Neulich, als ich versuchte, einen Terroristen aus den fahrenden Zug zu werfen …

Seit den Ereignissen in Paris beschäftigt Europa nur noch ein Thema:

Darf man einen Terroristen aus einem fahrenden Hochgeschwindigkeitszug Thalys schmeißen? Ja, darf man, nur wie öffnet man bei voller Fahrt die Tür eines solchen Zuges? Richtig, man sprengt die Tür mit dem Sprengstoffweste des Terroristen auf. Diese braucht der eh nicht, wenn er nach geglückter Türsprengung mit beschwingtem Fußtritt aus den Zug geschubst wird und an dem nächsten Signalmasten mit grünem Freier-Fahrt-Licht zerschmettert. Wozu auch? Macht ihn nicht echt sexuell attraktiver. Nicht wirklich.

Aber wer zahlt dann die Reparatur der geborstenen Tür, die Reinigungskosten des Signalmastens, die Fleckentfernung vom Gleisbettschotter und überhaupt, was sagt die eigene Haftpflicht dazu? Übernimmt sie für mich alles? Gegen Vorsatz und groben Unfug winken Versicherungen immer ab. Da hilft auch kein „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten), um seinen Versicherungsvertreter untertänigst zu bitten, er möge doch ein gutes Wort zur Schadensregulierung einlegen. Der denkt sich maximal „in dubio Prosecco“ und minimal ein „pro bono publico“, also „zum Wohle der Öffentlichkeit“, was so viel heißt wie „Verluste vergesellschaften“.

Das Letztere mag sich jetzt nach Kapitalismuskritik anhören, aber wenn es um Terroristen geht, dann will jeder gerne draufzahlen. Zumindest „pro forma“, solange es nicht zu den eigenen Lasten geht. Denn alle die „Krieg! Hiphip hurra!“ und „Auf sie mit Gebrüll!“ rufen, werden garantiert nicht in erster Reihe stürmen. Weder für Ruhm, Ehre noch Vaterland. Dafür gibt es ja immer die anderen. Solange es einen nicht selber trifft. Zugucken ja, aber nicht selber umfallen. Oder über den Haufen geschossen zu werden, den man sich vorher selber gelegt hat.

Also, sollte man einen Terroristen aus den Zug schubsen, wenn man irgendwie die Tür aufbekommen hat? Einfach so?

Wir westlichen Menschen haben eine Hochachtung vor der römischen Gerichtsbarkeit und so haben sich solche lateinischen Rechtsprinzipien wie „in dubio pro reo“ in unseren Sprachgebrauch verewigt. Allerdings gibt es auch noch andere. Der römische Autor Publilius Syrus hatte damalige Richter gewarnt, nicht zu eilig zu richten: „in iudicando criminosa est celeritas“ oder übersetzt: „beim Richten ist Eile ein Verbrechen“. In verschiedenen Bundesstaaten Amerikas wird dieses ja noch immer falsch verstanden. Dort werden zum Tode Verurteilten weiterhin mit halbgaren Giftcocktails intravenös hingerichtet. In Saudi-Arabien ist man schneller, da wird gleich geköpft und zwar noch häufiger als die Henker der Terrorstaat-Mafia „IS“ (DAESH) es schaffen. Zu behaupten, dass in Saudi-Arabien das Rechtsprinzip der sorgsamen Gerichtsbarkeit gemäß Publilius Syrus verstanden worden sei, wäre jetzt erheblich optimistischer als zu behaupten, Hundekacke auf dem Teppich könnte mit Katzenpisse neutralisiert werden. Oder 200 nach Saudi-Arabien verkaufte oberirdisch fahrende „Leopard“-Panzer ließen sich mit unterirdisch fahrende U-Boot-Exporten ins gleiche Land ebenfalls bereinigen.

