Das Corona-Tagebuch: Provinznotizen aus Deutschland Süd bei Südost (31): Kneipengespräch

Tresen 0

“Ich wüsste schon gerne, warum der Lewandowski damals zum Bayern München gegangen ist.”

“Des Geldes wegen. Weswegen sonst?”

“Der schönen Aussicht auf die Alpen bei Fön-Wetterlage vielleicht.”

“Oder er kam wegen der heilenden Quellen an der Staatskanzlei.”

“Heilende Quellen an der Staatskanzlei?”, ich schaute den Wirt zweifelnd an. “Heilende Quellen? Was für heilende Quellen? Wir sind hier in München”, hakte ich nochmals nach, mit einer Spur Tadel und Ungläubigkeit in der Stimme.

“Nicht? Keine heilenden Quellen? Dann hat man mich falsch informiert”, antwortete er lakonisch und zapfte mir ein neues Kölsch.

Die Eingangstür knarzte. Unsere Köpfe wandten sich der Eingangstür zu und erblickten zwei Polizisten, die eintraten. Der Wirt zuckte zusammen und auch ich versuchte mich kleiner zu machen.

“Was ist das hier?”, blaffte der erste.

“Corona-Party?” gab ich vorsichtig als Antwort zurück.

“Falsch!”, kam es postwendend vom zweiten zurück.

“Nu macht doch mal keinen Stress, Jungs. Zwei Kölsch? Aufs Haus oder wieder per Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer an den Herrn Ministerpräsidenten?”

“Richtig. Zwei Kölsch aufs Haus für mich und zwei mit Rechnung für meinen Kollegen, bitte.”

“Nicht zu fassen: von allen Spelunken dieser Welt müsst ihr ausgerechnet in meine kommen. Wie isses denn da draußen?” fragte der Wirt die beiden.

“Der reinste Stress”, seufzte der erste, “immer dieser Zwang zum Abstand, dann die permanente Nachfragerei, wer wie welchen Grund triftig hat. Und dann immer die Jogger, die nie anhalten wollen. Da kommt man schon ins Schwitzen, wenn wir bei diesen immer dann nebenher rennen müssen.”

Nickend bestätigte der andere die Aussage seines Kollegen und griff nach dem Kölsch vor sich. Er schaute mich an und kniff dabei ein Auge zu, als er mir warnend zuflüsterte:

“Seien Sie vorsichtig, diese Stadt ist voller Aasgeier, voller dunkler Elemente, überall lauern sie einem auf.”

Ich zuckte gleichgültig mit der Schulter: “Politik interessiert mich nicht. Die Probleme dieser Welt gehören nicht zu meinem Ressort. Ich bin lediglich Gast einer illegal geöffneten Kölsch-Kneipe”, und blickte konzentriert auf mein Kölsch.

“Welche Nationalität haben Sie?”, schnarrte er mich an.

“Ich bin Trinker”, gab ich zurück.

“Aha, ein Weltenbürger also.”

“Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber bald und dann für den Rest meines Lebens”, erwiderte ich leise.

Der erste seufzte und schaute den Wirt an: “So, jetzt kommen wir zum Bedauerlichen, was uns jetzt wieder bevor steht: wir müssen weiter. Die Corona-Regelverletzer aufspüren und mit Strafzettel versehen.” Er griff nach seiner Stange, trank sie leer und blickte den Wirt an.

“Hier, die Rechnung.” Der Wirt reichte ihm einen Bewirtungsbeleg

“Oh, bitte Herr Oberspielleiter. Das ist ein kleines Spiel, das wir hier spielen. Sie setzen alles auf meine Rechnung, ich zerreiße die Rechnung. Das ist sehr befriedigend”, zerriss den Beleg, lachte und verließ mit seinem Kollegen die Kneipe.

Ich schaute den Wirt ungläubig an. “Hab ich das jetzt nur geträumt? Sind die beiden jetzt wirklich gegangen, ohne einen Strafzettel wegen Verstoß gegen aktuelle Bestimmungen?”

Der Wirt zuckte mit der Schulter: “Tja, seit dem Freitag, den Dreizehnten im letzten Monat, seitdem alles mit Corona losging, seitdem kommen die beiden recht verzweifelt hier in meiner Kneipe rein, trinken vier Kölsch und zerreißen die Rechnung. Das reinste Minusgeschäft für mich. Ein echtes Problem. Unglaublich, nicht wahr.” Er hielt ein gerade frisch gespültes Kölschglas unterm Zapfhahn. “Hier in München hat jeder seine Probleme. Deine sind vielleicht zu lösen. Noch ‘n Kölsch?”

“Gerne. Nur, was wird jetzt aus uns?”

“Uns bleibt immer noch München aus den Vor-Corona-Zeiten.”

Meine Uhr vibrierte. Sie ging also doch noch. Ich strich paarmal übers Glas, um die Vibration zu beenden. 5:30 Uhr. Zeit zum Aufstehen. Der Fernseher war noch eingeschaltet und zeigte mir das Titelbild von “Casablanca”. Ich muss wohl beim Film eingeschlafen sein.

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