Der Tag, an dem ich Asterix überfuhr

Was vorher geschah: Prolog, Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6

***

Mühsam wälzte ich mich aus der Hotelbettwäsche. Der Wecker fiepte unerbittlich.
7:30 Uhr.
Die Zeit für den ausgeschlafenen Angestellten.
Guten Morgen, Arbeit.
Zuerst jedoch eine freundliche Dusche. Aufwachen findet bei mir unter fließendem Wasser statt.

Ich hatte krude Träume gehabt. Normalerweise erinnere ich mich nicht an solche. Aber diesmal hingen mir einige Traumfetzen wie Gemälde in meiner Erinnerung nach. In einer Straße lief ich auf und ab. Papier umwehte mich. Bedrucktes Papier. Ich hatte versucht ein Papier zu ergreifen, aber es rutschte mir immer wieder aus meinen Händen. Auf einem konnte ich ein Pentagramm erkennen, auf einem meinte ich, das Wort „PentAgrion“ zu lesen. Auf wieder einem anderen las ich das Wort „Vanderford“. Ich hatte es versucht mit einem Kugelschreiber zu korrigieren, aber der Kugelschreiber in meiner Hand war ohne Miene und mein Versuch das Wort in „van de Voorde“ zu ändern, führte dazu, dass ich das Blatt zerstörte. Weitere Blätter umwehten mich und bildeten mit ihren Seiten ein Fünfeck. Letztendlich wachte ich auf. Und die Dusche war für mich die Gelegenheit mich von diesen wirren Traumbildern frei zu waschen.

Kaum war ich aus der Dusche raus, als das Handy läutete.

„Hör mal, nicht mehr Königswinter. Ich habe gerade einen Anruf erhalten, der kann nicht. Du musst nach Koblenz.“
„Koblenz?“
„Koblenz. Liegt auf dem Weg, etwas weiter als Königswinter.“
„Dahinter?“
„Ich glaub schon. Mietwagenschäden?“
„Null.“
„Sonst alles klar?“

Natürlich war alles klar. Ich notierte mir die neue Adresse, warf mich in Schlips und Kragen, und nahm die Jacke locker über den Arm gehängt mit. An der Hotel-Rezeption war der Schlüssel von der Mietwagenfirma bereits hinterlegt. Das Fahrzeug parkte direkt vor dem Hoteleingang. Minuten später gab mir das GPS-Gerät die Richtungsbefehle. Zwischenzeitlich hielt ich an einer Bäckerei und ließ mir zwei Croissants und Cafe-to-go aushändigen. Der Kaffeebecher passte wunderbar in dem Becherhalter. Nicht so gut war allerdings, dass kurz drauf mein Vordermann so hart in die Eisen stieg, dass auch mein Kaffee aus dem Becher schwappte und sich die der Kaffee über die Mittelkonsole verteilte. Der einzige Vorteil, dem ich dieser Sache abgewinnen konnte, war darauf der frische Kaffeeduft im ganzen Fahrzeug.

Knapp zwei Stunden und einem Raststättenaufenthalt später hatte ich Koblenz erreicht. Allerdings wurde mir dann an der Adresse mitgeteilt, dass man mich nun doch nicht erwarten würde, weil mein Kontaktpartner dringend fort musste. Kurz danach klingelte mein Handy.

„Hi, ich wollte dir nur Bescheid geben, der Termin in Koblenz hat sich erledigt. Mach dir einen schönen freien Tag. Mach dir nen Tag in einem Wellness-Club. Und dein Abendessen übernehme ich auch, okay?“
„Klar, Chef, mach ich.“
„Aber keine Schäden mit dem Mietwagen. Sonst übernehme ich nichts!“
„Verstanden, Chef, geht in Ordnung.“

Manche Chefs sind selbst in Krisenzeiten recht sympathisch, wenn sie den passenden Ton finden. Zumindest das beherrschte mein Chef. Wellness-Club?
Mal sehen, was mir Google dazu auf meinem Handy erzählen kann. So beschloss ich, auf eine Autobahn nach Köln zu verzichten und entspannt nahm die Bundesstraße B9 am Rhein entlang.

