Erinnert sich noch wer an die letzte Woche vor der Bundespräsidentenwahl 2010?
Es ging darum, ob Joachim Gauck oder Christian Wulff der erste Mann im Staat werden sollte. Die Diskussionen schwankten zwischen Bewertung wie „Gold und Silber“, „Pest und Cholera“, „Menschenrechtsvertreter und Menschenrechtvertreter“.
Joachim Gauck, der Preisträger des Aachener Karlspreises als Europa-Wohltäter und ehemaliger Vorsitzender einer Behörde, deren neuer Name „Birtler-Behörde“ im Gegensatz zur „Gauck“-Behörde nicht wirklich der Renner ist.
Und Christian Wulff, als Kenner der Maschmeyer-AWD-Szene und der Koch-Merz-Bouffier-Öttinger-Connection, jenem „Anden-Pakt“, wie der SPIEGEL diese Männer-Macht-Freundschaften betitelte.
Und dann das:
Eine Woche vor der Wahl, er war ja nur bei der Münchener SPD, um für sich zu werben. Nicht mehr und nicht weniger. Das was jeder so vor der Wahl zum Bundespräsidentenamt so unternimmt. Und genau dabei gerät dem Fahrer des eigenen Wagens ein Radfahrer vor die Motorhaube des gepanzerten und mit Sicherheitsleuten ausstaffierten 7er-BMWs.
Ein Terrorakt?
Nein, freilich nicht, denn der Fahrradfahrer trug keinen Helm. Nach Angaben mehreren Zeitungen war der Fahrradfahrer nach dem Zusammenstoß sofort bewusstlos (… uff, Glück gehabt …).
Die „Süddeutschen Zeitung“ berichtet sogar, dass der Fahrradfahrer „sehr flott“ unterwegs gewesen wäre und der Bundespräsidentschaftsanwärter in dem BMW sollte kurz nach dem Unfall den verletzten Radler im Krankenhaus besucht haben. Von dem Klinikum hätte er denn auch erfahren, dass was er am Krankenbett des Schwer-Verletzten nicht mitgeteilt bekam: der Fahrradfahrer sollte den Unfall überleben. Das sagte eben jener nach dem Unfall am Abend in der ZDF-Sendung „Was nun?“. Da befand er sich bereits wieder in Berlin …
Natürlich meine ich hiermit nicht Christian Wulff sondern den anderen, der das nicht wurde, was der Wulff nachher wurde. Joachim Gauck hatte wohl irgendwie nur Pech. Und erst recht bei dem Unfall, so vermittelte es uns betroffen die Presse. Denn sein Fahrer fuhr normalerweise so 80.000 Kilometer im Jahr. Unfallfrei. Und nun das. Eine Woche vor der Präsidentschaftswahl. Ein Fahrradfahrer bewußtlos auf der Straße und Gauck kurz darauf am Krankenbett.
Was ist eigentlich aus dem Fahrradfahrer geworden?
Er betreibt ein Restaurant im Münchener Stadtteil Sendling, nicht unweit von der Stelle, wo dem Münchener Schmied von Kochel gehuldigt wird.
Der Schmied von Kochel ist eine Bayrische Sagengestalt. Er hat so in etwa die Stellung des biblischen Samsons, der einst fürchterlich stark war, bis ihm Delila einfach die langen Haare abschnitt. Und weil Samson gottesfürchtig war, erhörte die biblische Hauptperson des Buches seine Stoßgebete und in einem letzten Kraftakt soll Samson dann noch mal eben mit einem Eselskinnbacken 1000 Gegner niedergemeuchelt haben. Als Belohnung erhielt er für dieses Massaker das Amt eines Richters.
Für deutsche Geschichtshistoriker ist das nichts ungewöhnliches. Man gedenke nur des Tausendjährigen Nazi-Reichs, was sich geistig, moralisch und wirtschaftlich aufs Übelste und Makaberste schon nach zwölf Jahren vorsätzlich abgewirtschaftet hatte. Die Karrieren einiger der damaliger deutschen Nazi-Protagonisten wurden danach mit Richterposten und anderen Ehren entlohnt. Manche wurden sogar demokratisch gewählte Präsidenten mitteleuropäischer Staaten.
