Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (33): Bildersprache

Als die Pandemie Europa überrollte, wurden in der Zuliefererindustrie der Automobilindustrie Anfang Februar Briefe seitens der OEMs verschickt, in welchen diese die Lieferanten auf deren Lieferverpflichtung hinwiesen und einen “force majeure” direkt als unakzeptabel bewerteten, sollte ein Lieferant aufgrund Quarantäne-Verpflichtungen seine Lieferabrufe nicht mehr bedienen können. Eine Deklaration eines “force majeure” hätte zumindest vorübergehende Befreiung von der Leistungspflicht und ein gleichzeitiger Ausschluss von Schadensersatzverpflichtungen bewirken können. Dem wurde seitens der OEMs schon einmal vorbeugend widersprochen. Einen Monat später erklärten dann eben jene Automotive-OEMs, dass sie ihre Werke runterfahren würden. Mittlerweile werden die Werke wieder hochgefahren und die Lieferanten erhalten vermehrt die Anforderung, dass die Lieferketten sicher zu stellen seien und ein Bruch der Lieferketten jetzt anzuzeigen wäre.

Ein europäisch-amerikanisch-asiatisch lokalisierter OEM hat dazu ein Video herumgeschickt, in welchem er sich permanent lobt, welche Maßnahmen zur Sicherstellung seiner Mitarbeitergesundheit er in seinen Produktionswerken eingeführt hat. In dem Video fiel mir ein Bild (Screenshot aus dem Video) auf:Infrared temperature screening

Was zu erkennen ist, dass sich wohl zwei Inder gegenüber stehen und der eine auf die Stirn des anderen zielt. Natürlich mit einem Infrarot-Thermometer und nicht mit einer Waffe. Und das Bild zeigt noch eine andere wichtige Sache: Eineinhalb Meter Abstand.

Und darüber hinaus auch noch: dass der rechte Arm des Messenden Ergebnis einer verdammt schlechten Grafikbearbeitung ist.

Mit diversen Suchmaschinen konnte ich das Bild nirgendwo aufspüren. Ich versuchte es mit “temperature”, “corona” und “screening”. Doch auch damit Fehlanzeige bei der Bildersuche. Aber dabei traf ich auf viele Bilder, welche mich irgendwie an das Foto von Eddie Adamas aus dem Jahre 1968 (hier) erinnerte. Oder vielleicht sogar aus Szenen einer der unzähligen Spielfilme, in denen der Kopfschuss zelebriert wird.

Eines fiel mir bei den Bildern der Suchmaschine ins Auge. Auf denen sehen die Menschen, die gerade überprüft werden, immer irgendwie von demütig über schamhaft bis schuldig aus. Und immer waren sie am Prüfenden näher als jene anderthalb Meter.

Aber vielleicht ist das obige Bild lediglich keine schlechte Grafikbearbeitung. Vielleicht ist der Prüfende auch nur eine “Mutation” in Corona-Zeiten und niemand hat es bemerkt. Ich wollte doch schon immer wissen, was Corona aus Menschen macht, und vielleicht bin ich hier auf etwas offensichtliches gestoßen: die Corona-induzierte spontane Längenmutation eines Armes im Neoliberalismus. Aber wahrscheinlich liege ich falsch und es zeigt mir nur, was Mensch aus Menschen macht: einfache Prüfobjekte auf Distanz.

2 Gedanken zu „Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (33): Bildersprache

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.