Als ich gestern die diversen Online-Zeitungen durchlas, um mir mal ein Bild über die Terminal-2-Sperrung am Münchener „Franz-Josef-Strauss“-Flughafen machen zu können, fielen mir die unterschiedlichen Darstellungen der Geschehnisse auf:
– Der Täter schnappte sich sein Notebook und rannte weg.
– Der Täter schnappte sich nicht sein Notebook und rannte weg.
– Der Täter rannte ohne seine abgelegten Sachen und ohne Notebook weg.
– Der Täter zog sich an, schnappte sich sein Notebook und rannte weg.
Den Flughafen am „Terminal 2“ kenne ich genau. Dort fliegen alle Star-Alliance-Fluggesellschaften, also auch die Lufthansa, ab. Terminal 2 glänzt durch seine Nadelöhrfunktion nach den Kontrollen. Das heißt, die überprüften Passagiere aller Sicherheits-Check-Portale kommen nur durch einen bestimmten Gang zu den Gates, welche dem Flug innerhalb der EU dienen. Interkontinentalflüge oder Flüge in Nicht-EU-Länder haben ein weiteres Nadelöhr.
Hinter den Sicherheitsportalen stehen jeweils zwei bewaffnnete Bundesgrenzschützer, welche die Situation im Auge behalten.
Folgendes:
Zu jedem Notebook gehört eine Tasche, die berühmte Notebooktasche. Das Sicherheitspersonal sorgt dafür, dass das Notebook aus der Tasche entfernt wird und in eine gesonderte, blaue Kunststoffschale als Transportmittel des Notebooks verwendet wird. Geschieht das nicht, wird die Tasche vom Transportband zurückgefördert und vom Sicherheitspersonal heraus genommen und ein zweites Mal gescannt. Sollte das Sicherheitspersonal das vergessen, am Ausgang des Scann-Gerätes geschieht es auf alle Fälle.
Dieses ist das Prozedere in Sachen „Notebook“ am Münchener Flughafen. Ich kenne es inzwischen in- und auswendig.
Wer als Geschäftsmann schnell durch die Kontrollen will, vollzieht im vorbeugenden Gehorsam folgende Dinge:
– Armbanduhr abnehmen und in die Jackentasche stecken
– Hosentaschen entleeren und Hosentascheninhalt in Jackentasche ablegen
– Handys entweder in Jackentasche oder in einer blauen kleinen Kunststoffschale abgelegen
– Flüssigkeiten im Handgepäck werden generell vermieden. Falls doch, dann immer gleich im Kunststoffbeutel und maximal 100 ml als Menge.
– Hosengürtel wird direkt aus der Hose gezogen und mit der Jacke und anderen Westen, Regenjacken und so weiter in eine der Kunststoffschalen abgelegt.
– Schuhe mit metallischen Aufschlag werden gleich ausgezogen und aufs Band gelegt. Prinzipiell ist es besser immer die Schuhe aufs Band zu legen.
– Brille bleibt aufgesetzt.
– Handgepäck kommt direkt aufs Band.
– Im Falle eines Notebooks wird dieses ebenfalls sofort heraus geholt und in eine der blauen Kunststoffschalen gelegt.
– Die Boarding-Karte wird als letztes in einen der Kunststoffschalen abgelegt, denn vielleicht will der Sicherheitsmensch vor einem mal drauf schauen (geschieht sporadisch).
Somit gilt:
Jede Bemerkung des Sicherheitspersonals, welches der potentielle Fluggastanwärter mit „Ja“ beantworten muss, führt zu Verzögerungen im Prozess.
Jede Verneinung führt zu einer reibungsfreien Abwicklung seiner selbst als Risikopatients des reibungsfreien Flugverkehrs.
Und dann kommt der entscheidende Moment. Das Sicherheitsportal wird durchschritten (und das erst nach Aufforderung des Sicherheitspersonals!). Es ist der spannende Moment, bei dem das Gehör auf „Hab‘ acht!“ steht. Das nächste Geräusch kann entscheidend sein. Und der potentielle Fluggastanwärter stellt sich schon vorher die Frage, wie empfindlich wurde das Portal eingestellt. Fast jede Hose hat einen Metallknopf oder Metallreißverschluss. Die Brille ist metallisch. Oder das intime Piercing? Ist der Cockring abgelegt? Kein Witz, ich habe bereits welche kennengelernt, die sich extra ihren eisernen Cockring anlegen, damit sie vom Sicherheitspersonal befingert werden. :)
Ertönt kein „Piep“ vom Portal, hat der potentielle Fluggastanwärter die erste Hürde überwunden.
Piepst das Portal, stellt sich der Sicherheitsbedienstete einem direkt in den Weg und es heißt Arme und Beine ausbreiten und der Sicherheitsbedienstete fährt mit suchender Hand und einem Detektor den gesamten Körper ab, um die Ursache des „Pieps“ heraus zu finden.
