Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (24): Vermögensverwalter

Im Bekanntenkreis gibt es bereits die ersten, die mit ihren Vermietern zwecks Mietstundung in Kontakt getreten sind. Gesetzlich ist “Mietstundung” ermöglicht worden, wobei es doch eher “Mietaufschub mit prozentualen Versäumnisgebühren” heißen müsste. Es hat dann aber auch den Charakter eines Überziehungsspielraum wie beim eigenen Konto. Man zahlt dann halt die vereinbarten Überziehungszinsen. Der Vermieter wird somit zu einer Art “Bank” für den Mieter. Und wenn die “Bank” ziemlich mies drauf ist, dann lernt der Mieter den Begriff “Bad Bank” von einer ganz anderen Seite kennen und zwar in der Leidensform (als Erleidender) und nicht als passiver TV-Zuschauer einer Serie einer Streaming-Mediathek.

Jetzt ist aber nicht jeder Vermieter eine physische Person an sich. Es gibt auch andere Arten von Vermieter, also Immobilien-Gesellschaften, Wohnungskonzerne, Immobilien- und Versicherungsfonds. Gerade in den Innenstadtlagen beherrschen diese “Real Estate”-Immobilien- und Versicherungsfonds den Markt. Nachdem die Zentralbanken die Leitzinsen immer mehr Richtung 0% gesenkt hatten, flüchteten die Sparer in Fonds, welche sich aus Mietzahlungen von Mietern an eben jene Immobilienfonds ernähren. Und der Sparer will seine 7% Marge, damit er sich später einmal von einen solcher “Real Estate”-Konglomerate seine eigenen vier Wände finanzieren kann.

Wenn also Firmen, welche Geschäfts- und Verkaufsräume in bester Innenstadtlage gemietet haben, jetzt ihre Miete nicht mehr zahlen, dann trifft es kaum den privaten Vermieter, sondern vielmehr Immobilienfond-Konzerne. Diese wirtschaften auf Profit ausgerichtet, damit die Rendite derer beteiligten Sparer stimmt. Und der Sparer ist keiner, der auf Wertzuwachs verzichtet.

Fallen im Wohnungsbau Namen von Wohnungskonzerne wie “Vonovia”, “Deutsche Wohnen” oder “LEG”, dann hilft es sich zu vergegenwärtigen, dass dahinter u.a.a. solche Aktionäre wie “BlackRock” (größter Vermögensverwalter der Welt mit über 6,5 Billionen Dollar verwaltetes Vermögen), “Norges Bank” (Norwegens Staatlicher Pensionsfonds, der  größte Staatsfond der Welt) oder “MfS” (Massachusetts Financial Services als eine der ältesten Vermögensverwaltungsgesellschaften der Welt) stehen. Und diese haben das Ziel eines jeden Unternehmens: profitabel zu wirtschaften, um den Shareholder-Value zu steigern und den Shareholdern Dividende zu geben. Es geht nicht um die Allgemeinheit, es geht um den Kreis derer, die mit ihren Einlagen diese Firmen stützen.

Natürlich gibt es in München auch viele “Privat”-Vermieter und einige davon sind hauptberuflich Vermieter und leben davon auch ohne Nebenjob recht komfortabel. In einer Münchner Nachtkneipe begegnete ich kurz vor der Ausgangsbeschränkung jemanden, der mir bierseelig offen gestand, dass er in der Schule schlecht war, trotzdem das Abi mit Hilfe seiner Eltern irgendwie bestand, dann im BWL-Studium nichts zustande brachte, aber eine gesichert Zukunft habe: sein Vater besitze viele vermietete Immobilien in München. Davon könne die Familie sehr gut leben und er übernehme gerade die Verwaltung dieser Immobilien. So funktioniert Wirtschaft und Geldvermehrung. Manche haben halt den Silberlöffel im verlängerten Rücken stecken. Andere müssen den monatlich putzen.