Also nicht wirklich neues, könnten da Historiker über Samson beruhigt konstatieren, auch für die heutige Zeit. Man sieht, die Bibel ist nicht in-aktuell in der Beschreibung der bestialischen Niederungen der Menschheit.
Aber es geht ja nicht um Samson.
Und um den Schmied von Kochel geht es hier auch nur am Rande. Denn jener lebt in der bayrischen Erinnerung als Held weiter. Lediglich mit einer Stange ausgerüstet, soll er das Stadttor von Belgrad erfolgreich zerstört haben. Dafür starb er dann in der Sendlinger Mordweihnacht 1705 in dem Bauernaufstand, einem Ausdruck des niedrigen Wutbürgertum gegen den Staat, als Vertreter von recht und Ordnung. Der Schmied von Kochel hat jetzt gegenüber der alte Pfarrkirche St. Margaret in Sendling sein Denkmal.
Und 300 Meter weiter hat das Unfallopfer von Joachim Gauck sein Restaurant seit Weihnachten eröffnet. „Ferry’s Holzofen Pizzeria“ in Sendling. Gut, das mag jetzt wie billige Werbung sich lesen. Aber darum geht es mir nicht.
In jener Pizzeria erzählte mir das Unfallopfer seine Geschichte.
Er sei prominentes Unfallopfer, meinte er.
Ich verstand nicht.
Ob ich nicht die Zeitungen gelesen hätte.
Nein, Boulevard lese ich eigentlich nicht. Und uneigentlich nur das Fett-Gedruckte zu meiner Belustigung. Unfallgeschichten sind nicht mein Metier.
Er erzählte mir die Geschichte von dem Unfall. Wie es ab lief, woran er sich erinnerte. Er erinnerte sich bis zum Zusammenstoß, dann endete seine Erinnerung.
Direkte Unfallzeugen gab es. Vier waren es auf alle Fälle. Und deren Aussage hatte erhebliches Gewicht: die vier Sicherheitsbeamten, die alle ähnlich lautend das Unfallopfer als Unfallverursacher belasteten. Zwei weitere, zivile Zeugen gab auch noch. Sie hatten den Unfall nur aus den Augenwinkel mitbekommen und konnten die Aussagen der Sicherheitsbeamten nicht direkt erhärten oder widerlegen.
Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen gegen Gauck seinen Fahrer eingestellt. Die Aussagen der Sicherheitsbeamten wären eindeutig, die der beiden Zeugen schwammig und die Aussagen des verunfallten Radfahrers nicht stichhaltig.
Akte geschlossen. Prozess zu Ungunsten und zu Lasten des Radfahrers beschieden.
Drei Operationen am Kopf waren die Konsequenz aus dem Zusammenstoß mit dem 7er BMW. Der Radfahrer kam sofort für niemanden erreichbar auf die Intensivstation. Jede Operation dauerte länger als die vorherige. Die letzte dauerte neun Stunden.
An einen Joachim Gauck an seinem Krankenbett konnte er sich nicht erinnern. Auch keine andere Person konnte den Besuch bezeugen. Wie auch? Nur engste Familienangehörige würden die Chance haben auf die Intensivstation des Krankenhauses zu gelangen.
Wer hat denn da verbreitet, dass Gauck sich am Krankenbett des Verunfallten befunden haben sollte? Gauck, der mitfühlende Kandidat zum Bundespräsidentenamts. Das war opportun. Und wir alle haben es geglaubt. Können Politiker lügen? Oder Zeitungen? Oder beide?
Nur, das einzige, was der Verunfallte an seinem Krankenbett fand, war ein Blumenstrauß des SPD-Kreisvorsitzenden. In dessen Büro hatte Joachim Gauck vor dem Unfall noch für seine Kandidatur geworben.