Erst wenn der Suchende zufrieden ist, geht es weiter. Auf dem Transportband taucht das eigene Eigentum aus dem Scanner auf. Drei Meter läuft es auf dem band, bis der Eigentümer darauf zugreifen kann. Und dann geht heißt es, sich wieder ankleiden, sein Handgepäck an sich zu nehmen und nichts in den Schalen zu vergessen.
Wer jetzt in Zeitnot ist, wird anfangen zu sprinten und erweckt durch sein Rennen die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbeamten vom BGS. Vom Portal bis an an den bewaffneten BGS-Beamten (einer mit MP) vorbei sind es 10 Meter. Um aus dem Sichtkreis der BGS-Beamten im Nadelöhr zu entschwinden, sind es weitere 10-20 Meter erforderlich.
Ein paar Mal bin ich schon in Zeitnot gesprintet und immer reagierten die BGS-Beamten: Sie schauten mich an und schauten auf das Sicherheitspersonal, um die Lage abzuschätzen. Sie hatten dazu immer an die 5 bis 10 Sekunden Zeit.
Und genau dieses lässt mich bei der Berichterstattung stutzig werden.
Fall 1:
Der Täter schnappte sich sein Notebook und rannte weg.
Damit hätte der so genannte Täter seine Notebooktasche am Portal gelassen. Ein einzelner Mensch mit Notebook in den Händen fällt den BGS-Beamten auf, ist ungewöhnlich und verdächtig. Desweiteren verbleibt noch das gesamte Handgepäck, denn in der Regel wird zuerst das Notebook und dann der Rest aufs Band gelegt. Das Sicherheitspersonal achtet darauf.
Fall 2:
Der Täter schnappte sich nicht sein Notebook und rannte weg.
Damit hätte der Mensch also das als potentielles Sprengstoffpaket entdeckte Notebook an den Portalen hinterlassen. Dem Sicherheitspersonal ist das nicht abgeholte Notebook erst später aufgefallen und die BGS-Beamten fiel keine Auffälligkeit auf. Der Passagier war also ungefährlich. Warum also dann das „Terminal 2“ absperren und nach einem Notebook mit Sprengstoff suchen lassen, wenn das Notebook samt Tasche doch am Portal noch lag?
Fall 3:
– Der Täter rannte ohne seine abgelegten Sachen und ohne Notebook weg.
Es gibt nichts besseres, um die Aufmerksamkeit der BGS-Beamten auf sich zu ziehen, als im Winter frühlingshaft gekleidet an diesen vorbei zu laufen. Zudem blockieren die Handgepäckdinge noch das Portal. Die Beamten hätten das selbst auf jener Distanz schnell feststellen können.
Fall 4:
– Der Täter zog sich an, schnappte sich sein Notebook und rannte weg.
Es ist die einzig wahrscheinliche Variante. Denn dieses passiert nicht selten, wenn Passagiere in Zeitnot sind. So etwas ist nichts ungewöhnnliches.
Aber bei all diesen Fällen fällt eines auf:
Der Befund auf Sprengstoff kommt vom Scanner. Im Falle eines Verdachtbefundes wird von den Monitoren der Sicherheitsbedienstete durch die Scannersoftware genau die verdächtigen Stellen in rot gefärbt angezeigt. Wenn also das entsprechende Notebook aufgrund der Sensorik der Scanner als verdächtig für Sprengstoff angezeigt wurde, gibt es nur eine Möglichkeit, warum das Notebook nicht gegenkontrolliert wurde. Das Sicherheitspersonal hat schlichtweg gepennt. Denn sollte das Personal gemerkt haben, dass das Notebook vom System als verdächtig eingestuft wurde und der Passagier rennt deswegen weg, dann hätten ihn die BGS-Beamten ohne Zweifel gestoppt.
Es lag also kaum an ein Übeles wollenden Passagier.
Gesetz des Falles es war so, wie viele Zeitungen wissen wollten, dass ein Fluggastanwärter in Wahrheit ein Terrorist mit Sprengstoff im Notebook ein Flugzeug sprengen wollte, dann wäre spätestens bei dessen Flucht das Verhalten in den ersten drei Fällen mit Sicherheit und im letzten Fall wahrscheinlich den BGS-Beamten aufgefallen. Aber der Fluggast fiel niemandem auf. Nicht mal der Scan des Systems des Sicherheitspersonals.
Die Aufregung ist jetzt groß. Es wird wieder spekuliert, wie man die Sicherheit nun doch wieder verbessern kann. Der „Nacktscanner“ kommt wieder ins Gespräch. Aber auch die Bezahlung des Sicherheitspersonals wird angesprochen.
Nur eines wird nicht angesprochen:
Der vorbeugende Gehorsam des Sicherheitspersonals ihren Chefs gegenüber. Denn dieser muss wohl für so einen Job unbedingte Voraussetzung sein. Entsprechend ist dann auch die Humorlosigkeit und Freundlichkeit des Sicherheitspersonals.
