»Mein Smartphone hat verrückt gespielt.«
So ganz wohl war mir nicht, als ich den Text in das Feld für SMS-Nachrichten eintippte.
Bluetooth ist eine wunderbare Sache. Im Mietfahrzeug ersparte es mir ein Kabel und darüber hinaus auch das regionale Musikprogramm der bayrischen Sender. Ich hatte das Fahrzeug mit meinem Smartphone gekoppelt gehabt und als ich das Mietfahrzeug ausgeschaltet und abgeschlossen hatte, war ich der Meinung, dass die Verbindung zwischen meinem Smartphone und der Fahrzeugelektronik ebenfalls gekappt worden wäre. Von irgendwoher vernahm ich das Rufzeichen eines Anrufs. Belustigt schaute ich zurück, um festzustellen, wer denn da mit seiner Fahrzeugfreisprecheinrichtung so laut telefonieren würde. Es kam aus meinem Mietfahrzeug. Neugierig schaute ich nochmals ins Fahrzeug und mein Blick fiel aufs Display. Dort war ein Name angezeigt, den ich kannte. Mir wurde umgehend klar, was das nur bedeuten konnte. Mein Griff zum Smartphone in meiner Jackentasche und die darauf folgenden Wischbewegungen erfolgten in aufgeregter Hektik. Letztendlich konnte ich den Anruf erfolgreich beenden. Dafür rief der Angerufene mich dann zurück. Nur, beantworten konnte ich den Anruf nicht, denn mein Smartphone spielte nicht mit und legte einen Neustart hin. Der klassischer Softwareabsturz.
»Mein Smartphone hat verrückt gespielt.« Mein Satz – dem Angerufenen per SMS zugeschickt – erschien mir eigentümlich schizophren. Weder kann mein Smartphone »spielen« noch hat es ein Bewusstsein, welches als »verrückt« bezeichnet werden kann. Dass nebenbei auch noch die Software des Mietfahrzeugs dem elektronischen Ausschalter nicht Folge leistete,
»Folge leisten«. Wieder so ein Ausdruck, der der seelenlosen Technik Leben einhaucht.
»Mein Smartphone macht auch, was es will«, erhielt ich als Replik auf meine verschickte SMS.
In frühen Jahren hatte ich einen Schachcomputer. Auf Stufe 1 hatte ich regelmäßig gegen das elektronische Schachhirn gewonnen: Schachmatt in fünf Zügen. Wiederholbar. Immer wieder. Er lernte nichts dazu. Nur ab Stufe 5 zickte der Schachcomputer herum und lies mich jedes Mal verlieren. Wiederholt. Immer wieder. Da konnte ich machen, was ich wollte. Geschimpft hatte ich. Gezetert, wenn er mich bis zum letzten Zug ausgerechnet hatte. Fluchend drückte ich auf seine schmale Tastatur wütend herum, wenn er mir meine Beschränktheit aufzeigte. Auf all meine Bitten, all mein Flehen und all mein Verfluchen reagiert er mit berechnender Kühle, die im eindeutigen Widerspruch zur Wärmeleistung im Bereich seiner Stromversorgung stand. Viel hatte ich mit ihm geredet, aber genutzt hatte es überhaupt nicht.
Oder mein Kassettenrekorder. Ich hatte der Radiosendung – einer Live-Übertragung – entgegen gefiebert. Die Sendung begann und ich startete die Aufnahme. Als etwas später nach dem Drücken der Aufnahme-Taste eben diese mit einem trockenen Knacken aus der Verrastung heraus sprang, fand meine intensive Zwiesprache mit dem Gerät statt. Ich öffnete das Kassettenfach und sah von der Kassette das braune Band in das Laufwerk hinein- und herausragen. Ein paar überhastete Handgriffe von mir später – begleitet von diversen Flüchen und Fragen an meinen Kassettenrekorder – hielt ich zwei zerknitterte schmale Bandenden in der Hand und ich fragte den Kassettenrekorder entrüstet, warum er gerade dann das macht, was ich nicht wollte, wenn ich es überhaupt nicht gebrauchen konnte. Der Rekorder reagierte auf meine Anwürfe nicht, obwohl ich der unbeugsamen Meinung war, er müsste mir Rede und Antwort stehen.
»Mein Smartphone macht auch, was es will.« Ich schaute auf das meine und fragte mich, warum ich nicht einfach anriefe. Nur, über was reden? Über ungehorsame Smartphone? So von Smartphone-Besitzer zu Smartphone-Besitzer? Dass Technik einfach nicht gehorchen will? Seinen eigenen Willen dessen Besitzer aufzwingt?
Das Display schaltete sich ab, wurde schwarz. Im Glas des Display erblickte ich ein Gesicht, ein ziemlich ratloses Gesicht umgeben von der Schwärze des reflektierenden Glases. Wenn schwarz die Abwesenheit von Licht ist, so fragte ich mich, wie konnte dann das Glas Schwärze reflektieren. Ein ziemlich abstruser Gedanke. Ich drehte das Display nach unten, das Gesicht verschwand und ich verstaute mein Smartphone wieder in meine Jackentasche.
Später, vor dem Schlafengehen kontrollierte ich, ob es nicht wieder eigenwillig Telefonverbindungen aufgebaut hatte. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ich kontrollierte und entdeckte nichts außergewöhnliches. Ein weiterer abgehender Anruf von mir war nicht im Telefonprotokoll registriert.
Mein Smartphone läuft auf Android-Basis. Es ist nur ein technisches Gerät. Technische Geräte spielen nicht. Sie haben kein verrücktes Bewußt-Sein. »Mein Smartphone hat verrückt gespielt«, war eine opportune Ausrede über diesen unerwarteten Zufall.
In der folgenden Nacht hatte ich das Smartphone abgeschaltet. Rein zur eigenen Sicherheit. Solch ein Zufall sollte sich nicht wiederholen und dabei eventuell mein Schnarchen in die ganze Welt raus telefonieren.
Abgeschaltet. Das Android-Betriebssystem meines Smartphones im Energie-Sparmodus. Sozusagen der Schlafmodus.
Oder doch nicht? Die Akkuanzeige am Morgen danach war erheblich geringer als am Abend zuvor, nachdem ich das Smartphone aufgeweckt hatte. Zufallsanrufe waren nicht verzeichnet. Als das Display nach meiner Überprüfung wieder schwarz wurde, sah mich erneut das Gesicht vom Vortag fragend an. Ich wusste, um welche Frage es sich handelte. Es war der Titel einer Kurzgeschichte, jene von Philip K. Dick: »Do Androids Dream of Electric Sheep?«
Der Zufall hat kein Gedächtnis. Und Smartphones träumen nicht.
Alles andere ist Ausrede.
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