Die Satire-Polizei

„Sie verkennen den Ernst der Lage, mein Lieber!“
Seine Worte waren von ihm langsam und bedächtig ausgesprochen worden. Mit einer Geste winkte er seinen Begleiter heran.
„Ich bezweifle, dass die Lage überhaupt Ernst verdient hat. Sie ist eher lachhaft“, entgegnete ich und versuchte ebenfalls Ruhe in meiner Sprache zu bringen.
„Sie sollten vorsichtig mit Ihrer Einschätzung sein. Es gibt viele Leute, welche die Lage sorgt.“
Sein Begleiter stand jetzt hinter ihm. Sein Blick fixierte mich wie ein Gerichtsdiener einen Verbrecher beobachtet. Ich war mir meiner Einstellung sicher, aber der Mann und sein Begleiter waren aus einem anderen Holz geschnitzt als die, die zuvor mit mir in Kontakt getreten waren.
„Warum habe ich den Eindruck, dass Ihnen die Sorgen anderer Freude bereiten?“
„Das Wort ‚Freude‘, mein Lieber, ist deplatziert. Eine solche Lage ist nie eine ‚Freude‘.“
„Aber Sie schüren mit Begeisterung Angst.“
„Ich schüre keine Angst. Ich versuche lediglich, die Situation stabil zu halten.“
„Sie malen den Teufel an die Wand und nähren Angst, dass der Teufel mächtiger sei als alles andere.“
Sein Blick musterte mich abwägend.
„Nennen Sie es, wie Sie es wollen, aber akzeptieren Sie die Notwendigkeit des Ernstes … .“
„… der Lage, ich weiß.“
Meine Ungeduld hatte mich ihm ins Wort fallen lassen. Und ich wollte der kurz entstandenen Gesprächspause keinen weiteren Raum gewähren:
„Sie haben Angst vor dem Lachen der Menschen. …“
„Das Lachen ist ein Zeichen der Beschränktheit des Menschen …“
„Das Lachen ist ein Zeichen, dass Angst besiegt wurde, und dass Schreckensbilder keine Macht mehr über den Menschen haben. Ein lebensnotwendiges Ventil, Widersprüche wegzulachen“
„Ein Mensch, der sich von einer Angst befreit, ist ein unkontrollierbarer Mensch.“
„Ihr Leitbild ist der kontrollierte Mensch?“
„Was für das Individuum hin und wieder eine Wohltat sein kann, ist für die Massen eine Geißel, die durch so etwas in Anarchie abzugleiten droht.“
„Es ist nichts Schlechtes dabei, wenn die Ernsthaftigkeit der Gegner durch Lachen zersetzt wird.“
„Das Lachen ist ein Zeichen für einer niedrig entwickelten Gesellschaft, die es verdient, dass dessen Freiheit eingegrenzt wird. Sie muss durch einen Ernst erniedrigt und eingeschüchtert werden. Durch einen heiligen Ernst, der selbst den Tod zum erfürchtigen Ziel werden lässt.“
„Ich verstehe. Und wer sich diesem mit Lachen widersetzt, für den wird der Tod lachhaft. Der nimmt sogar dem Tod seinen Schrecken.“
„Eine lachende Armee hat noch nie einen Krieg gewonnen!“
„Eine lachende Armee ist ein Widerspruch in sich. Sie würde noch nicht mal das Töten im Krieg ernst nehmen.“
„Ein Spotten und ein Verlachen hat noch nie einen Wert geschaffen!“
„Lachen heilt Menschen.“
„Wozu soll das ein Wert sein? Der Mensch wird geboren, um zu sterben. Der Tod lässt sich nicht weglachen. Und Epidemien lassen sich nur mit nötigem Ernst aufhalten. Lachen wird es nie schaffen.“
„Lachen ist aber das kleinere Übel, ein Leben zu verbringen. Über das Übel zu lachen, macht es erträglicher, statt es nur ernst zu nehmen.“
„Ein kleineres Übel? Ihnen fehlt der notwendige Respekt vor dem, was anderen heilig ist. Das Lächerlichmachen ist keine Kunst, sondern nur zerstörend und gesellschaftzersetzend.“
„Das Lächerlichmachen, welches Sie meinen, hat auch nichts mit dem Lachen zu tun. Ihre Definition dazu soll nur Angst erzeugen. Angst vor der schneidenden Waffe des Lachens, welches die einengenden Stricke der Angst zerschneidet und den Menschen davon befreit.“
„Sie sollten sich reden hören! Einfach unsinnig. Lachen ist kein Reinigungsmittel, welches den Menschen von seinen Mängeln und Lastern und Schwächen erlöst!“
