Vielleicht hätte ich es unterlassen sollen. Am Alter Markt in der Kölner Altstadt. Zur Eröffnung des Straßenkarnevals am Altwieverfastelovend. Ich hätte es unterlassen sollen. Als ich bei einem der vielen Polizisten mit ihren durchgeladenen Maschinengewehren, die zum Schutze der Altwieverfastelovend-Jecken an strategischen Punkten öffentlich sichtbar positioniert waren, als ich in so einem Maschinengewehrlauf eine rote Nelke hinein steckte.
Nelken in Gewehrläufe. Tut man nicht. Nicht kurz vor Karnevalsbeginn, vor 11:11 Uhr. Und auch nicht kurz danach, nach 11:11 Uhr. Selbst dann nicht, wenn auf der großen Bühne diverse Karnevalsgesellschaften die Veralberung des Militärischen mit ihren offiziellen Karnevalsuniformen betreiben.
Nelke in Gewehrlauf. Das ist kein Spaß. Selbst wenn man es mit einem freundlichem Lachen tut.
„Sie verkennen den Ernst der Lage, mein Lieber!“
Seine Worte waren von ihm langsam und bedächtig ausgesprochen worden. Mit einer Geste winkte er seinen Begleiter heran.
„Ich bezweifle, dass die Lage überhaupt Ernst verdient hat. Sie ist eher lachhaft“, entgegnete ich und versuchte ebenfalls Ruhe in meiner Sprache zu bringen.
„Sie sollten vorsichtig mit Ihrer Einschätzung sein. Es gibt viele Leute, welche die Lage sorgt.“
Sein Begleiter stand jetzt hinter ihm. Sein Blick fixierte mich wie ein Gerichtsdiener einen Verbrecher beobachtet. Ich war mir meiner Einstellung sicher, aber der Mann und sein Begleiter waren aus einem anderen Holz geschnitzt als vielleicht jene, die zuvor mit mir in Kontakt getreten waren. Freudloser erschienen sie mir.
„Warum habe ich den Eindruck, dass Ihnen die Sorgen anderer Freude bereiten?“
„Das Wort ‚Freude‘, mein Lieber, ist deplatziert. Eine solche Lage ist nie eine ‚Freude‘.“
„Aber Sie schüren mit Begeisterung Angst.“
„Ich schüre keine Angst. Ich versuche lediglich, die Situation stabil zu halten.“
„Sie malen den Teufel an die Wand und nähren die Angst, dass der Teufel mächtiger sei als alles andere.“
Sein Blick musterte mich abwägend.
„Nennen Sie es, wie Sie es wollen, aber akzeptieren Sie die Notwendigkeit des Ernstes … .“
„… der Lage, ich weiß.“
Meine Ungeduld hatte mich ihm ins Wort fallen lassen. Und ich wollte der kurz entstandenen Gesprächspause keinen weiteren Raum gewähren:
„Sie haben Angst vor dem Lachen der Menschen. …“
„Das Lachen ist ein Zeichen der Beschränktheit des Menschen …“
„Das Lachen ist ein Zeichen, dass Angst besiegt wurde, und dass Schreckensbilder keine Macht mehr über den Menschen haben. Ein lebensnotwendiges Ventil, Widersprüche weg zu lachen.“
„Ein Mensch, der sich von einer Angst befreit, ist ein unkontrollierbarer Mensch.“
„Ihr Leitbild ist somit der kontrollierte Mensch? Darum der Aufmarsch der Waffen hier?“
„Was für das Individuum hin und wieder eine Wohltat sein kann, ist für die Massen eine Geißel, die durch so etwas in Anarchie abzugleiten droht.“
„Es ist nichts Schlechtes dabei, wenn die Ernsthaftigkeit der Gegner durch Lachen zersetzt wird.“
„Das Lachen ist ein Zeichen für einer niedrig entwickelten Gesellschaft, die es verdient, dass dessen Freiheit eingegrenzt wird. Sie muss durch demonstriertem Ernst erniedrigt und eingeschüchtert werden. Durch einen heiligen Ernst. Der selbst den Tod zum ehrfürchtigen Ziel werden lässt.“
