Das Weissweinglas schwitzt. Kondensperlen rennen das beschlagene Glas herunter. So muss es sein. Wäre es nicht so, ich würde den Wein zurück gehen lassen.
– Wie? Kein Kölsch?
– Nein. Der Wirt hat ne Kiste portugiesischen Vinho Verde. Lecker, sag ich dir. Einfach nur lecker.
Ich nehme bedächtig einen Schluck. Nur nicht zu schnell, nur nicht zu langsam, das richtige Timing ist erforderlich, denn sonst hätt ich mir auch nen Riesling hinter die Binde spülen können.
Das goldgelbene Nass fällt auf meine Zunge und …
Jung, spritzig, leicht!, schreien sie jetzt begeistert, die Geschmacksknospen meiner trockenen Zunge. Mein Gehirn meldet La-Ola-Wellen aus dem Mund.
Die Kehle meldet sich empört und erinnert, dass sie nicht den Wein genießen möchte, der dauernd über die Zunge gerollt sei. Der wäre zu warm.
Der Weissweinstrom setz seine Pilgerreise in den hinteren Gaumen fort. Das Zäpfchen jubiliert und der Gaumen wird vor Freude blutrot.
Allenthalben Begeisterungsstürme der Geschmackspapillen.
Der Strom erreicht die Kehle und rennt immer noch kühl gen Magen. Ein berauschendes Gefühl …
– Es geht aber nichts über ein kühles frisch gezapftes Kölsch!
Ich schaue sein Glas an. Auch jenes perlt. Er schließt die Augen, setzt an und …
– Wo warst du eigentlich die letzte Zeit?
Er schluckt langsam und genussvoll und öffnet die Augen.
– Aaaah. Das erfrischt. Nun, ich war in London.
– London? In der Kölsch-Diaspora?
– Wat mutt, dat mutt.
– Wat hasse da jemacht?
– Ich wollte mal wissen, wie man sich so fühlt, wenn man vor Menschenmassen Reden hält.
– In London?
– In London.
– Im Millennium Dome?
– Iwo. Im Hyde Park.
– Im Hyde Park?
– Speakers Corner.
– Ach komm.
– Doch. Da steht man und hält Reden und wen es interessiert, der hört zu.
– Du witzelst. Worüber haste denn geredet?
– Politik. Über die große Politik.
– Der englischen?
– Nö.
– Die der EU?
– Nö. Über die deutsche Politik.
– Du bist betrunken. Die ist nicht groß.
– Doch ist sie. Und sie hat deswegen ja auch ne entsprechende Koalition gebildet.
– Und worüber haste geplaudert?
– Geredet! Über die soziale Marktwirtschaft. Und über den Sinn von Bildung.
– Aha. In England. Sehr sinnvoll. Und haben sie dir aus sozialem Marktwirtschafts-Mitleid freiwillig was von der deutschen Lehman-Brother-Millionen ausgehändigt? Hat dich überhaupt wer verstanden?
– Ich glaub nicht. Die sprechen dort kaum Kölsch, vermute ich.
– Hätt‘ mich auch verwundert. Und du wurdest dort also zum Straßenfeger Londons?
– Läster du nur. Es hielten zwei Limousinen an und haben meine Reden aufgenommen. Eine war eindeutig aus Bayern. Schwarzer 7er BMW, mit getönten Scheiben. Sah mir aus wie eine von der Münchener CSU …
– Quatsch, sicherlich Schlapphüte aus Pullach. BND.
– … und die andere war ein schwarzer Audi A8.
– Okay, hast recht. Der BMW ist ein 750Li, Seehofers erster Dienstwagen. Wahrscheinlich hat er dir aus dem zugehört. Und im Audi A8, Seehofers Zweit-Dienstwagen, saß sein Staatssekretär und hat deine Reden mitschreiben müssen.
– Wie? Was? Der Seehofer hat zwei Dienstwagen? Einen Audi und einen BMW?
– Ein BMW und ein Audi kommen gemeinsam zum Einsatz für den bayrischen Ministerpräsidenten, damit sich keiner der beiden bayerischen Hersteller benachteiligt fühlt, hatte ja bereits damals schon Regierungssprecherin Daniela Philippi erklärt. Klassischer Kölscher-Proporz in München.
– Wie? Das ist ja schlimmer als die Gesundheits-Schmidt.
– Ein Mini-Präser aus Bayern darf das. Dafür hat ihn sich ja das bayerische Volk wahltechnisch übergestülpt. Mach dir keine Gedanken. Die Presse macht sich ja auch keine.
– Richtig. Wir denken nicht, wir geben zu denken.
– Eben. Bayern steht über allem, da werden nicht Positionen überdacht, sondern maximal Stadien.
– Weisste, ich liebe Seehofer, weil er kein zu heikles Gewissen hat. Daheim die Frau schmachtend im Bett am Warten und er zieht sich aus anderen Mäträzen zurück.