„Sie kann aber dem Menschen dabei helfen. Lachen erhebt den Menschen über seine Unperfektheit und lässt jene leichter schultern.“
„Sie haben es nicht kapiert. Der lachende Mensch fühlt sich als Herr, als Umstürzer von Herrschaftsverhältnissen, der Anarchist und Bilderstürmer, der die Ordnung stört und Gemeinschaft zerstört. Und Ihre Satire-Versuche, mein Lieber, Ihre lächerlichen Satire-Versuche sind so dermaßen schlecht, dass wir anfangs erst gar nicht in Erwägung gezogen haben, Sie Ernst zu nehmen.“
Seine Stimme war scharf und schneidend geworden. Sie erzeugte in mir eine Beklemmung, eine unbestimmte Angst. Sie verwirrte mich.
Ich atmete tief durch und bemerkte, dass er das Spiel der Angst mit mir zu spielen versuchte.
„Nein, mein Herr, das klappt nicht“, lachte ich auf, „darauf falle ich nicht rein!“
„Das ist ohne Bedeutung, mein Lieber. Ohne jegliche Bedeutung. Denn mit ihrer letzten Veröffentlichung haben Sie die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Den Ernst vorsätzlich ignoriert. Das Wichtige versucht, ins Lächerliche zu ziehen. Ernsthafte Menschen mit heiligen Idealen einer Gesellschaft, dem Lächerlichkeit preis zu geben.“
„Heilige Ideale einer Gesellschaft? Sie heben so etwas in die Höhe, um andere dafür leichter als Niedere abgrenzen zu können?“
„Ideale sind immer hoch. Und eine Gesellschaft sollte Angst darum haben, die Entfernung dazu zu vergrößern!“
„Das ist keine Höhe. Das ist lediglich eine Fallhöhe.“
„Nenne Sie es, wie sie es wollen. Sie haben mit Ihrer Satire an den Stützpfeilern dieser Ideale gesägt. Und das konnten wir nicht mehr ignorieren.“
Er gab seinem Begleiter mit seiner Hand ein Zeichen. Seine Begleitung öffnete seine Tasche, entnahm Handschellen und Stricke und trat einen Schritt auf mich zu.
„Ich hatte mich geirrt! Sie haben keine hohen Ideale. Sie müssen die der anderen erheblich tiefer legen, damit ihre als höhere erscheinen. Sie sind einer lachhaften Satire-Sharia-Polizei. Sie sind Befürworter des Ernstes, der Lustfreiheit, Gegner jeglicher hedonistischen Regung, Verwalter eines eigenen humorbefreiten Sumpfes! Bei Ihnen hat das ‚tieferlegen‘ System. Nur, in Ihrem Sumpf bedeutet ‚tieferlegen‘, dass Sie den anderen dabei ertränken. Ich lache über Sie.“
Mein Lachen erstickte auf halbem Wege, als der Begleiter Hand an mir anlegte. Ich spürte die Angst, konnte sie nicht mehr weglachen. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, jetzt etwas zu versuchen, was ich nie intensiv gelernt hatte: Lachen als Bekämpfungsmethode der eigenen Angst.
Der Mann beugte sich vor und schaute mir direkt in meine Augen, während sein Begleiter mich mit den Handschellen fixierte und mir mit den Stricken um meinen Körper die Luft abschnürte.
„Sehen Sie, mein Lieber, Sie haben Angst. Ihr Lachen hilft Ihnen nicht aus ihrer Situation, Ihr Lachen ist dabei zu sterben. Es ist Ihre eigene Schuld, es hätte nicht soweit kommen müssen. Sie hätten den Ernst der Lage anerkennen sollen, statt zu versuchen, sich mit einer dümmlichen Satire zu profilieren.“
Meine Lunge war von den Stricken eingepresst, das Atmen fiel mir schwer und schwerer, ich hörte ein Rauschen in meinen Ohren, mein Gegenüber wurde schwammig, ich konnte ihn nicht mehr scharf sehen, es wurde immer dunkler.
Und mit einem Mal spürte ich den Schmerz nicht mehr.
Unvermittelt ging mir ein Spruch noch durch den Kopf:

„In diesem Theater sind alle Notausgänge verrammelt und abgeschlossen. Im Notfall brauchen Sie somit keine Panik bekommen. Lohnt nicht.“

Ich musste lachen. Innerlich. Ohne Angst und Panik. Mein Kopf wurde schwer.
Alles wird gut …