Das aktuelle Virus kann nicht nur die eigene Gesundheit ernsthaft angreifen, sondern es hat bereits ganz konkret die Wirtschaft infiziert und damit das Auskommen mit dem eigenen Einkommen der Menschen. Während nach dem physischen Gegenmittel zu dem Virus mit Hochdruck geforscht wird, bleibt das Forschen nach wirtschaftlichen Gegenmitteln auf der Strecke. Der Gedankenkorridor, der generell als zulässig erachtet wird, ermöglicht dazu nur ein Reagieren auf Sicht. Einen “Plan B” gibt es nicht, denn solch einer läge nicht im Bereich der zulässigen Ideen.

Die lange Schlange vor der Münchner Tafel von gestern erinnerten mich auch daran, dass Mieten in München alles andere als niedrig sind und der Wegfall des üblichen Einkommens die private Lage von Mietern von einen auf den anderen Tag schlagartig verändern kann. Da klingen mir die in den letzten Jahren und Monaten zuvor geäußerten Phrasen wie “wer arbeiten will, der findet auch einen Job” wie Zynismus. Natürlich fällt gerade in der jetzigen Situation gerne noch die Plattitüde “dass hier in Deutschland auf hohem Niveau gejammert wird”. Denn im Vergleich zu den Arbeitern wie jene in Neu-Delhi, die ihren Niedriglohn-Job verloren haben, jetzt auf der Straße vor den Bahnhöfen schlafen, weil sie deren Miet-Wohnungen verloren haben, und zurück zur eigenen Familie außerhalb Neu-Delhis wollen, nun aber wegen Einstellung des Bahnverkehrs das nicht können und dafür auf den Straßen von den Polizisten verprügelt werden, weil die dortige Ausgangssperre nicht beachtet wurde … das wird dann von denen geäußert, die mit der Krise noch keine Probleme haben, solange deren Aktienfonds sich weiterhin positiv entwickelt. Und sollte dann Mietzahlungen nicht kommen und der eigene Versicherungs- und Immobilienfond nicht den Gewinn produzieren, wie jener geplant wurde, dann ist deren Gezeter groß.

Jede Krise produziert Verwerfungen und macht Dinge sichtbar, welche vorher latent unter der Oberfläche gelauert haben. Bei der Finanzkrise von vor zehn Jahren platzte die Spekulationsblase der Banken, der Immobilien- und Versicherungsbranche und es wurde deutlich, wie sehr unser Leben von Hausse und Baisse der Börsen und deren Leidenschaft, auf unsere Lebensumstände zu wetten, geprägt wurde. Dass dabei Milliarden an Milliarden in systemische Banksysteme gepumpt wurden, zeigte damals bereits, dass Armut keinen systemischen Status hat, Reichtum und Besitz aber sehr wohl.

Vielleicht ist das Zynische an dem jetzigen Virus, dass es sich nicht für Vermögenswerte oder Wirtschaftssysteme interessiert (nebenbei, auch nicht für den Inhalt, den Blogautoren wie ich schreiben) lediglich rein biologisch agiert, und dass alle Menschen vor dem Virus gleich sind. Naja, zumindest was grauhaarige, ältere Männer angeht. Aber die will ja eh niemand mehr. Und da gibt es inzwischen ja genügend, die eh gerne dem “survival of the fittest” anhängen …

Eine präsentierende Bank, ein "Schuldensumpf" und "Börse im ERSTEN"

„Vielleicht wäre es ja alles nicht so schlimm, wenn es der Börse nur gut gehen würde.“ Es ist die unausgesprochene Frage, ob es denn so wäre, die jedoch niemand zu beantworten wagt. Auch nicht an entscheidener Stelle im Fernsehen. Denn wie soll jemand mit der Faust auf den Tisch hauen, wenn er seine Finger darin mit im Spiel hat.