Auf der Rüstungsmesse „Milipol“, die in dieser Woche in Paris stattfindet, lautet das diesjährige Motto: „For a secure world“. Die Firma „Airbus“ hat denn auch dem Innenministerium Saudi-Arabiens eine Grenzanlage der hochmodernen Technik wie Radaranlagen und Sensoren zur Bodenüberwachung verkauft. Das Innenministerium hatte „Airbus“ erklärt, dass sich mit ihrer Hilfe Terroristen von der illegalen Einreise abhalten ließen. Stimmt, verständlich, die Henker Saudi-Arabiens haben Vollbeschäftiguhg beim Köpfen, da muss eine Grenzüberwachung technisch unterstützt werden, da fehlt Personal. Kein Wunder bei der immer kopfloser werdenen Bevölkerung.

Okay, das war es jetzt für mich, jetzt habe ich ein potentielles Urlaubsland weniger. Ab jetzt werden Rohrstöcke für mich in Saudi-Arabien reserviert und nur für mich in Wasser eingelegt.

Blogger auszupeitschen, das finden letztendlich im Westen derer Staatsoberhäupte auch nicht so schlimm, denn die Vertreter in Saudi-Arabien haben im Januar ja nach dem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris für die Pressefreiheit in erster Reihe mit Hollande, Cameron und Merkel demonstriert. Das muss als Beweis reichen. Und außerdem haben Hollande, Cameron und Merkel die Bloggerbestrafung kritisiert. Irgendwie, irgendwann, irgendwo.

Zurück zu den Rechtsprinzipien:

Der römische Autor Publilius Syrus meinte mit „Eile“ freilich nicht die Art der Bestrafung, sondern das Tempo der Urteilsfindung. Und nu‘ zurück zum Anfang: Wäre es angesichts eines solchen Rechtsprinzips vertretbar, jemanden in voller Fahrt aus einem Hochgeschwindigkeitszug, einem Thalys oder einem ICE zu schmeißen? Klar doch, wäre es. Immer doch. Der Europäer ist ja generell zu allem bereit. Sage ihm, er solle Müll getrennt entsorgen, er wird es tun. Könnte allerdings noch sein, dass er wissen will, durch welches Fenster denn welcher Müll zu werfen sei. Zumindest bei Terroristen weiß aber jeder sofort, dass jene nicht in den grünen Recycling-Mülleimer gehören. 

Ansonsten will der Europäer Rechtssicherheit. Dafür geht er notfalls über Leichen, Stock und Stein durch alle Instanzen. Oder gleich zu dem Öttinger (nicht dem Bier, sondern zu dem gleichnamigen EU-Kommissar), der nach eigenen Aussagen lieber Schlaglöcher als Funklöcher akzeptieren will. Ein Funkloch auf einer Bahnstrecke ist eine ernste Katastrophe höchsten Grades und immanenter unabwendbarer Wichtigkeit. Ein Schlagloch auf der Strecke lediglich höhere Gewalt, weil sowieso nicht abhörbar. Okay, dass das so ist, scheint bei Deutschen gewiss. Nur bei Franzosen, Engländern und Amerikanern können das nur deren Abhörspezialisten sagen. Oder Edward Snowden. Wenn er denn mal offen und frei reden dürfte. Wobei, man sollte ihn nicht nur reden lassen, sondern auch mal zuhören, wenn er aussagt.

 

Achtung, eine Durchsage an unsere Zuggäste:

