und keinen Milchkaffee, für mindestens eine längere Zeit nicht. Überlegen Sie es sich gut. Herr Thomas Pollde, Sie haben die Wahl.”
Der Polizist stand auf und ging nach hinten in den Nebenraum. Thomas hörte das Klappern von Kaffeetassen und dann das Aufheulen des Mahlwerks einer Kaffeemaschine. Er zog beide Protokolle zu sich heran und überflog sie, nahm den Kugelschreiber vom Tisch, unterzeichnete ein Protokoll und schob beide zusammen zurück.
Kurze Zeit später kam der Beamte mit zwei Kaffeebechern zurück und überreichte Thomas einen Becher.
“Ich hoffe doch ohne Zucker? Wir haben nämlich keinen mehr. Sie haben weise entschieden. So unvernünftig sind Sie doch gar nicht, wie Sie sich mir anfangs gegeben haben. Wären Sie nicht vernünftig gewesen, dann hätte Sie jetzt keinen Milchkaffee vor sich, sondern eine Einlieferungsverfügung.”
“Sie haben doch noch gar nicht geschaut, wo ich unterschrieben habe.”
“Glauben Sie, ich würde Sie hier unbeobachtet lassen? In der Kaffeeküche gibt es auch einen Monitor und dort konnte ich sehen, wo sie unterschrieben hatten.”
“Nur eines noch. Die Feuerstelle. Habe ich dort wirklich unter der Eiche gezündelt?”
“Nun, da Sie es vorhin unterschrieben haben, dass Sie unter der Eiche ein Feuer gemacht haben, kann ich es Ihnen ja jetzt sagen: Nein.”
“Nein?”
“Nein. Wir fanden etwas, was so ausschaute wie eine Feuerstelle. Aber es war keine. Es war eine Vertiefung, die geschwärzt war, und es roch dort irgendwie nach faulen Eiern, also so leicht schwefelig. Wir haben keine Erklärung. Aber Feuer war es nicht.”
“Und wieso sollte ich mich wegen etwas schuldig bekennen, was nicht passierte?”
“Weil die Stelle sich unter der Teufelseiche befindet. Sie verstehen? Teufelseiche und Schwefelgeruch? Das kommt gar nicht gut. Insbesondere, da es sich bei der Davert laut den vielen Erzählungen um einen Ort der bösen Geister und Gespenster handeln soll. Wir können es nicht riskieren, dass nachher einige Erzkatholiken die Teufelseiche anzünden, nur weil die dort den Zugang zur Hölle vermuten. Eine über 200 Jahre alte Eiche mit mehr als drei Meter Umfang? Dann ist es doch schon besser, man erzeugt Empörung in der einheimischen Bevölkerung, weil angeblich ein Drogenkonsument unter jener Eiche gezündelt hat. Dann kommt keiner der Dorfbewohner auf dumme Gedanken und nimmt den Namen ‚Teufelseiche‘ für bare Münze.”
“Also glauben Sie meiner Version?”
“Ihre Version ist doch nur eine Zusammenschau alter Schauermärchen der Davert, die Sie nutzen wollten, um von Ihrem Drogenkonsum abzulenken.”
“Und die Absturzstelle der zwei Weltkriegsmaschinen?”
“Die gibt es wirklich. Samt Kreuze und Gedenksteine. Aber ich werde den Teufel tun, Ihnen zu verraten, wo Sie diese finden. Sehen Sie lieber zu, dass Sie Land gewinnen und nicht mehr hierher kommen. Die Landbevölkerung hat Ihr Foto in der Zeitung gesehen und sollten Sie in einen der Wälder der Davert gesehen werden, dann kann ich für nichts garantieren. Dann könnte die Davert eine weitere Schauergeschichte hinzugefügt bekommen. Diese Davertnickel hier sind nicht zimperlich, diese Eingeborenen hier.”
Thomas verließ die Polizeistation und ging zu seinem Fahrzeug, welches seit dem Unfall dort von der Polizei abgestellt worden war. Er hatte den Schlüssel zum Abschied vom Beamten erhalten und schloss das Fahrzeug auf.
Ein Zettel klebte unter dem Scheibenwischer. Thomas zog ihn hervor und setzte sich hinters Lenkrad. Er warf einen Blick auf den Zettel. Unter einem Drudenfuß und dem Wahrzeichen des Ortes, dem Davert-Burgturm, stand in dünnen Lettern geschrieben:
Als der Nordpol nahe Davensberg in der Davert unter die Teufelseiche wanderte
Je mehr geologische Anomalien entstehen, desto stärker die erfolgt eine Verlagerung des Nordpols. Sollte sich beispielsweise irgendwo das Erdinnere öffnen – also Vulkane, Erdspalten mit Magma oder das Tor zur Hölle öffnet sich – und somit die Materialströme im Erdkern sich dadurch verändern, dann hat das Einfluss auf die Lage des Nordpols. Und der Nordpol lag vor kurzer Zeit erst direkt unter der Davert’schen Teufelseiche. Beweise dafür wollen Geologen nicht herausrücken, weil sie somit Beweise für die Existenz des Leibhaftigen liefern würden. Sie verschweigen die Wahrheit. Das Böse existiert und ist immer wieder mitten unter uns. Es gab kein von Drogensüchtigen gelegtes Feuer unter der Teufelseiche. Der Geist der Finsternis hatte sich wieder in der Davert gezeigt und die Eiche war sein Tor. Die Herausgabe der Daten, wo sich der magnetische Nordpol vor kurzem befand, würde das eindeutig beweisen. Stattdessen weitere Davert-Märchen und Fabeln …
Thomas kramte sein Smartphone hervor. Die Polizei hatte es freundlicherweise aufgeladen und mit den Fahrzeugschlüsseln ihm ausgehändigt. Er öffnete die Foto-App und blätterte zu den Fotos jener Nacht. Die Fotos der Waldlichtung. Zwei scharf, eines unscharf.
Auf einem der scharfen Fotos erkannte er Schatten, im Hintergrund, unscheinbar, aber vorhanden. Vier Schatten. Thomas öffnete die Datei-Eigenschaften des Bildes, um sich die Metadaten des Fotos anzeigen zu lassen.
Die App blendete eine kleine Karte ein, um den Standort des Fotos anzuzeigen. Die Karte baute sich auf. Der Aufbau war beendet. Doch alles was Thomas erblickte, war lediglich das weiße Zentrum der Karte …
Ende