Das ERSTE hat Börsennachrichten einen festen 2-Minuten-Sendeplatz mit „Boerse im Ersten“ eingeräumt. Die Einbettung innerhalb des Werbeblocks vor der Tageschau ist immer auch das „Große Glaubensbekenntnis“ auf Wall Street und Dax. ARD-Journalisten bringen den Zuschauern näher, warum es uns „so schlecht“ geht. Eben weil es der Börse so schlecht geht. Jedoch explizit sagen, das tun sie dort aber nun doch nicht. Sie vermitteln es uns lediglich.

Heute lies mich ein einleitender Werbe-Spot vor der Sendung aufhorchen:
„Die Börse im ERSTEN wird Ihnen präsentiert von der Hypovereinsbank der UniCredit-Group“ (oder so ähnlich)

Und nahtlos moderiert Boerse-Frontfrau Anja Kohl nach dem Jingle die Sendung an:
„Barcelona. Die pulsierende Hauptstadt Kataloniens …“

Frau Anja Kohl ist ein Sonnenschein. Deswegen ist sie auch gern gesehener Gast der ARD-Talkshows, wenn es darum gehen soll, die Probleme Europas mit ihrer EU-Währung zu erklären. Keine kann das Wort „Schuldensumpf“ so maliziös lächelnd aussprechen wie Frau Anja Kohl. Unsachlichkeiten der Frau Kohl in Talkshows gleicht diese mit einem Lächeln aus, welches Talkshow-Moderatoren fraglos fragwürdig dahin schmelzen lässt.
Auch heute ließ Frau Kohl es nicht aus, zu erklären, warum die EU durch Schulden so bedroht sei. Große Krisen fangen klein an, erklärt sie. Über den spanischen Immobilienboom hin zu platzenden Hauspreisblasen, erklärt sie, dass die Sparkassen nun auf „faulen Krediten“ sitzen und der spanische Staat sich immer weiter verschuldet, um die Banken Spaniens zu stützen.
Und dann zieht sie den Vergleich des Abends: die Mortgage-Krise der USA 2007, als dort ebenfalls eine Immobilienkrise platzte. Bevor aber der Zuschauer darüber zuviel nachsinnen könnte, betont Frau Kohl, wer die Opfer einer solchen Immobilienkrise sind:

„Eine Immobilienkrise schlägt zurück auf die Banken. Und dann auf den Staat.“

Schneller als „Boerse im ERSTEN“ kann auch ein Papst seine priesterliche Vergewaltiger nicht mit einem „Te absolvo“ frei sprechen und danach sofort zu bedauernswerten Opfern umzudengeln.
Sowohl in den USA als auch in Spanien haben die Banken versucht, durch billige Kredite an Hinz und Kunz gute Geschäfte zu machen. Ohne ausreichende Prüfung der Liquidität der Antragsteller, nur mit dem blinden Vertrauen auf stetiges Wachstum der Immobilienwerte und den eigenen reichhaltigen Boni vor den Augen wurden Kredite wie Karnevallskamelle heraus gehauen. Es war dann nur eine Frage der Zeit, bis die „Hauspreisblase“ platzte und ihren Eiter zum Vorschein brachte. Den Eiter, die „faulen Kredite“, will nun keiner mehr haben. Den soll die Allgemeinheit schlucken. Als neue finanzielle Schlank-Macher-Diät.

Während die Gewinnler der „Hauspreisblase“ sich zurücklehnten und nach neuen rentablen Geldanlagen umsehen, mussten sich Banken inzwischen hilfesuchend zu deren Staat vorbeugen, um von diesem mittels Steuereinnahmen abgestützt werden, um nicht vornüber zu fallen und alles zu begraben.

Während also das Volk Spaniens zum Sparen für deren Bankenwelt verdonnert wird, während Spaniens vermögende Sparer und Anleger ihre Gelder von den bedrohten Banken abziehen, in dieser Zeit wird durch bestimmte EU-Länder von Spaniens Regierung das Merkel’sche Credo des Sparens für die Rettung der Bankwirtschaft gefordert.
Auf Kosten der Bevölkerung. Welche durch ihre wachsende Arbeitslosigkeitsquote wiederum dem spanischen Staate entsprechende Steuereinnahmen „entzieht“, weswegen der Staat ja auch verstärkt sparen soll. Untergeordnet dem heiligen Ziele, dass die Finanzwelt nicht zusammenkracht und gegebenenfalls auch noch selber das Heer der Arbeitslosen mehrt.

