Leben an der Leitplanke

„Ich hab deinen Tweet auf X letztens gelesen. Mein Beileid.“

„Beileid?“

„Du hattest zu dem Foto eures Hundes ‚Lebwohl‘ geschrieben. Woran ist er gestorben?“

„Gestorben? Der ist nicht gestorben.“

„Nicht? Aber du hattest leb… „

„Quatsch. Wenn jemand stirbt, sagt man doch nicht Lebwohl. Wir hatten ihn an der Raststätte ‚4 Lilien‘ an der A13,5 an der Leitplanke festgebunden.“

„Was? Ausgesetzt?“

„Iwo. Ausgesetzt hieße, wir hätten ihn allein gelassen.  Haben wir aber nicht, weil uns liegt auch das Tierwohl sehr am Herzen.“

„Tierwohl?“

„Unser Opa saß letztens immer so alleine in der Seniorenresidenz. Seine uralten Bekannten waren ihm alle weg gestorben. Und bevor der in seiner Residenz unser Erspartes wegatmet, hatten wir gedacht, unser Harras sollte nicht allein bei den ‚4 Lilien‘ auf seinen neuen Besitzer warten, sondern sollte auch einen Begleiter haben, damit Harras nicht so alleine dort wartet.“

„Ihr habt euren Opa ausgesetzt? Seid ihr nicht ganz knusper?“

„Wieso? Harras passt doch auf ihn auf.“

„Auf ihn auf?“

„Na, wenn er die gemeinsame Leine aufknüpfen sollte. Man weiß ja nie, was so ein seniler, alter grauhaariger Herr anstellen kann. Nachher rennt der über die Autobahn und verursacht nen Unfall. So etwas zahlt doch keine Versicherung. Dafür haben wir kein Geld und unser Erspartes brauchen wir für was anderes, sinnvolleres, nicht wahr.“

„Also habt ihr euer First-Class-Sabatical noch immer in Planung?“

„Freilich. Dafür müssen wir sparen. Der Hund hat uns die Haare vom Kopf weg gefressen  Den konnten wir uns bei alter Liebe nicht mehr leisten. Und warum das Gute nicht mit dem Nützlichen verbinden? Schließlich mag Opa Hunde.“

„Und der Hund mag Opa?“

„Aber klar. Opa war immer ein Alpha-Tier, da wird sich Harras fügen. Schließlich ziehen die jetzt gemeinsam an derselben Leine.“