»Denken ist Glückssache«, hatte mir in der Schule mein Deutschlehrer immer wieder gesagt, wenn ich meine Antworten mit »Ich denke, dass …« begann und sich heraus stellte, dass meine Antwort überhaupt nicht zu seiner Frage passte. Zwar war ich damals immer überzeugt, dass ich lediglich missverstanden wurde, heute weiß ich allerdings, dass ich wohl eher die Fragen nicht verstanden hatte.
Übers Denken an sich wird bereits viel nachgedacht. Bei meiner Suche nach dem in den »Papieren von PentAgrion« (ein hier von mir weiter gestrickter Internetroman) erwähnten »Karl Schneider«, der bis zu seinem Tode im Jahr 1980 an einer Gruppentheorie gearbeitet haben sollte, war ich in Hochschulbibliotheken, um dort zu recherchieren.
Hochschulbibliotheken haben sich gewandelt. Waren sie früher stille Lern- und Lesestätten, in dem kaum Gespräche zwischen Kommilitonen geschweige den Geräusche zu hören waren, so haben sich auch diese modernisiert. Zwar sind sie noch meilenweit von der Geräuschkulisse einer Buchhandlung entfernt, aber Horte der Stille sind sie nicht mehr. Das sichtbare Zeichen der Neuzeit sind die Computerterminals. PCs stehen inzwischen dort drinne und das stetige Klackern der Tastaturen und Klicken der Maustasten spielt die Hintergrundmusik zwischen gedämpften aber doch deutlich hörbaren Gesprächen. Das digitale Zeitalter hat fünfzig Jahre nach dem Erfinden des Internets selbst die vormals stillen Bibliotheken in Zentren der jederzeit verfügbaren Information verwandelt.
Gerne wird dabei von der Demokratisierung der Bildung gesprochen: jeder kann auf das Wissen zugreifen. Eigentlich benötigt es die Einrichtung einer Bibliothek nicht mehr, denn über das Internet und mittels Hyperlinks wäre alles mit allem Wissen vernetzbar und für jeden in unmittelbarer Reichweite seines eigenen Heimcomputers.
»E-Learning«, das Lernen mit Hilfe des Computers, machte bereits die Runde. Aber bisher hat sich gezeigt, dass das E-Learning für deren Anwender schwerer vonstatten geht als normales Lernen. Wer mit Büchern und/oder mit Lehrer lernt, lernt anders, hat einen nachhaltigeren Lerneffekt. Derjenige, der sich über Hyperlinks des Internets versucht zu informieren, wird kaum soviel lernen. Zu groß ist das Ablenkungspotential der Hyperlinks im Internet. Jeder Artikel, jedes Post, welches ein Link enthält, führt zu einer Unterbrechung und somit zu einer Ablenkung vom eigentlichen. Aber das ist letztendlich auch so gewollt.
Das Denken, welches sich auf physische Bücher und Dokumente aufbaut, gerät beim Nutzen des Internets ins Schleudern, das Ziel leicht aus den Augen. »Demokratisierung der Bildung« ist nichts anderes als eine geschickte Verschleierung dessen, dass mit dem Internet das Denken an sich der Menschen sich wandelt und nachhaltige Lerneffekte durch einen Informationsüberangebot blockiert wird. Es liegt gar nicht im Interesse, dass sich im Internet längere Texte durchgelesen werden. Das Interesse liegt vielmehr auf Wachstum der Klick-Raten je Seite. Google lebt hervorragend davon.