„Ich verstehe. Und wer sich diesem mit Lachen widersetzt, für den wird der Tod lachhaft. Der nimmt sogar dem Tod seinen Schrecken.“
„Eine lachende Armee hat noch nie einen Krieg gewonnen!“
„Eine lachende Armee ist ein Widerspruch in sich. Sie würde noch nicht mal das Töten im Krieg ernst nehmen.“
„Ein Spotten und ein Verlachen hat noch nie einen Wert geschaffen!“
„Lachen heilt Menschen.“
„Wozu soll das ein Wert sein? Der Mensch wird geboren, um zu sterben. Der Tod lässt sich nicht weg lachen. Und Epidemien lassen sich nur mit nötigem Ernst aufhalten. Lachen wird es nie schaffen.“
„Lachen ist aber das kleinere Übel, ein Leben zu verbringen. Über das Übel zu lachen, macht es erträglicher, statt es nur ernst zu nehmen.“
„Ein kleineres Übel? Ihnen fehlt der notwendige Respekt vor dem, was anderen heilig ist. Das Lächerlich-Machen ist keine Kunst. Sondern es ist nur zerstörend und Gesellschaft zersetzend.“
„Das Lächerlich-Machen, welches Sie meinen, hat auch nichts mit dem Lachen zu tun. Ihre Definition dazu soll nur Angst erzeugen. Angst vor der schneidenden Waffe des Lachens, welches die einengenden Stricke der Angst zerschneidet und den Menschen davon befreit.“
„Sie sollten sich reden hören! Einfach unsinnig. Lachen ist kein Reinigungsmittel, welches den Menschen von seinen Mängeln und Lastern und Schwächen erlöst!“
„Sie kann aber dem Menschen dabei helfen. Lachen erhebt den Menschen über seine Unperfektheit und lässt jene leichter schultern.“
„Sie haben es nicht kapiert. Der lachende Mensch fühlt sich als Herr, als ein Umstürzler von Herrschaftsverhältnissen, als der Anarchist und Bilderstürmer, welcher die Ordnung stört und die Gemeinschaft zerstört. Und Ihre Nelke, mein Lieber, Ihre lächerliche Nelke im Gewehrlauf von Bereitschaftspolizisten zu Karneval ist so dermaßen schlecht, dass wir anfangs erst gar nicht in Erwägung gezogen haben, Sie Ernst zu nehmen.“
Seine Stimme war scharf und schneidend geworden. Sie erzeugte in mir eine Beklemmung, eine unbestimmte Angst. Sie verwirrte mich. Ich atmete tief durch und bemerkte, dass er das Spiel der Angst mit mir zu spielen versuchte.
„Nein, mein Herr, das klappt nicht“, lachte ich auf, „darauf falle ich nicht rein!“
„Das ist ohne Bedeutung, mein Lieber. Ohne jegliche Bedeutung. Denn mit ihrer letzten Handlung haben Sie die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Den Ernst vorsätzlich ignoriert. Das Wichtige versucht, ins Lächerliche zu ziehen. Ernsthafte Menschen mit den heiligen Idealen einer schützenswerten Gesellschaft versucht der Lächerlichkeit preis zu geben.“
„Heilige Ideale einer Gesellschaft? Sie heben so etwas in die Höhe, um andere dafür leichter als Niedere abgrenzen zu können?“
„Ideale sind immer hoch. Und eine Gesellschaft sollte Angst darum haben, die Entfernung zu diesen zu vergrößern!“
„Das ist keine Höhe. Das ist lediglich eine Fallhöhe.“
„Nennen Sie es, wie sie es wollen. Sie haben mit Ihrer Aktion an den Stützpfeilern dieser Ideale gesägt. Und das konnten wir nicht mehr ignorieren.“
Er gab seinem Begleiter mit seiner Hand ein Zeichen. Seine Begleitung öffnete seine Tasche, entnahm Handschellen und Stricke und trat einen Schritt auf mich zu.
