Am Tage des 16. März 2020. Der Start eines vergeblichen Versuchs eines Corona-Pandemi-Tagebuch.
Pandemi. Pandemi? Wie schreibt man Pandemi?
Mit “i” am Schluss oder mit “ie”? Google? Duden? Blog-Leser?
Deutschlehrer? Nachdenkseiten? Wikipedia?
Meine eigene Intelligenz?
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“Du hier?”
“Ja. Nicht in Hollywood.”
“Das ist ja toll. Hollywood ist down under, helter skelter, alle in CoVid-19-Torschusspanik nach Verlängerung und Unentschieden.”
“Ach ja?”
“Ja.”
“Jaja.”
“Du mich auch.”
Der Wirt schaute mich an: “Noch ein Gin Tonic?”
Ich nickte. Mein Nachbar blickte erstaunt auf und mopperte:
“Typisch, Schickimicki München. Statt ein gutes Kölsch, jetzt nur noch Luxus-Getränke.”
“Für jeden Gin-Tonic muss ich vier Kölsch trinken, um auf den gleichen Effekt zu kommen. Und Gin-Tonic macht keine Darmprobleme.”
“”Jaja, sagen alle. Entgegen besseren Wissens. Kölsch macht sozial, Gin-Tonic elitär”
“So, so, was du wolle?”, ich versuchte meinen Worten einen tödlichen Blick hinzuzufügen. Aber irgendwie gelang mir dieser SUPERMAN-Blick nicht. Es war eher ein Bad-Boy-Blick. Ohne Effekte, ohne Wirkung.
“Entgegen besseren Wissens.”
“Du mich auch.”
Ich schaute auf meinen Gin-Tonic und in meinem Kopf bildeten sich Gedankenbilder. Abstrakt, aber konkret. Konkret abstrakt. Abstrakt konkret. Eine Art Impressionismus des neuen Jahrtausends. So wie Nolde damals. Emil. Nolde. Im letzten Jahrtausend.
“Was macht die Baustelle vor deinem Fenster?”
“Baut vor sich hin.”
“Baut vor sich hin?”
“Seit drei Wochen passiert nicht mehr viel. Entweder gibt es keinen Termin zur Bauabnahme oder die Bauherren haben Finanzknappheit.”
“Das ist schlecht.”
“Keine Ahnung.”
Ich schaute auf mein Gin-Tonic-Glas. Kondenswasser hatte sich außen gebildet. Darin unterschied sich Kölsch nicht von Gin-Tonic. Inhaltlich dafür um so mehr.
“Und sonst so?”
“Leck mich!”
Ich mochte noch nie diese allgemeinen Anfragen wie ‘Und sonst so’ oder ‘Alles gut’. Für mich die Gesprächskiller par excellence. Aber da stehe ich wohl dem gesellschaftlichen Gedanken diametral gegenüber. Wenn der Reinländer sein ‘Wie isses?’ raushaut, dann will er ein ‘Joot‘ hören und nicht, dass du gerade mit deiner Frau über die Ablage von getragenen Slüppers diskutierst und zur Klärung einen Rechtsbeistand angedroht hattest. Oder dass der Nachbar im Haus nebenan dauernd die TOTEN HOSEN über Zimmerlautstärke hört, was du als nachteilig für deine Tomaten im eigenen Garten ansiehst.
“Okay, sag mir Ort und Zeit und ich leck dich mit meiner Freundin. Sie meint, du wärst eh’ ein Leckerchen.”
Ich schaute zu ihm rüber:
“Polyamor?”
“Weißt du, warum es immer weniger Gruppen gibt, die auch unplugged gut klingen?”
“Ohne Strom?”
“In Wahrheit gibt es solche kaum noch. Weißte wieso? Kaum ein Band-Mitglied kann sich Eigentumshäuser leisten. Und Proberäume sind für einzelne kaum erschwinglich. Somit gibt es kaum noch Schlagzeug-Soli oder Gitarren-Soli auf Veröffentlichungen, weil so etwas nur Geld kostet Und an dem ‘Ordnung-Paragraf’ Ruhestörung kratzt.. Elektronische Unterstützung ist wohlfeil. Wer würde heute einen Ringo Starr bei seinen miserablen Trommel-Übungen ertragen wollen?”
