Omma ist tot. Einfach so. Herzinfarkt. Direkt im Beichtstuhl. Einfach umgekippt. Bums. Tot. Der Pastor konnte nur noch den Tod von Omma feststellen.
Er hatte dann die Aufgabe, die Angehörige zu benachrichtigen. Dreizehn Briefe in sieben Bundesländern mit drei Kreuzen auf dem Umschlag. Zudem ging er zu dem von Omma erklärten Notar. Dieser verschickte den Termin zur Testamentseröffnung, der einen Tag vor der Beerdigung sein sollte.
Der Bischoff, der gerade zu einem Besuch beim Pastor verweilte und über das letzte Abendmahl referierend mit der kirchlich organisierten Seniorenbetreuungsgruppe in einer Konditorei saß, zeigte sich erschüttert. Jedoch äußerte er auch sofort, dass es allein Gottes weiser Ratschluss gewesen sei, nach der vollzogenen Beichte diese gutmütige und herzensgute Omma zu sich zu berufen. Und man solle sich an der Gläubigkeit der Omma ein Beispiel nehmen. Denn er hatte erfahren müssen, dass Missgunst um jene beschützenswerte und gottgesegnete Omma geherrscht haben soll und der Pastor ihr edel, mutig und gottesfürchtig immer beigestanden habe.
Zwei Tage nach dem Verschicken der Briefe tauchte die Verwandtschaft auf. Sie war überrascht, dass die Beerdigung binnen vier Tagen geschehen sollte. Ein Abschied von der Verstorbenen am Sarg hatte der Pastor in der Aussegnungshalle angesetzt. In der Andacht sollte die vom Herzinfarkt dahin geraffte Omma aufgebahrt werden und nach der Andacht könne jeder persönlich Abschied nehmen.
Darüber hinaus war am Nachmittag zuvor ein Termin zur Begehung der Wohnung der Verstorbenen angesetzt worden, im Beisein von Pastor und dem von Omma erklärten Notar. Die Verwandten kamen pünktlich und begutachteten alles in der Wohnung. Die Männer inspizierten die Dokumente über die Besitztümer der Verstorbenen, die Frauen die Einrichtungsgegenstände und die drei Kinder all das, was sie am meisten interessierte. Pastor und Notar wachten darüber und machten sich fleißig Notizen. Zum Schluss mussten sie sogar einen handfesten Streit sowohl unter den Männern schlichten, als auch die Frauen auseinanderhalten. Als dann noch die Kinder ebenfalls in erbitterten Streit um die Erbschaft verfielen, brachen sie den Termin ab und beendeten die Wohnungsbegehung.
Am Abend dann kamen die Verwandten in die Friedhofskapelle und der Pastor vermerkte bei sich genau, wie sie sich verhielten. Er beobachtete, ob sie alle schwarz trugen, ob sie ihre Finger in den extra aufgestellten Weihwasserkessel versenken und sich bekreuzigen würden, ob sie schweigend oder tuschelnd sich hinsetzen würden, ob sie das ausliegende Gotteslob nicht nur nehmen, sondern auch drin blättern würden, ob auch alle wirklich offensichtliche Trauer zeigen würden.
Die Trauernden waren nicht wirklich trauernd. Und schwarz war auch nicht die obligatorische Kleidungsfarbe. Die Kinder kamen in Hawaii-Hemden und Turnschuhen, die Frauen in High Heels und dem Wetter entsprechend in lockeren Kleidungsstücken und die Männer waren gekleidet, als ob sie eine Gehaltsverhandlung mit ihrem Chef hätten. Nur eine Person am Rande, eine einzelne Frau, saß in der Seitenbank, vollkommen schwarz gekleidet und mit einem schwarzen Schleier vor dem Gesicht.
Einige der Anwesenden wollten direkt zu Anfangs an den Sarg, in dem die Omma aufgebahrt war. Aber der Pastor wusste das zu verhindern. Dabei vernahm er, dass einige Anwesende erstaunt darüber waren, wie lebendig das Gesicht der Omma doch aussähe, so mit viel Lebendigkeit, fast so, als ob sie noch lebe, und dass die Bestatter ihr Handwerk der Leichenherrichtung heuer wohl sehr gut beherrschen würden.
Und so hielt der Pastor direkt am Anfang nach einen einleitenden Vater-unser seine Trauerrede. Er erzählte wie gutmütig und wohlwollend Omma gewesen sei, wie sie mildtätig und rechtschaffend den Pastor immer wieder unterstützte, dass Omma regelmäßig zum Frühgottesdienst erschienen sei und auch Abendandachten nie ausließ. Er erklärte deutlich, dass der verstorbenen guten Seele Nächstenliebe und Mildtätigkeit eine Tugend gewesen sei, sowie “Glaube, Hoffnung und Liebe” Ommas Leitsatz gewesen wäre. Ommas Glaube, Ommas Liebe zu Gott und Ommas Barmherzigkeit wären in der Gemeinde legendär gewesen.
Der Pastor schaute in die Gesichter der Anwesenden und konnte nur Gleichgültigkeit feststellen. Vielleicht war da ein Hauch von Trauer oder Traurigkeit, aber mehr konnte er Langeweile und Desinteresse an seinen Worten feststellen. Nur aus Richtung der verschleierten Frau konnte er ein leises, tief herzzerreißendes Schluchzen vernehmen.