Gerne wird den Nutzern des Internets auch noch eine Affinität zu der als »negativ« erklärten »Umsonstkultur« untergeschoben. Die Internetnutzer wollen immer alles und besonders umsonst haben und nicht zahlen. Es muss der blanke Neid der zu-kurz-Gekommenen sein, denn selbst Google-Books hat keine Probleme damit. Dass nebenbei Google-Books beim Einscannen von Büchern mit der Praxis »Erstmal scannen, dann fragen und gegebenenfalls zahlen« und auch Googles Suchmaschine selber mit dem Urheberrechte locker umgeht, hat noch keinen der großen Kritiker über Googles-»Umsonstkultur« sich beklagen lassen. Würde man diese fragen, was sie von Googles Praktik halten, sie würden möglicherweise antworten: »Die Aktien von Google.«
»Ich denke, also bin ich« ist René Descartes bekanntestes Zitat. Er hatte damit vor 370 Jahren die Gedanken der Unterscheidung von Materie und Geist in die damalige Welt gebracht. »Denken ist Glückssache« war definitiv nicht von ihm. Dass das Denken eine Sache ist, die Glück bringen kann steht außer Frage. Dass aber Denken eine Sache des Glück im Sinne eines Glücksspiel ist, kann nicht sein, denn Glücksspiele sollen der staatlichen Kontrolle unterliegen und können bekanntlich süchtig machen. Jedenfalls würden viele gerne die Kontrolle über das Denken übernehmen und eigenständiges Denken als eine Sucht brandmarken. Das mag sich jetzt ein wenig dämlich lesen. Nur, mit dem Internet hat es bereits diese letzte Richtung eingeschlagen.
Der Vorteil soll sein, dass mit dem Internet wertvolles Wissen ausgelagert werden kann. So wird es gerne kolportiert. Nur ist Wissen nicht auslagerbar, sondern Wissen ist nur erfahrbar. Wissen ist auch keine Dateneinheit, welche man wie ein Programm auf einem Datenspeicher ablegen kann und nach 10 Jahren dort noch immer wieder finden kann. So wie am ersten Tag. Wissen ergibt sich durch Denken und ist individuell.
Ein bedeutender Unterschied zwischen der asiatischen Kultur und der hiesigen westlichen Kultur liegt darin, dass in der asiatischen Kultur sich das Individuum an Gemeinschaftsereignisse erinnert, in der westlichen Kultur das Individuum aber eher an individuelle Lebensereignisse.
In den westlichen Medienereignissen lässt sich eine Verlagerung von individuellen Lebensereignissen hin zu internetbasierten Ereignissen verfolgen. Auch das Individuum verlagert sein »Ich« in die breite Masse der Social Networks (Blogs, Facebook, Twitter, YouTube etc.) und akzeptiert widerspruchslos deren enge Reglementierungen. Der Geist wird in die Materie des Internets und deren Korsett verlagert. Und der Geist ist begeistert von den vielfältigen Anregungspotentialen und Informationsangeboten, denen er begegnet. Denn Gehirn und Internet haben eines gemein: Sie verändern sich stetig, wobei das Gehirn dabei wesentlich flexibler und effektiver vorgeht, als es das Internet jemals schaffen wird. Nur, was hinsichtlich des Internets beim Menschen wächst, ist auch noch die Unstehtheit des Geistes. Es fehlt die Kontemplation des Denkens. Bücher waren Rückzugsgebiete, Oasen der eigenen Phantasie. Das Internet ist aber überwiegend nicht daran interessiert, wie ich bereits oben schrieb.
Allein daher ist dieser Eintrag schon wieder mal einfach zu lang.
Einfach unlesbar.
wahrscheinlich haben eh schon alle Leser den nächsten Hyperlink angeklickt gehabt …
Die Geschichte über »PentAgrion«, welche von Trithemius initialisiert wurde (s.a. unter trithemius.blog.de), hatte ich damals aufgenommen und fortgeführt. Seit fast einem Jahr ist sie bei mir mit einem Cliffhänger in Warteposition. Die Geschichte ist aber noch nicht vorbei, die Handlung konzeptioniert, aber nicht niedergeschrieben. Die Unstehtheit meines Internet-bewegten Geistes hat mir das Denken an der Geschichte blockiert. Mein Streben ist es, diesen Internetroman für mich zu Ende zu bringen. Eine Garantie, dass die Fortsetzung eine Offenbarung der Literatur werden wird, die gebe ich nicht.
Trotzdem benötige ich die bereits oben erwähnte Kontemplation des Denkens. Ein wenig Glück im Sinne von »Spiel« als auch im Sinne von »Gefühl«, wäre auch nicht schlecht.
Damit Denken bei mir eine Glückssache wird.
So wie es mein Deutschlehrer mir schon damals immer vorhielt.