“Ringo Starr wurde heute 80.”
“Ennio Morricone 91. Gestern hieß es dazu R.I.P.”
“Du bist ja eine Leuchte des Positivismus.”
“Nur weil jemand gestorben ist, der bedeutend war? Und einer sich wie Ringo Starr, so wie Paul McCartney oder Michael Jagger oder Keith Richard , die sich biologisch weigern, in einer Saure-Gurken-Zeit zu sterben?”
“Was hat Tod mit ’Saure-Gurken-Zeit’ zu tun?”
“Mainstream-Media?”
“Danke. Dass Tod nur eine Sache von Mainstream ist. Der Begriff ‘Mainstream-Media’ ist doch nur das Schlagargument jener, denen es nicht passt, wer welche Geschichte schreibt.”
“Na und? Was ist schlimm daran, wenn es nicht von den Mainstream-Medien kommt? Geschichte wird eh in Hundert Jahren später so beurteilt, wie es benötigt wird.”
“Ach ja? So wie Barbarossa, der nachweislich Päderast war, aber geschichtlich historisch positiv verkauft wird? Barbarossas Grabstätte bring erhebliche Eintrittsgelder zur Finanzierung seiner Grabstätte.”
Ich nahm eine Schluck aus meinem Glas. Ein wenig bitter, aber pseudo-erfrischend. Berauschend. Der Effekt danach. Alkohol halt.
“Hast du ein Corona-Pandemie-Tagebuch geschrieben?”
Ich nickte.
“Und was ist das Ergebnis?”
“Keines. Individuell unbedeutend, historisch nullinger, lediglich situationsbedingtes.”
“Aha.”
“Ja.”
“Aha.”
“Und?”
Ich schaute in mein Glas. Ein Seitenblick zeigte mir, dass er wieder mit seinem Smartphone beschäftigt war und wohl kaum auf eine Antwort Interesse legte.
Der Gin stieg mir zu Kopfe. Die letzten vier Monate gingen mir durch den Kopf. In meiner Umgebung gab es keinen Covid-19-Fall. Kurzarbeit ja. Hinweise auf die aktuelle bundesstaatliche Gesetzgebung, ja. Auswirkungen dazu in meinem Leben, nein. Wenn man inmitten einer Großstadt eh als Eremit lebt, weil München eh wie eine Kirsche ist (weiche Schale, harter Kern), im Vergleich zum anderen Norddeutschland (harte Schale, weicher Kern), dann ist es unerheblich, ob man eine Maske trägt oder nicht. Denn Maske als Gesicht war schon vor Corona immer schon ein Faktor von Herrn Schick und Frau Micki.
Ich schaute auf mein Glas. Der Blick erschlich sich in meinem Hirn als ‘unwichtig’. Was ist schon der Blick auf einem persönlichen Trinkgefäß in Hinblick auf das Weltgeschehen.
Ich starre vor mich hin. Durch das Kneipenfenster. Süd bei Südost
Der Wirt winkt mit einem Kölschglas unterm Zapfhahn. Ich nicke ihm zu und kippe den Rest Gin-Tonic vor mir weg. Gin oder Kölsch, es macht keinen Unterschied, wo man es trinkt.
Meine Hand ergreift das frisch eingeschenkte Kölsch.
Corona. So eine glücksverschaffende Krankheit für Solo-Trinker.
Prost. Hau weg, die Kacke.
Ich trommel in Gedanken. So wie Ringo nie getrommelt hatte, so wie ich immer wollte , dass er trommelte, obwohl er nie mehr getrommelt hatte, als ich an sein Trommeln dachte … Ringo Starr
Ringo wird als Schlagzeuger weitgehend unterschätzt. Empfehle zum Thema die soeben erschienene Biographie über den 80jährigen Beatle, der die Sticks nicht aus der Hand legen will.
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Unterschätzt ja, aber der Beste war er nicht. Aber er war gut, denn ansonsten wäre der Sound der Beatles nicht der, der er geworden ist.
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