Was bisher geschah:
das Geschehen extern aus dem „Teestübchen Trithemius“ der Geschichte „Plötzlich, plötzlich – über die Illusion der Gegenwart“
Die eigene Fortsetzung:
„[…] “Dabei ist Gegenwart immer nur plötzlich und dauert nicht länger als die Aussprache von plötzlich. Sobald uns nämlich was bewusst wird, ist es auch schon Vergangenheit.”“
Jules bewegte sich interessiert leicht nach vorne, als wollte er etwas sagen. Oder auch nur, um auf ein erneutes Quietschen von Jeremias Coster mit dessem Bürostuhl zu reagieren. Ich ging an Jeremias vorbei und stellte eine entkorkte Rotweinflasche auf den Schreibtisch.
„Es gibt keine Zeit“, warf ich lapidar ein, während ich hinter meinem Rücken drei Bordeaux-Kelche aus edelstem Glas hervorzauberte. „Zeit ist eine Illusion. Eine Erfindung der Menschen, um das Geschehen um ihn herum einzuordnen. Um damit zu handeln und zu wuchern.“ Ich stellte die Gläser in einem perfekten Dreiecksverhältnis ab. „Manche haben Zeit, andere nicht. Manche vergeuden sie, manche ersparen sie sich. Wieder andere erschlagen oder verbrennen sie. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nur Hilfskonstrukte. Wir sind die Mähdrescher auf einem eigenen, stetig nachwachsenden Getreidefeld.“ Ich ergriff die Flasche und füllte in jedes Glas ein Drittel des 20 Jahre lang gelagerten Getränks und drehte die Flasche dabei gekonnt ab. „Vor uns liegt die Zukunft, die wir dreschen, intern verarbeiten und zerhäckseln und danach hinter uns lassen, von der für uns verwendbaren Frucht getrennt. Unsere Entropie ist wie unser Bestreben unendlich. Und jeder hat dazu seine eigene Realität, die er sich selber ständig schafft.“ Die Mienen der beiden in ihrer Unterhaltung gestörten Pataphysiker changierten zwischen Überraschung und Irritierung. Ihre Augen verfolgten, wie sich die geschliffenen Weingläser fast bis zum Rand füllten. „Der Mensch ist der unbewusste Schöpfer der eigenen Zeit. Jeder hat seine eigene Zeitlinie, die aus Vergangenheit und Zukunft erstellt wird: Gegenwart ist dabei das eigene Leben. Und so können die Zeitlinien verschiedener Menschen parallel existieren. Es ist also kein Überraschung mehr, wenn alle das gleiche sehen, es aber unterschiedlich wirkt und jeder seine Wirklichkeit anders sieht und als Realität sieht. Gleich einem Mähdrescher hat jeder von uns intern eine Förderschnecke, mit welcher das Ergebnis unserer eigenen Ernte aus der vor uns abgeernteten Zukunft für andere extern verfügbar macht.“ Ich setzte die Flasche ab und wir betrachteten die Gläser. Goldgelb brach sich das Licht der Nachtsonne im Riesling. „Zeit ist eine Illusion. Nehmt sie euch, bevor sie euch eure Illusion nimmt.“
Jeremias und Jules ergriffen sich ihre Biergläser, blickten zu der geleerten Saftflasche auf der leer glänzenden Fläche des Bürotisches. Sie nahmen einen Schluck aus ihren Bechern und schauten gemeinsam in meine Richtung. Aber da war niemand mehr. Von Jules drangen leichte, wohlige Schlafgeräusche rüber. Jeremias quietschte nochmals mit seinem Bürostuhl. Sinnierend tasteten seine Augen die gegenüberliegende weiße Wand ab, wo ein kirschrot leuchtender Schriftzug erschien, hauchdünn unterstrichen, durch leichte Schrägstellung verstärkt, dicker als normal:
„Alles ist relativ subjektiv „
Ich verfolgte Jeremias Blick und grübelte nach, ob ich als Ergänzung hinter dem Schriftzug mit einem Ausrufezeichen oder eher einem Fragezeichen dem Traum mehr Mystik geben könnte, nur um alles kompatibler für potentielle Leser zu machen …