Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (17): 1. April

Sie hatte fristgerecht im letzten Jahr gekündigt: Mietvertrag, Arbeitsvertrag, Versicherungen. Verkauft in den letzten zwei Monaten: Möbel, Auto, Motorrad. Das gleiche tat ihr Mann. Gekauft: Ein Flugticket für zwei nach Australien. Geplant war ein Sabbatical. Und dann kam Freitag, der dreizehnte, im letzten Monat. Der Traum zerschlug sich danach.

Ein guter “Grillo” aus Sizilien passt hervorragend zum selbstgemachten Risotto. Sowohl zum Ablöschen des Arborio, als auch danach. Manchmal hat man im Leben Glück, jemanden kennen zu lernen, der einem die hohe Küchenkunst des Risottos beibringt. Risotto ist nicht lediglich machbar, wie Milchreis mit Milch. Risotto ist mehr als nur das, damit Risotto mehr als nur “Reis mit Gemüsebrühe bis zur Cremigkeit aufgekocht” wird. Für die Herstellung eines richtig guten Risottos muss man sich schon eine Stunde Zeit nehmen. Einen guten “Grillo” aus Sizilien kann man aber auch ohne Risotto trinken. Heute mach ich kein Risotto.

Die Baustelle lebt und entwickelt sich weiter zu einem Gebäude. Ein Zettel im Hausflur verkündet, dass eine Wohnung über mir kernsaniert wird. Es wird die Wohnung desjenigen sein, der am 24. Dezember hier verstarb. Für den Dreck und Lärm entschuldigt sich die Hausverwaltung gleich im Voraus. Mir wird klar, einen Wecker ist momentan so das Unnützeste, was ich mir momentan zulegen muss. Vorgestern starb erneut eine ältere Person. Ich wette, in einem Viertel Jahr gibt es den nächsten Aushang. Ausschlafen wird auch komplett von mir überschätzt. Sechs Uhr Fünfundvierzig ist das neue Sieben Uhr der nächsten Zeit.

Heute ist der 1. April und eigentlich gehören wir alle in den April geschickt. Aber keiner hat Lust dazu. Woran liegt’s? Selbst ich werde jetzt nicht irgendeinen April-Witz hier verbreiten.

Okay.

Gelogen.

Einen versuch ich euch Lesern doch unterzujubeln:

“BILD-Zeitungsredaktion vor Damaskus vom Pferd gefallen. Redaktion brütet ab jetzt das sensationelle Osterei aus. Ab jetzt nur noch liebe Schlagzeilen ohne Panikmache. gez.: Ex-Saulus”.

Gehabt euch wohl und gesund.

Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (15): Kurzarbeit

Der erste Tag in Kurzarbeit. Bad geputzt, Wohnung aufgeräumt und sonst nichts getan, außer den Pflanzen beim Wachsen und der Baustelle beim Bauen zugeschaut und die neusten Zahlen durchgehechelt. Morgens fiel noch Schnee, jetzt scheint die Sonne. Ansonsten nichts Neues.

Außer vielleicht bei Netflix. Die Serie zur Corona-Ausgangssperre. Man packe neun Kandidaten in neun Apartments und verbinde diese mit einem Chat-Kommunikationssystem, in welchem der Text per Stimme diktiert wird. Viele kennen das: “Alexa, mach mal Licht”, “Alexa, packe Notizbuch auf meine Einkaufsliste”, “Alexa, wie spät war es vor 10 Minuten?” So ähnlich funktioniert das System auch in der Serie.

Das System nennt sich “Circle” und die geskriptete Serie wurde in Brasilien gedreht. Zwei der neun Kandidaten verkörpern Fake-Personalitäten und jeder muss den anderen anhand des Diktierten abschätzen.Direkten Kontakt gibt es nicht und verlassen werden darf das Apartment nur, wenn die Spielleiter es aus triftigen Gründen erlauben oder fordern. Also, wie hier bei uns Ausgangsbeschränkung und Kontaktsperre. Die perfekte Corona-Serie.

Unterhaltsam ist die Serie, wie Farbe beim Trocknen zuzuschauen. Nur mit dem Unterschied, hier kann die Farbe in den neun Apartments auch noch sprechen, wenn auch kaum wirklich sinnvolles, und dann auch noch Caipirinha trinken.

Nach zwei Folgen war bei mir Ende Gelände und der Fernseher ging wieder auf Standby.

Auf der Baustelle wird gemauert. Sie rühren nicht nur Beton an, nein, sie ziehen das perfekte Verteidigungsbollwerk hoch: exakt ausgerichtet, lotrecht und schnurgerade. Und immer wieder mal ein Rüttler, der Erde verfestigt und hier alles zum Erzittern bringt. Sollte niemand meinen, mein Körper würde keine Bewegung erfahren.

Morgen geht es wieder zur Arbeit. Ich darf wieder raus. Hoffentlich rütteln die da unten alles zu Ende.

Und jetzt ein wenig Musik von Torfrock (https://www.youtube.com/watch?v=dlcn0WlFSG0)