“Liebe Anwesenden, Sie dürfen ihre Trauer ruhig zeigen. Lassen Sie sie zu, seien Sie ruhig empathisch.Omma wird es gefallen!” Der Pfarrer lauschte dem Echo seiner Worte in der Aussegnungshalle und sein Blick forschte in den Gesichtern der Anwesenden.
Es herrschte Stille. Stecknadeln hätten fallen können und wären zur Ruhestörung geworden.
“UND IHR ALLE! IHR ALLE WART DOCH IMMER NUR HINTER MEINEM GELD HER! JAWOHL!”
Die Tote hatte sich mit einem Ruck aufgerichtet. Mit ausgestrecktem Arm deutete sie auf die Anwesenden. Die Anwesenden schrien geschockt und entsetzt auf. Die Tote war lebendig! Ihr Anblick rief den Anwesenden Erinnerungen an “The Walking Dead” wach statt an christlicher Wiederauferstehung.
Das Gesicht der vermeintlich verstorbenen Omma verzerrrte sich wächsern, von Wut gefurcht, und ihre Blicke erschienen wie die Blitze von Zeus.
“Ihr seid doch nur hier, weil ich Geld habe. Der Pastor und der Notar haben mir alles erzählt! ALLES! Hätte ich meinen Tod nicht inszeniert, ich hätte nie einen Beweis für eure niedrige Habgier erhalten! Ihr seid alle verachtenswert! Pfui, pfui, pfui! Ich wußte es. Ihr seid degeneriert wie alle dieser Gesellschaft. Herzlos. Mitleidlos. Ekelerregend! Ich werde euch alle enterben! Der Pastor und meine Busenfreundin Iris waren meine besten und einzigen wirklichen Freunde. Iris?”
Omma drehte ihren Oberkörper im Sarg aufrecht sitzend in die Richtung, wo die verschleierte Frau gesessen hatte. Die Anwesenden folgten ihrem Blick.
“Iris?! Iris!”
Eine der Anwesenden stand auf, ging hastig zur Seitenbank rüber, beugte sich vorsichtig über die Leblose und rief abgehackt: “Schnell, Kranken … Krankenwagen! Schn … schnell!”, bevor auch sie zusammensackte.
Die lokale Presse hatte von der inszenierten Beerdigung schnell Wind bekommen. Der Pastor und sein Küster, der den Notar spielte, standen aber zu keinem Interview bereit. Die vermeintlich Verstorbene gab nur zu Protokoll, dass sie sich für das, was die anwesenden Enkelkinder gefühlt haben, entschuldige. Sie selber habe hinreichend Freunde und Bekannte sterben sehen und sei oft mit dem Tod konfrontiert worden und ihre Enkelkinder müssten das auch irgendwann mal anfangen zu lernen. Nur hätte es keine andere Möglichkeit gegeben, als es so zu tun, wie sie es tat. Sie wollte sich noch bei ihrer besten Freundin Iris entschuldigen für die Hölle, durch die sie wohl gegangen sein musste. Sie werde als Entschuldigung auf derer Bestattungsmesse zehn “Gegrüßest seist du Maria” beten, auf deren Inhumation viermal das Ave-Maria singen und auch die Kosten des Leichenschmauses tragen. Es sei, wie es gekommen sei, das könne man nicht ändern, jedoch der Zeck heilige nun mal die Mittel. Und jeder müsse zum Finden der Wahrheit sein Scherflein beitragen.
In einer Kneipe bei der Gemeindekirche fand letztendlich ein Journalist den Bischoff, der gerade mit dem Kirchenchor “Bier-Pong” spielte. Der Bischoff stimmt zu, dass es prinzipiell immer möglich sei, generell das Vorgehen von Omma anzuzweifeln. Aber er stehe zu seinem Pastor und sehe in dem Pastor eine integre Persönlichkeit, dessen Tun und Handeln er zu keiner Zeit in Frage stellen würde. Zudem habe er von der Unglaublichkeit erfahren, dass die Anwesenden alles andere als christliche Trauer gezeigt haben sollen. Und das sei doch der eigentliche Skandal. Und sollte sein Pastor von dem Handeln der Frau gewusst haben, so hätte er seine vollsten Segen dafür, denn Gott sei auch mit ihm.
Dieser Fall soll sich genau so zugetragen haben. Nur berichtete die lokale Presse nicht davon.
Denn noch im Laufe des Tages lief eine andere Meldung durch den Nachrichtenticker, welche für die Reportage über den vermeintlichen Todesfall keinen Platz mehr ließ: Arkadi Arkadjewitsch Babtschenko (https:// de.wikipedia.org/ wiki/ Arkadi_Arkadjewitsch_Babtschenko), 41 Jahre alt, Journalist in der Ukraine und Berichterstatter aus dem Tschetschenienkrieg, im Westen als apostrophierter Gegner Putins gewertschätzt, war offensichtlich perfiderweise in seiner Wohnung von hinten in den Rücken erschossen worden. Seine Frau fand ihn sterbend im Treppenhaus auf, nachdem sie drei Schüsse gehört hatte. Sie und ihre Familie stehe noch unter Schock, stand geschrieben. Generell vermute man eindeutig russische Hintermänner für diesen hinterhältigen, feigen Mord …
Tolle Geschichte, Kompliment!
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Merci.
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