Von Joachim Gauck persönlich hatte der Verunfallte nie mehr etwas gehört. Es mag sein, dass er sich vielleicht über seinen Zustand erkundigt haben mochte. Vielleicht über Mittelsmänner. Aber auch davon hatte der Verunfallte keine Kenntnisse erhalten. Nichts.
Ganz staatsmännisch hatte Joachim Gauck sich auf seine Wahl konzentriert und seine Bemerkung in der ZDF-Sendung „Was nun?“ ist das, was medientechnisch über die Zeitungen dem Verkehrsopfer übermittelt worden war: „Es war so ein Schreck.“ (Joachim Gauck)
Das Restaurant hatte das Unfallopfer mit mehr als einem halben Jahr Verzug zu Weihnachten 2010 eröffnet. Als offizieller „Unfallverursacher“ muss er für alle Schäden des Unfalls aufkommen: der beschädigten gepanzerten 7er BMW, die eigenen Operationen, die Prozesskosten und die Kosten aufgrund der verspäteten Eröffnung. Er habe es bereut, dass er keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hatte. Denn für einen Widerspruch im Prozess fehlte ihm das Geld. Also habe er das Urteil gegen ihn akzeptiert. Durch den Unfall habe er aber festgestellt, dass er ein „Steh-auf-Männchen“ sei und nicht aufgegeben hätte. Das Ergebnis sei schließlich sein Restaurant.
Nein, ich möchte an dieser Stelle nicht ins Horn von „Justizirrtum“ oder „Gesinnungsjustiz“ stoßen. Auch wenn es nach meinen vorherigen Bemerkungen danach schmecken könnte.
Was mich an dieser Geschichte im Restaurant so wortlos werden werden ließ, war einfach der Fakt, dass sich Gauck zuvor als der „Bürgerpräsident“ hingestellt hatte. Aber als es auf einen Bürger ankam, da war von ihm nichts mehr zu sehen. Selbst Thomas Gottschalk hat sich mehr um seinen verunfallten „Wetten, dass“-Gast gekümmert als Joachim Gauck um jenen Menschen. Beide waren betroffen, ohne eigentlich direkt schuldig am Geschehenen gewesen zu sein. Allein Gauck als Kandidat für das bedeutendste Amt der Bürgerschaft interessierte sich nur für seine Außendarstellung. Der Rest war ihm herzlichst egal.
Letztendlich wurde Christian Wulff der neue Bundespräsident und Gauck ging als schulter-geklopfter „Verlierer“ aus der Wahl hervor.
Christian Wulff ist vielleicht doch der ehrlichere, denn für ihn ist der Bürger ostentativ nur Staffage (siehe seine Weihnachtsansprache), während ihm die Maschmeyers näher sind als die Probleme vieler Bundesbürger, die er lieber in der Marginalität sehen möchte.
Früher hieß es in einer Waschmittelwerbung immer „Weißer geht’s nicht“. In einer Parodie wurde daraus „Weiter geht’s nicht“.
Doch es geht weiter.
Immer weiter.
Nach der heutigen, vernommenen Geschichte weiß ich, was immer Zukunft in diesem Land hat: Verarschung durch Medien und Politiker findet noch immer guten Nährboden zur fruchtbaren Verbreiterung …
Ach ja, dem Restaurantinhaber (ex-prominentes Unfallopfer) wünsche ich, dass sein Restaurantkonzept aufgeht. Das, was ich dort verzehrte, fand 1a (siehe auch hier). Meine Restaurant-Empfehlung.
Ertrage die Clowns (4): Zeit für GaucklerIm Jahr 1949 steckte sich der junge Joachim Fest einen Zettel ins Portemonnaie, den er bis zu seinem Tode mit sich führte. Auf dem Zettel stand der Satz:
„Ertrage die Clowns!“
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Herzensbildung oder die Bestechlichkeit der HerzenHaben wir nicht alle geheult wie die Schlosshunde? Da hatte ihr besoffener Chauffeur jene Frau Spencer in Paris in einem Tunnel einfach so gegen den Pfeiler gesetzt.
„Königin der Herzen“ erhielt sie als Titel. Posthum.
Und haben wir nicht geheult …
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