Seher.jpg Ich fuhr an einem Bundesstraßenrastplatz raus. Der Rhein lag unterhalb des Rastplatzes. Ich ging um mein Mietfahrzeug herum und sah, dass ich Asterix überfahren hatte oder vielmehr den Band „Asterix – Der Seher“. Mein rechtes Vorderrad hatte das Heft perfekt überrollt. Mit spitzen Fingern schaute ich nach, was von meinem Opfer noch zu retten war. Da war allerdings nichts mehr zu machen. Asterix‘ Seher lag schon länger auf dem nassen Asphalt. Die Seiten klebten aneinander. Ich überließ das Opfer dem natürlichen, zellulosen Verwesungsprozess.
R.I.P., Asterix und sorry dir auf dieser Weise zu deinem 50sten zu gratulieren. Aber auf dem Asphalt herrschen die Regeln des automobilen Gummis. Das ist nun mal halt so.

Ich ging an der Begrenzungsmauer entlang, bis ich zu einer Treppe kam, die zum Rheinufer führte. Rechts und links der Treppe lag Zivilisationsmüll. Ein halber Staubsauger, Zeitungen mit den Nachrichten von Vorvorgestern, Trinkflaschen, Papiertaschentüchern und noch andere Dinge, die von Menschen einfach entsorgt wurden. Aus den Augen, aus den Sinn und ab in die Rheinuferböschung. Beinahe direkt an der Wasserlinie erblickte ich eine Matraze. Ideales Strandgut der Kölner Rheinuferterassen, wenn der Rhein in nächster Zeit wieder Hochwasser führen sollte.

Ich hockte mich ans Ufer und schaute auf den Rhein, wie er in aller Ruhe sich in seinem Bett wälzte.
Ruhe. Keine Hektik
Als kleiner Knirps war ich einmal mit meinen Eltern bei Xanten am Rhein. Und mein Vater hatte mich mit meinem Bruder genau dann fotografiert gehabt, wenn sich ein sehr großer Lastkahn flussauf- oder flussabwärts kämpfte. Später hatte ich erfahren, dass diese Kulisse „Familienbild mit Schleppkahn auf Rhein“ zum Standardfotoprogramm vieler Familien gehörte.

Rheinschifffahrt
Einmal am Rhein und schon kommen die Erinnerungen wieder hoch: wie ich mit meinem Bruder breit lächelnd, brav gescheitelt, bildgerecht gekämmt in unseren damaligen Schlaghosen in Positur standen und hinter uns sich die Schiffe den Rhein lang kämpften …

Die Erinnerungen von damals waren in mir wieder lebendig geworden. Das Lachen mit meinem Vater, die Besorgnisse meiner Mutter, die Nickeligkeiten mit meinem Bruder, alles war wieder vor meinen Augen lebendig geworden.

Verträumt griff ich in meine Jackentasche. Meine Hand stieß auf Papier. Irritiert holte ich das Papier hervor und schaute es an. Es war das Faltblatt von gestern Abend. Unwillig drehte ich es hin und her. Mein Blick fiel auf die Rückseite, wo sich ein Pentagramm befand. Dort entdeckte ich in feinen Buchstaben ein „V.i.S.d.P.“ und den Ortsnamen „Remagen“.

Remagen.
Lag das nicht auf meiner Strecke der B9?
Remagen. Wieso nicht? Die Einladung von gestern Abend stand doch wohl noch.
Ich stand auf und ging die wilde Müllkippenstraße zum Fahrtzeug zurück.

(Fortsetzung hier)

3 Gedanken zu „Der Tag, an dem ich Asterix überfuhr

  1. Ups. Es war vielleicht ein absolut linker rechter Vorderreifen … danke für den Hinweis. Ich habe es korrigiert. Du hast recht. Rechter Vorderreifen. Right. Danke. :>>

    Like

  2. Wunderschön erzählt – nur zeigt das Foto ziemlich deutlich einen rechten Vorderreifen… was allerdings auch zum beschriebenen Herumgehen um den Mietwagen paßt.

    Like

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.