Kneipengespräch: Die Frau am Klavier

»Und dann betrat ich den Raum. Den nannten wir damals alle “Das Beste Zimmer”. Gäste wurde dort empfangen, spontaner Besuch zu einem Likörchen oder Kaffee rein gebeten. Es hieß nicht einfach “Wohnzimmer”, sondern immer “Das Beste Zimmer”. Es enthielt ein rotes Sofa für drei Personen und zwei rote Ohrensessel, links und rechts davon, drei Stühle mit rotem Polster und einen braunen großen Zier-Tisch, der recht zu niedrig als Esstisch war. Daher wurde er bei offiziellen Essen mit dem aus der Küche ausgetauscht und es kamen auch passende Esstisch-Stühle rein. Aber das Sofa und die Ohrensessel blieben. Es war eben “Das Beste Zimmer”.

Gegenüber dem Sofa stand das Klavier. Kein Erbstück. Ein Geschenk. Bekannte meines Vaters, ein Ehepaar aus Münster, hatten es meiner Familie überlassen. Mein Vater hatte das Ehepaar bei seiner Flucht aus Schlesien kennengelernt und war mit ihnen eng befreundet. Der Mann arbeitete in Münster in einer Bank und hatte ihm zu einem Notkredit verholfen, obwohl er es nicht hätte machen dürfen. Mein Vater war ihm dafür stark verbunden, weil er deswegen nicht bankrott ging. Der Kredit hatte ihm übers Wasser geholfen, der Mann des Ehepaares erhielt Schwierigkeiten deswegen, denn mein Vater war nicht als kreditwürdig eingestuft. Anfang der 70er zog das Ehepaar von Münster ins Allgäu nach Kempten. Das Klavier wollten sie nicht mitnehmen. Weder sie spielten darauf, noch deren zwei Kinder. Zudem waren sie der Meinung, meines Vaters zwei Söhne sollten Klavier spielen erlernen, denn den Blockflötenunterricht in der Grundschule empfanden sie nur als Quälerei an der Kunstform »Musik«. Mein Bruder hatte Blockflöten-Unterricht. Er schaffte es bis in die elitäre Blockflöten-Gruppe der Kirche, die zum Hochamt immer ein Kirchen-Lied mit deren Blockflöten zum Lobe Gottes interpretieren durften. Ich selber fing direkt mit dem Klavier-Spielen an.

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Interaktive Fortsetzung eines Traums

Was bisher geschah:

das Geschehen extern aus dem „Teestübchen Trithemius“ der Geschichte „Plötzlich, plötzlich – über die Illusion der Gegenwart

Die eigene Fortsetzung:

„[…] “Dabei ist Gegenwart immer nur plötzlich und dauert nicht länger als die Aussprache von plötzlich. Sobald uns nämlich was bewusst wird, ist es auch schon Vergangenheit.”“

Jules bewegte sich interessiert leicht nach vorne, als wollte er etwas sagen. Oder auch nur, um auf ein erneutes Quietschen von Jeremias Coster mit dessem Bürostuhl zu reagieren. Ich ging an Jeremias vorbei und stellte eine entkorkte Rotweinflasche auf den Schreibtisch.

„Es gibt keine Zeit“, warf ich lapidar ein, während ich hinter meinem Rücken drei Bordeaux-Kelche aus edelstem Glas hervorzauberte. „Zeit ist eine Illusion. Eine Erfindung der Menschen, um das Geschehen um ihn herum einzuordnen. Um damit zu handeln und zu wuchern.“ Ich stellte die Gläser in einem perfekten Dreiecksverhältnis ab. „Manche haben Zeit, andere nicht. Manche vergeuden sie, manche ersparen sie sich. Wieder andere erschlagen oder verbrennen sie. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nur Hilfskonstrukte. Wir sind die Mähdrescher auf einem eigenen, stetig nachwachsenden Getreidefeld.“ Weiterlesen