»Ist der Knispel von neulich nochmals wieder gekommen?«
Der Wirt stellte seinem Gast ein frisch gezapftes Kölsch hin und blickte ihn an: »Nein. Bislang nicht. Obwohl er noch Drei Fuffzig schuldig geblieben ist.«
»Echt? Er hatte doch drei Zehner hingelegt gehabt.«
»Rechnen konnte der auch nicht.«
»Was is’n passiert?«, fragte der zweite Gast am Tresen.
»Ach, so ein Zeuge Coronas war hier. Der hat uns letztens mehr als eine Halbe Stunde lang etwas vom Pferd erzählt, auf das er so setzt«, erwiderte stattdessen der erste Gast, der dankbar sein Kölsch entgegen nahm.
»Welches Pferd denn?«
»Dieser geschenkte Gaul. Dem jeder ins Maul starren möchte. Diesen Corona-Mist halt, den er uns hier in der Kneipe im Gespräch aufzwingen wollte.«
»Ach so. Übrigens, ich bin der Peter. Und wie heißt du denn so?«
Gast Nummer Eins schaute den Peter an und ignorierte dessen Frage: »Der hat hier wie aus einer Bibel gelabert.«
»Bibel?«
»Ja, seine Mainstream-Medien.«
»Ach so.«
»Und gegen die alternative Gegenöffentlichkeit hat er gewettert.«
»Gegen welche alternative Gegenöffentlichkeit?«
»Gegen all das, was nicht mit dem Mainstream schwimmt und darauf achtet, dass die uns nicht einseitig belügen. Also Telepolis, RT, KenFM, Nachdenkseiten, Junge Welt und so. Nenn mich Stefan. Prost, Peter.«
»Stößcken, Stefan.«
Beide nahmen einen langen Schluck aus deren Kölschglas und horchten ihrem Schluck hinterher, wie er in deren Kehlen verschwand. Stille. Kein Gurgeln, kein Aufstoßen. Ruhe. Im Hintergrund klampften leise ‘De Höhner’ un-plugged ihr “Alles was ich will”.
»Alles klar? Noch jeder ein Kölsch?«, der Wirt blickte abwartend in die Runde.
»Mir erstmal noch nicht«, antwortete Stefan, »Ich hatte mal bei so einer Mainstream-Zeitung einen wohl argumentierenden Leserbrief geschrieben und der wurde nicht veröffentlicht. War denen wohl nicht genehm genug. Seitdem weiß ich, dass die Leserbriefe nach eigenem Gusto filtern.«
»Mir erstmal auch noch nicht«, antwortete Peter dem Wirt und fuhr zu Stefan gewandt fort: »Kenn ich. Ist mir bei alternativen Medien noch nie passiert. Ich hatte dort mal einen der Autoren auf einen Fehler hingewiesen und dass er nicht jene, die nicht seiner Meinung wären, als komplette Vollidioten hinstellen sollte.«
»Und?«
»Der Autor hatte sich aufrichtig entschuldigt und sofort versprochen, seinen Artikel zu korrigieren.«
»Echt?«
»Nö. Er nannte mich uneinsichtig und ich solle nochmals drüber nachdenken, was ich unsägliches geschrieben hatte, wollte ich nicht auch zu den Vollidioten gehören. Fast in der gleichen Weise wie der Knispel letztens auch.«
Beide schwiegen wieder und schauten in deren Gläser.
»Es erinnert mich an den Mitte-80er-Jahre Witz. Sagt der BRD-Deutsche dem Besucher aus DDR-Deutschland angesichts des Bonner Wasserwerks: ‚Wenn ich hier hinstelle und brülle, dass im Bonner Parlament nur Knallchargen sitzen, dann passiert mir nichts. Das nennt sich Meinungsfreiheit.‘ Sagt der Ost-Deutsche darauf: ‚Haben wir auch. Den identischen Satz kannste auch vor Erichs Lampenladen in Berlin brüllen, und dir wird dort auch nichts passieren‘«, sinnierte Peter.
»Politik?« Der Wirt schaute beide scharf an. »Politik? Nicht hier am Tresen, okay! Dann hinten rechts, dafür gibt es den ‚Speakers Room’, da könnt ihr eure Stammtischhoheiten ausfechten.«
»Ashes to ashes and clay to clay, if the enemy doesn’t get you your own folks may,«, flachste Stefan zurück.
Peter zuckte mit den Schultern: »Stammtischhoheiten? Die Kneipen haben doch ausgedient dafür. Heute geht es doch alkoholfreier und dafür wesentlich ungehemmter im Internet zu. Noch ‘n Kölsch, Stefan?«
Stefan nickte.
»Lass uns über Fußball reden. In drei Wochen spielt der Effzeh hier in München in der Bundesliga gegen Mia-san-mia.«
»Schön. Und ich dachte die Leidenszeit wegen Fußball wäre seit der EM beendet. Dass die Bayern sich auch immer Trainingsmannschaften vom Rhein in deren Stadion einfliegen lassen.«
»Die Kölner werden nicht fliegen. Die kommen mit dem Bus über die Landstraßen.«
»Per Bus über Landstraßen? Dann müssten die ja bereits ne halbe Woche vorher losfahren.«
»Tja. Das ist wegen den vielen Blitzern und roten Ampeln. Schneller kommt der Effzeh bei Auswärtsspielen nie an die wertvollen Punkte.«
»Der ewige Kampf gegen den Abstieg. Und was macht ein Kölner, wenn sein Effzeh Deutscher Meister geworden ist? Die X-Box aus!«
Der Wirt kam, stellte zwei Kölsch hin, schaute beide an und meinte mit leicht leidendem Unterton: »Okay. Es reicht. Eure Köln-Witze sind ein Witz. Dann redet mir lieber ruhig wieder über Politik. Aber hört auf mit euren Köln-Witzen. Die sind grausam.«
Still wurd’s. Die beiden Gäste schauten erst sich und dann den Wirt ratlos an. Der schaute lediglich zurück, zuckte mit den Schultern, schnappte sich eine gespülte Kölsch Stange und fing an sie zu polieren.
»Hm. Ob der Knispel von neulich nochmals wieder kommen wird? Zum Rückspiel?«, fragte der eine Gast.
»Ich glaube nicht. Denn das nächste Spiel ist immer das schwerste«, meinte der andere.
Die Eingangstür knarzte leicht. Ihre Köpfe fuhren von deren Kölsch hoch, sie schauten hinter sich zur Tür. Niemand trat ein. Es wurde still.