Der Intercity-Express zwischen hier und heute, von Kabul überm Hindukusch nach Berlin-Mitte mit Halt in Mali, wird heute aufgrund einiger atmosphärischen Störungen über Beirut und Ankara zum Bendlerblock umgeleitet. Bitte beachten Sie, dass die Mitnahme von Flüchtlingen auf diesen Umweg als Fluchthilfe gewertet werden muss und „in dubio contra rerum“, also im Zweifel gegen den Angeklagten, per Schnellgericht mit bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug abgegolten wird. Allen Passagieren ohne gültige Papiere bitten wir daher sich unverzüglich im hintersten Wagon einzufinden und sich von den Passagieren der 1. und 2. Klasse zu verabschieden, bevor wir den letzten Wagon dann abkoppeln. Wir wünschen jene eine schöne Flucht gehabt zu haben und würden es jederzeit wieder begrüßen, sie nicht wieder an Bord begrüßen zu müssen. Denn ansonsten werden unsere rechten Mitbürger der 1. und 2. Klasse Ihnen ein Licht noch in der Adventszeit anzünden, in Ihren Flüchtlingsheimen durch Ihre Fenster hindurch . Daher bitte unbedingt drauf achten, den abgekoppelten Wagon nicht zu verlassen und dann auf den Gleisen herumlaufen. Sie könnten an einer Weiche ganz hart Zug bekommen.

Für alle unseren anderen Gäste: Die voraussichtliche Ankunftszeit wird vom Zugführer noch ausgewürfelt, könnte aber etwas erheblich später sein. Wir werden Ihnen noch mitteilen, um wie viel Jahrzehnte der Führer unseres Zuges meint, dass Sie ihre Uhr zurückzustellen haben. Sie brauchen sich aber nicht zu beunruhigen: Alle Anschlusszüge sind für Sie eh bereits völlig abgefahren.

Bis zu unserer Ankunft möchten wir den Passagieren mit fälschungssicherem Personalausweis unsere Dienstleistungen in unserer Boardgastronomie empfehlen. In aller Eile haben wir Ihnen die besten Gerüchte vorgekocht. Auf Wunsch biologisch-dynamisch, selbst vegan, möglicherweise auch vegetarisch, aber auf alle Fälle ohne Aluminiumzusätze und Fluor-Beigaben. Und Freitags freilich Fischers Fritz frischer Fisch. Aus dem Mittelmeer. Garantiert ohne irgendwelchen abgesoffenen maritimen humanen Imigrationsüberreste. Daher gut bekömmlich und ohne Gewissensbisse zu genießen. Als Zahlungsmittel akzeptieren wir sowohl ihre EC-Karte als auch ihren Biochip im Unterarm. Oder notfalls ihr Barcode-Tatoo über ihrem Gesäß.

Im Unterhaltungsprogramm möchten wir auch noch unseren Service für die Reisenden der 1. Klasse verweisen: ausgewählte Passagiere der 2. Klasse führen Scherenschnitte von drittklassigen Schülern aus der „Sarrazin-Pirinçci“-Gesamtschule vor. Wir danken für Ihr Verständnis und wünschen Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt. Stellen Sie auch demnächst wieder ihre Weichen für unsere aus dem Gleis geratenen Transportmittel.

 

Mist. Wieder kein Hinweis bezüglich Leute mit dicker Sprengstoffweste, die mit ihrem Körperumfang alle Hochgeschwindigkeitsnotausgänge im Zugabteil blockieren. Anpacken oder selber entscheiden, dass wer den dann anpacken muss?

In einer Umfrage wurde gefragt, was so der Deutsche am liebsten machen würde. Entscheiden, dass welche anpacken, oder anpacken, damit welche entscheiden? Die Mehrheit hat sich für das Entscheiden entschieden. Das ging, weil sie für die direkte Entscheidung nicht anpacken mussten, sondern der Interviewer deren Entscheidung aufschrieb. Somit verwundert es auch nicht, dass bei der Wahl so wenige wählen, weil da müssten sie ja anpacken, und zwar den Kopierstift zum Ankreuzen der Stimmzettel.

