Der Cappu war edel drapiert. Ein Herz aus Milch hatte der Barista ihm in seiner Tasse gezaubert. Er mochte diese Kleinigkeiten. Der Cappu schmeckte dadurch nicht automatisch besser, aber er sah einfach besser aus. Dafür gab er auch mal gerne fünfzig Cent mehr aus. Es zeigte ihm, dass er als Gast Wertschätzung erfuhr. Mit zwei Fingern ergriff er das Tütchen Zucker, riss es auf und ließ den Zucker auf den Milchschaum rieseln. Er beobachtete, wie der Zucker langsam in seinem Cappuccino versank. Es hatte etwas von Salz auf Schnee, aber es schmeckte anders. Er tauchte den kleinen Löffel in das Gebirge aus Milchschaum, Kakaopulver und Kaffee und schaute aus dem Fenster. Vor ihm zog der Fluss ungerührt seine Bahn. Leichte Wellen zeigten Flusswiderstände, angedeutete Strudel Turbulenzen unter der Wasseroberfläche verursacht von der Vergangenheit.
Man hatte ihm erzählt, dass dort die alten Brückenreste sich noch befänden. Im Sommer beim Baden sollte man dort immer seine Füße hochheben, um nicht an Brückenreste und Stahlträger sich zu verletzen. Aber das hatte ihn nie gekümmert. Bei heißem Wetter rannte er mit seiner bekannten Freundin den Fluss hoch, sprang hinein und ließ sich treiben, von der Strömung immer den Fluss hinab, vorbei an all der Vergangenheit an der warmen Wasseroberfläche.
Es war jetzt Winter. Das einzig Warme war jetzt das Café mit Ausblick und der Cappuccino vor ihm. Er rührte in seiner Tasse und mit dem Anblick des fließenden Wassers verschmolz er mit dem Fluss und seiner Strömung. Seine Gedanken flossen vor seiner inneren Leinwand vorbei.
Er hörte sein Lachen, sah wie er fast schwerlos im Wasser dahin glitt, hörte ihr Lachen. Die Sonne spiegelte sich nicht auf dem Wasser, nein, so glatt glitt der Fluss nicht dahin, aber ihre Strahlen reflektierten sich auf den kleinen Wellchen und einzelne Strahlen erhellten sein Gesicht. Er hörte die ruhige Stimme des Flusses, dieses fast unhörbare Fließen. Fast unhörbar. Aber er hatte es gehört. Ganz deutlich und es hatte ihn komplett entspannt.
„Hey, lass dich nicht treiben. Wir müssen hier raus, sonst gibt es die nächste Ausstiegsgelegenheit erst fünf Minuten von hier!“
Ihre lachende Stimme …
Lachende Stimme? Er hatte diesen Ausdruck nie zuvor verstanden, bis er sie traf. Wie konnte eine Stimme lachen, während sie sprach? Doch. Sie konnte es. Selten hatte er so etwas erlebt. Er kannte nur wenige Frauen, die lachend sprechen können. Es war eine Seltenheit. Eine Gabe.
… hatte ihn aus seinem meditativen Sich-Treiben-Lassen zurück geholt. Er paddelte wie eine überlebensgroße Ente zu der Schneise ans Ufer und suchte mit seinen Füßen sorgfältig Halt, um den Fluss zu verlassen.
„Wüschen Sie noch einen Cappuccino?“
Die Stimme der Kellnerin riss ihn aus seinem Tagtraum.
„Äh, nein, danke.“
„Darf ich dann schon kassieren?“
„Ja, sie dürfen. Ich glaube, sie kommt eh nicht mehr.“
Er rührte weiter in seinem Cappuccino und registrierte, dass er schon längst nicht mehr dampfte. Die Kellnerin legte ihm die Rechnung neben seine Tasse. Er kramte einen Schein aus seiner Hosentasche und überreichte ihn ihr mit einem „Stimmt so“.
Der Fluss floss weiterhin leise vor dem Café, erste Schneeflocken fielen zaghaft. Er nahm einen Schluck von seinem Cappuccino und bemerkte, dass er kalt war. Er schaute nochmals auf den Fluss und stellte für sich fest, dass es Zeit war zu gehen. Gehen zu lernen.
Es war ein glücklicher Sommer gewesen … Vergangenheit …
Upps, schon wieder bettet Youtube einfach das Video ein, zu dejm ich nur den Link gepostet hatte. Eine Unart. Weißt du, seit wann und warum das so ist? (Schmeiß das Video ruhig wieder aus dem Kommentar.)
LikeLike
Ich versuche inzwischen, anklickbare Links zu vermeiden. Ich lasse das Video in den Kommentaren so stehen. Gefällt mir.
LikeLike
Das ist in der Tat eine wunderschöne Kurzgeschichte mit einem ganz leicht melancholischen Unterton, in Entsprechung zu den Hindernissen unter der Wassseroberfläche des Flusses, vor allem, weil offen bleibt, ob die Frau mit der „lachenden Stimme“ rechtzeitig ans Ufer geschwommen ist. Solche Stimmen gibt es tatsächlich. Der Sänger der flämischen Rockband De Kreuners (1978), Walter Grootaers, hatte einen Sonnenstrahl in seiner Stimme.
LikeLike
Danke. Du hast Recht, den Punkt hatte ich in der Geschichte unberücksichtigt gelassen. Das Lied find ich gut. Die Stimme passt.
LikeLike