Und da war sie wieder, die Verbindung von „Börse im ERSTEN“ und der „UniCredit-Gruppe“. Denn die UniCredit-Gruppe ist ebenfalls eine Bank, die nicht zu den Gewinnern der spanischen Bankenkrise gehört und sich bei der Immobilienblase Spaniens verkalkuliert hat. Sollte der spanische Staat nicht sparen, um das dabei Ersparte zur Rettung der spanischen Bankenwelt zu investieren, dann wäre von einem Finanzcrash auch die „UniCredit“-Gruppe betroffen.

Eine Sendung, die von einem Mitverursacher der spanischen Wirtschaftskrise präsentiert wird?
Das hat etwas davon, den Bock zum Gärtner zu machen.
Und besonders bei so einem Geschmäckle wirkt das Lächeln einer Anja Koch noch maliziöser, wenn sie das Wort „Schuldensumpf“ ausspricht. Zur Belohnung wird sie dann sicherlich wohl wieder in einer der diversen Talkshows als Finanzmarkt-Expertin auftreten und erklären, warum Staaten zu sparen haben, damit Banken nicht Not erleiden müssen. Denn wenn es den Banken wieder gut geht, erst dann dürfen wir uns auch wieder gut fühlen. Notfalls müssen wir uns dann nur noch flexibel die Absätze vorne an die Füsse annageln, damit wir zumindest wieder das Gefühl haben, dass es bergauf geht. Aber das wird uns sicherlich auch „Börse im ERSTEN“ per Experten erklären, wie so etwas denn geht.

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Update. Noch eine Anmerkung zu der Sendung:

Es ist erstaunlich, wie „boerse im ERSTEN“ immer wieder Recycling betreibt. Zum Beispiel, dass die oben erwähnte Sendung von 29.5.2012 aus Versatzstücken der Sendung vom 25.5.2012 gebildet wurde (inkl. 15 Sekunden gleichem Filmmaterials, deren Schnittfolge nur in andere Reihefolge gestellt wurde).

Meiner Meinung nach würde sich die Sendung „boerse im ERSTEN“ erheblich besser in einer Pay-TV-Programmstruktur einpassen. Denn „boerse im ERSTEN“ richtet sich an die Anleger unter den Fernsehzuschauern und nicht an die über 30 Millionen Mitbürger, die überhaupt kein Geld zum Verspekulieren haben. Für mich hat diese Sendung die gleichen Hintergründe, wie Sektenmitglieder hinter verschlossenen Türen ihrem goldenen Kalb huldigen und fleissig Geld in den Sektenklingelbeutel abdrücken, um ihr Seelenheil zu gewinnen.

Andererseits passt die Sendung momentan dort hinein, wo sie programmtechnisch steht: in einem Werbeblock. Zur echten Information über Hintergründe der Wirtschaft taugt „boerse im ERSTEN“ genauso wie die damaligen „Qualitäts-Scouts“ der McDonalds Werbereihe aus den Jahren 2008/2009: Über das Finden von dicken Kartoffeln wird zwar bei „boerse im ERSTEN“ referiert, aber über die Hintergründe eines finanziellen Beute-Coups beispielsweise à la mode de Mark Zuckerberg und der Investmentbank „Morgan Stanley“ mittels dem Börsengang von „facebook“ wurde bei „boerse im ERSTEN“ inhaltlich und Hintergrund-erhellend absolut nichts berichtet.

„boerse im ERSTEN“ liegt nun einmal inhaltlich und niveaumäßig auf dem der sie einschließenden Werbung. Präsentiert von einer Bank.