Man sagt, bei den Japanern rudern 8 Leute und 1 Mann steuert, in einem deutschen Team rudert dagegen 1 Mann und 8 Leute steuern. Zur Optimierung und Verbesserung des eigenen Teams wurde zudem die kostenneutrale Version mit vier Steuerleute, zwei Obersteuerleuten, einen Steuerdirektor und einen Ruderer gewählt. Für den Ruderer wurde zusätzlich ein striktes Leistungsbewertungssystem eingeführt, um ihn besser zu motivieren, frei dem Motto „erweiterter Aufgabenbereich, mehr Verantwortung, bei garantiert gleicher Lohnfortzahlung“. Im nächsten Wettbewerb gewannen allerdings die Japaner mit riesigem Vorsprung. Das Management reagierte prompt und entließ den Ruderer wegen schlechter Leistung. Zuvor hatte der Ruderer noch einen Verbesserungsvorschlag eingereicht, dass das Ruderboot mit acht Ruderern und einem Steuermann besetzt werden sollte. Die Ablehnung erfolgte prompt: Zwar könne dadurch das Boot schneller bewegt werden, jedoch fehlt das richtungsweisende Management der Steuerleute, weswegen auch das Eintreffen des Bootes am Ziel als unwahrscheinlich gelten müsste.

Ein Land der Manager: Zweiundzwanzig Spieler auf dem Feld umzingelt von 70.000 zahlenden Trainern und kritisch beaugapfelt von Millionen anonymen Trainern vor den Fernsehempfangsgeräten.

Ist natürlich irgendwie dumm, wenn dann das Fußballspiel abgesagt wird und dann auch noch gegen Holland. Wie gerne hätten die Zuschauer im Stadionrund „Ohne Holland fahren wir zur EM“ gesungen. Jetzt hätte das François Hollande aber missverstehen können. Wie gut, dass da etwas ernsthaftes angekündigt war. Und der Text „Lasst uns Sala fisten und Katho liken“ kam im evangelisch staatstragenden Hannover auch nicht so gut an. Zuviel Protest-Tanten? Dabei hatte sich eh nur Angela angekündigt gehabt.

Nach dem terroristischen Massaker in Paris gibt es wieder die Abwägung zwischen „Trauerarbeit“ und „Spaßkultur“. Darf man angesichts von Leuten mit Sprengstoffwesten noch sagen „Ich lach mich tot“?

Oder wie der 2002 verstorbene Kabarettist Matthias Beltz mal sagte: „Wer die Wahrheit über Komik erfahren will, muss erst mal nach dem Tod fragen.“

Darum erübrigt sich auch die Antwort auf die Frage, ob es rechtens ist, dass die überwältigende Mehrheit der Leser dieses Beitrags Terroristen aus einem fahrenden Hochgeschwindigkeitszug schmeißen würde. Denn dagegen ist nichts einzuwenden, wenn der Rausschmeißer weiß, wie man die Tür des Zuges öffnet, und solange der Körper des Terroristen dann nicht die Radreifen des ICEs auf Höhe von Enschede beschädigt.

5 Gedanken zu „Neulich, als ich versuchte, einen Terroristen aus den fahrenden Zug zu werfen …

  1. Zufällig (wirklich zufällig) höre ich mir gerade mal wieder „Mord im Orient-Express“ an. Das finde ich als Vorlage für den Umgang mit Bösewichten in fahrenden (und auch in Schneewehen steckenden) Zügen geradezu vorbildlich.

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  2. Kompliment, versuche mir gerade vorzustellen, wie ein solcher Text verfasst werden könnte. Alle Bausteine auf dem Tisch durcheinander gewürfelt. Oder eher therapeutisches Raussprudelnlassen?? Wie sueht das der Herr Rechtsanwalt?

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    • Tschuldige, ich lach mich gerad tot. Ich bin kein Rechtsanwalt. Und da fällt mir jetzt nur die Standardantwort von „Pille“ aus „Raumschiff Enterprise“ ein: „Ich bin Arzt, kein […]“. […] ist hiebei mit allen Berufsbezeichnungen dieser Welt zu ersetzen („All I’ve learned for life, I learned by Startreck“).
      Aber die Wahrheit ist so, wie du beschrieben hast: alles auf dem Tisch durcheinander gewürfelt und dann therapeutisch raus sprudeln lassen.
      Danke für deine Kritik.

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