Ich erlebte es einmal wegen 50 von mir mitgenommenen „Schlüsselanhänger“ (kleine Kettenglieder aus gehärtetem Stahl an dem Leichtmetallring). Diese wurden mit weggenommen, weil sie eine Waffe darstellen sollten. Der Sicherheitsangestellte reihte vier mit dem Leichtmetallschlüsselring an seinem Mittelfinger auf, ballte die Faust um die Kettenglieder und meinte nun könne härter zugeschlagen werden. Der herbeigerufene Vorgesetzte interessierte sich für die Schlüsselanhänger kaum, sondern beharrte darauf, dass der Untergebene richtig geurteilt haben müsse.
Dagegen dürfen weiterhin die Akkus von Notebooks mitgenommen werden. Die sind zwar scharfkantig und massiv stabil, aber generell keine Schlagwaffe.
Jedes Mal, wenn ich in München die Portale passiere, habe ich das Gefühl hinter den Schleusen wieder in ein menschenfreundlicheres Gebiet zu stoßen. Ich kenne viele andere Flughäfen im Vergleich zu München. München und sein Sicherheitspersonal haben nicht nur bei mir sondern auch bei vielen Kollegen und Bekannten den Ruf der freundlichkeitsfreien Zone, direkt vor Düsseldorf.
Und München ist auch immer wieder DER Flughafen, bei dem Limousinen an die Flugzeuge mit Flugrichtung „Brüssel“ heranfahren und wichtige Personen direkt an die Gangway rangebracht werden. Die Fahrzeuge tragen Münchener Kennzeichen und gehören nicht zum Flughafen-Inventar.
Das Studium der Nachrichten gestern Abend und heute morgen der Print-Medien-Schlagzeilen hat mir wieder gezeigt, wie viel Wahrheit bestimmten Nachrichtenorganen eine Schlagzeile wert ist. Es stellte sich mir die Frage, wer von wem gedanken- und hirnlos abschrieb. Denn schon das Hinterfragen der gemeldeten Pseudo-Fakten hätte bestimmtes direkt ausschließen müssen, bevor es auf offiziellem Wege verbreitet wird.
Und es hat inzwischen noch etwas gutes:
Denn wer sich von den Journalisten und Politikern jetzt meldet und aufgrund eines menschlichen Fehlers mehr Maßnahmen fordert, der ist unter den Hirnbefreiten garantiert König.
Und noch etwas in meinen Augen sehr merk-würdiges:
In keiner Zeitung wird die strategische Positionierung von den zwei mal zwei BGS-Beamten am Münchener „Terminal 2“ erwähnt. Es wird jetzt allein auf unzuverlässiges Sicherheitspersonal abgezielt. Aber niemand hinterfragt diese Positionierung und warum es so lange gedauert haben soll, bis die Bundespolizei informiert worden sei …
Das ist wirklich merk-würdig.
Und dann ist der ganze Bereich videoüberwacht. Das Filmen hatte wohl funktioniert, aber die Auswertung nicht. Diese obliegt der Bundespolizei, nicht der Sicherheitsfirma. Wenn diese Auswertung so miserabel ist, dann sollte auch dort angesetzt werden. Oder ist das unzulässig? Begehe ich hiermit Häresie?
Fakt ist, dass die Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen München inzwischen rechte Schikanen für Fluggastanwärter sind. Wer mit Münchener Flughafenpersonal in deren Freizeit ins Gespräch kommt, erfährt, dass das Sicherheitssystem am Münchener Flughafen nur an den Portalen überdimensioniert ist, aber dort wo die Portale nicht sind, schwachbrüstig ist.
Egal. Fliegen ist schon lange keine Dienstleistung, die man nur mit Geld bezahlt. Man zahlt auch mit vorbeugendem Gehorsam, Kritikverzicht und Folgsamkeit seltsamen Regeln gegenüber. Und man ordnet sich diesem System hierarchisch unter.
Genau dem Modell des Sicherheitspersonals: vorbeugendem Gehorsam, Kritikverzicht und Folgsamkeit.
Man gibt mit seinen Habseligkeiten die eigene Mündigkeit an den Sicherheitsportalen ab. Weil es andere unbedingt so wollen. Und es wird noch mehr Demut erforderlich sein, um zu fliegen. Weil es andere so wollen. Und nicht weil der Fluggast es so will.
Und irgendwann geschieht das, was bereits am internationalen Flughafen „Tom Jobim“ in Rio de Janeiro passierte: ein Fluggast musste zur Sicherheitskontrolle seine Hosen runterlassen …
(Edit 22:40 Uhr:
Ich lese gerade in der „Süddeutschen Zeitung Online“, dass die den Aufbau der Sicherheitsschleuse mit den BGS-Beamten dahinter ebenfalls hinterfragen und Unstimmigkeiten in der offiziellen Version festgestellt haben. Die „Süddeutschen Zeitung Online“ ist zwar für mich nicht mehr das Maß der journalistischen Dinge, aber immerhin zeigen die dort, dass deren Journalisten sich anfangen, eigene Gedanken machen.)
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