„Ich hatte mich geirrt! Sie haben keine hohen Ideale. Sie müssen die der anderen erheblich tiefer legen, damit ihre als höhere erscheinen. Sie sind Mitglied einer lachhaften Satire-Sharia-Polizei.“
„Satire-Sharia-Polizei? Mäßigen Sie sich! Dass Mohammed eindeutig gelacht hat, ist überliefert. Aber Jesus hat nie gelacht. Niemals! Im Alten Testament, im Buche Genesis, lachte Gott maximal über törichte Menschen. Abrahams Sohn Isaak ist das Ergebnis und Isaak heißt übersetzt ‚er lachte‘. Und mit dem Neuen Testament wurde dem Lachen endgültig ein verdientes Ende gesetzt, mein Lieber. Wir leben hier in der Tradition des christlichen Abendlandes. Vergessen Sie das nicht nicht!“
„Hören Sie sich überhaupt noch reden? Sie haben wirklich keine hohen Ideale. Nicht im Geringsten. Sie müssen die Ideale der anderen erheblich tiefer legen, damit ihre als die Höheren erscheinen. Sie sind Befürworter des Ernstes, der Lustfreiheit, Gegner jeglicher hedonistischen Regung, Verwalter eines eigenen humorbefreiten Sumpfes! Sie stehen in der Tradition der wahren Christen, die jedes Lachen als unfreundlichen Akt der Sympathie für den Teufel bezeichnen. Bei Ihnen hat dieses ‚Tiefer-legen‘ System. Allein, in Ihrem Sumpf bedeutet das ‚Tiefer-legen‘, dass Sie den anderen dabei ertränken. Ich lache über Sie.“
Mein Lachen erstickte auf halbem Wege, als der Begleiter Hand an mir legte. Ich spürte die Angst, konnte sie nicht mehr weg lachen. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, etwas zu versuchen, was ich nie intensiv gelernt hatte: Lachen als Bekämpfungsmethode der eigenen Angst.
Der Mann beugte sich vor und schaute mir direkt in meine Augen, während sein Begleiter mich mit den Handschellen fixierte und mit den Stricken um meinen Körper mir die Luft abschnürte.
„Sehen Sie, mein Lieber, Sie haben Angst. Ihr Lachen hilft Ihnen nicht aus ihrer Situation, Ihr Lachen ist dabei zu sterben. Es ist Ihre eigene Schuld, es hätte nicht soweit kommen müssen. Sie hätten den Ernst der Lage anerkennen sollen, statt zu versuchen, sich mit jener dümmlichen Aktion zu profilieren.“
Meine Lunge war von den Stricken eingepresst, das Atmen fiel mir schwer und schwerer, ich hörte ein Rauschen in meinen Ohren, mein Gegenüber wurde schwammig, ich konnte ihn nicht mehr scharf sehen, es wurde immer dunkler.
Und mit einem Mal spürte ich den Schmerz nicht mehr.
Unvermittelt ging mir ein Satz durch den Kopf:
„In diesem Theater sind alle Notausgänge verrammelt und abgeschlossen. Im Notfall bitte also nicht in Panik ausbrechen. Es lohnt nicht.“
Ich musste lachen.
Innerlich.
Ohne Angst und Panik.
Mein Kopf wurde schwer.
Alles gut …
Dein Text enthält einen überzeugenden philosophischen Dialog über die subversive Kraft des Humors. Allerdings scheint mir der Polizist über mehr Einsicht zu verfügen, als man von einem Bereitschaftspolizisten erwarten kann.
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Danke für das Lob. Mir fällt dabei ein, dass Humor ohne Lachen existieren kann und Lachen ohne Humor. Einfacher wissenschaftlich nachweisen lässt sich allerdings, dass Lachen und Humor auch ohne Bereitschaftspolizisten mit Maschinengewehren existieren können. Maschinengewehre, die eine Daseinsberechtigung für das Wort „Kollateralschäden“ bei Menschenansammlungen zum fröhlichen Karneval ergeben. In den Donnerstags Abend- und Spätnachrichten erschienen die drei zusammen wie das Normalste dieser Welt. Als anti-terroristischer Schutzwall …
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