“Kennst du das Land, wo die verwässerte Wüstenrose blüht? Ja? Richtig, nächste Straße halbrechts, zwei Zigarettenpausen geradeaus, an der Straßenlaterne unter dem aufgebockten Trabi immer gen Norden, bis an den Rand des eigenen Horizonts, dort eine Atempause lang bücken und dann steht sie vor dir, das Wüstenröschen. Unscheinbar. Blühend. In einer Pfütze. Zwischen zwei silbernen Kreuzen, unter denen jeweils ein treuer Hund begraben liegt. Und jeder begrabene Hund hat einen goldenen Knochen im Gebiss. Bekanntlich geht der Hund zum Knochen und nicht umgekehrt. Warum die beiden Knochen in den Hunderachen aus Gold sein sollen? Die Legende sagt, dass die Hunde in einem Berliner Varieté der wilden 20er des letzten Jahrhunderts zu Lachsalven von Buster Keaton geheult hätten. Ihr Heulen soll jedem durch Mark und Bein gefahren sein. Auf der tierischen Überholspur. Sie hatten einfach Gold in deren Kehle. Aber keiner hätte jemals nachgesehen und sich davon überzeugt. Deswegen die beiden Goldknochen in den Totenschädelgebissen der Hunde.
Irgendwie der Wahnsinn. Es gibt keine Zufälle. Alles hängt mit allem zusammen, das muss man sich mal klar machen, um es zu verstehen. Auch wenn es keine Sau verstehen will.
Dreimal hatte ich es versucht und mich auf den Weg gemacht, dreimal endete meine Odyssee an einer Stacheldraht-umzäunten Mauer mit seltsamen Schriftzeichen drauf. Beim vierten Mal taten mir dann die Füße weh, die Nase blutete und die Sonne blendete. Das letzte Mal musste ich schließlich abbrechen. Eines Zahnarzttermins wegen. Ich kam zu spät. Weil ich bei meiner Suche schon zu weit fortgeschritten war. Der Rückweg dauerte zu lange. Eigentlich hat die Suche genau genommen nie geklappt.
In einem Blumenladen kaufte ich mir Samen der Wüstenrose. Ich zählte die Tage, bis die Samen unterm Licht keimten, wässerte fleißig, mischte vorsichtig Dünger ins Wasser und nahm jede Woche Maß. Sie wurden größer und größer, wuchsen und gediehen. Und dann kamen die Spinnmilben. Ich pumpte Giftschwaden über sie, vernebelte deren Sicht, bis sie aufgaben und gemeinsam mit den Blättern der Wüstenrosen zu Boden fielen. Später trieb lediglich bei einer Wüstenrose neue Blätter aus. Das musste sie also sein. Hundert pro. Es gibt keine Zufälle. Ich packte sie ein, nahm eine Gießkanne mit, pflanzte sie auf einem Hundefriedhof zwischen mit Noten verzierten Grabsteinen zweier brachycephalischen Möpsen, goss das zarte Wüstenröschen, bis sie in einer ordentlichen Pfütze stand. Zu meinem Entsetzen musste ich allerdings feststellen, dass mein Wüstenröschen noch nicht blühte. Alles umsonst. Wenn sie nicht blüht, dann finden sich in den Gebissen der verblichenen Möpse auch keine goldene Knochen. Der Beweis dazu? Dazu brauchte es keines Beweises. Hätte ich in den Mopsgräbern nachgegraben, ich hätte in deren Totenköpfen keine goldene Knochen gefunden. Niemals, nie, nicht, never ever.”
Er schaute mir ins Gesicht.
“Das war aber eine sehr eigenwillige Geschichte.”
Ich nickte. Das Glück ist immer mit den Tüchtigen. Ich war nicht tüchtig genug mit meinem Wüstenröschen. Ein wenig mehr Tüchtigkeit und Streben hätte mir vielleicht geholfen. Mehr Leistung, mehr Einsatz. Und ich wäre jetzt im Besitz der goldenen Knochen.
“Und was ist mit deinem Wüstenröschen passiert?”
“Das Herrchen der beiden verblichenen Möpse tauchte mit drei weißen Lilien an der Grabstätte auf und legte die Lilien dort einzeln nieder. Dabei verdrückte er zwei Tränchen, bekreuzigte sich einmal und rupfte nebenbei mein Wüstenröschen aus. Ganz humorlos. Kein Witz. Jetzt wird sie nicht mehr blühen. Und die goldenen Knochen sind verloren.”
Er nickte nachdenklich.
“Weißt du, dass die Amerikaner eine neue Witzform in den letzten Jahren kreiert haben? Diese Witzform hat sich auch bei uns breit gemacht. Die nachträgliche Verneinung mit dem Wort nicht. Also, so zum Beispiel: Ich frühstücke jeden Morgen drei Clowns. Nicht.”
“Du frühstückst jeden Morgen drei Clowns?”
“Nicht.”
“Nicht?”
“Hab ich doch gesagt. Du musst die Pause richtig mithören. Das Nicht ist kein ‘nicht wahr’, sondern die nachträgliche Verneinung des zuvor gesagten.”
“Und das Witzige daran?”
“Der Erzähler ergötzt sich an der Reaktion des Zuhörenden. Der glaubt erst dem Inhalt des Satzes, dann hört er Nicht und versteht, dass das Gegenteil gemeint war. Der Erzähler sieht die Verwirrung beim Zuhörer, findet das witzig, dass er seinen Zuhörer in die Irre geleitet hat, und grinst. Der Zuhörer sieht das Grinsen, versteht, dass das er Opfer eines verbalen Streiches geworden ist, und grinst, weil erstens der Erzähler grinst und zweitens, weil er kein Spielverderber sein möchte. Und das Wichtigste: Grinsen macht gute Stimmung. Grinsen macht glücklich. Alle sind dann happy. Du verstehst?”
“Also am Schluss eine Pause zwischen dem Satz und dem Nicht? So wie bei Zuschauer … Innen? Und alle sind happy? Das ist lustig?”
“Deine Geschichte von den begraben Hunden fand ich voll interessant.”
“Ach?”
“Nicht.”
Sehr aufwendige Geschichte, um zu untermauern, dass das amerikanische keep smiling kein Zeichen für Oberflächlichkeit ist, sondern ein Zeichen große Weisheit. – Nein, im Ernst! Deine Geschichte blüht von Zeile zu Zeile auf – ganz im Gegensatz zur verwässerten Wüstenrose. 🙂😊😀
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Besten Dank für dein Lob. Komplett ohne ‚Nicht‘. Danke!🤗🕺 🤗🕺
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