– Und ich liebe von Guttenberg, weil der überhaupt kein Gewissen hat und einfach Ideen von anderen kopiert und sie dann als Eigenleistung ausgibt. So wie mit der Zwangsverwaltung insolventer Banken durch die Steuerkasse. Der Schmarrn wurde schon bereits im März auch von der CDU/CSU abgelehnt.
– Das klassische Beispiel. Guttenberg lässt sich von einer Anwaltskanzlei Gesetze vorschlagen. Outsourcing im klassischen Sinne.
– Nur teuer. In Indien geht das billiger.
– Man sagt sich ja, wenn beim von Gutenberg das Telefon klingelt, dann streicht er sich erst mit dem Kamm durch die Haare, bevor er den Hörer abnimmt.
– Er macht Westerwelle Konkurrenz.
– Keine Chance, das „Clearasil“ und „Oil of Olaz“ Forschungslabor erprobt seine Produkte ausschließlich mit Westerwelle. Da droht dem nichts.
– Außer 18%. 18% auf alles. Außer Tiernahrung. Dafür hat sich Möllemann mit dem Gewicht seiner ganzen Person bis zuletzt eingesetzt!
– Hat eigentlich der geschädigte Bauer vom Getreidefeld liberale Entschädigung für den Aufschlag Möllemanns erhalten?
– Ja, einen Gedächtnisstein im Roggenfeld. Die Mähdrescher müssen jetzt aufpassen, dass nicht noch mehr Schaden angerichtet wird.
– Möllemann, the catcher of the rye.
– Es lebe der Zentralfriedhof.
– Du bist ein Zyniker. Einem Bauer ist jeder Acker heilig.
– Nein, ich meinte nicht den von ihm extra spektakulär neu eingeweihten in Marl, sondern den in Münster, dem von Appelhof.
– Jaja, seitdem streicht der Möllemann durch die FDP wie der Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
– Das waren aber keine Äpfel vom Hof seiner Gemahlin sondern Birnen vom Strand.
– Na und? Er war ja auch Vize-Kanzler vom Kohl, der deutschen Glüh-Birne ohne Glühfaden. Da darf die FDP auch mal fordern, dass Glühbirnen nicht EU-weit verboten werden.
Ich erhob mein Weissweinglas. Wenn einem soviel blödsinniger Quatsch erfährt, das ist ein Vinho Verde wert.
Er erhob sein Kölsch-Glas und drehte sich zu mir.
– Ich hab mir den neusten EULENSPIEGEL gekauft.
– Nicht möglich. Soviel Geld haste zur Verfügung?
– Wat mutt, dat mutt.
– Und?
– Du musst dir den Mittelteil rausfischen!
– Wieso?
– Deutschland sucht den Superkanzler! Demnächst auch in ihrem Wahllokal Ende September!
– Bis dahin wird noch viel Wasser der Berliner Spree runter fließen. Und bis dahin werden von einem auf dem nächsten Tag von SPD, CDU/CSU, FDP, Grüne – und wie sie alle heißen – noch ganz andere Standpunkte vertreten.
– Das mag schon sein, aber schließlich kann keiner die Parteien daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.
– Oder die Wähler zu verdummen.
– Hauptsache, die CDU gewinnt und maximal die FDP darf dann mitspielen.
Das Gespräch ist an seinen Endpunkt angekommen. Die Witzeleien verpufft. Die Vorausahnung, dass die Wahl schon jetzt bereits entschieden sein könnte, lähmt jeden weiteren Gedanken.
Die Wasserperlen rannen nicht mehr, der Vinho Verde war getrunken, das Glas jetzt leer.
Kommentarlos stellt mir der Wirt ein kühles Kölsch hin und hält in seiner Linken eine weitere Kölsch-Stange.
– Der Tisch da drüben hat die Restbestände vom Wein aufgekauft. Ich denke, du magst dann sicherlich das Traditionelle. One for you, one for me. Prost.
Der „Tisch da drüben“ feiert offenbar den Sieg von 1860 und die Weingläser klingen in Dur, fast so als ob Podolski zum zweiten Male nach Köln zurück gekehrt sei.
Ich schaue auf mein Kölsch. Es schwitzt.
Im Moment ist mir gar nicht nach Kölsch.
Mein Partner ist in regungsloser Starre vor seinem Kölsch verfallen.
War da was zuvor? Irgendein Gespräch?
Die Boxen spielen ABBA „Chiquitita“ und die prinzipielle Frage am Anfang des Lieds, was denn falsch liefe, Chiquitita.
Ich schaue auf die Uhr.
Zeit für heimwärts, Zeit den Superstars im Internet hinterher zu forschen.
…
Poster abfotografiert aus dem Satiremagazin EULENSPIEGEL Ausgabe 08/09 (56./64. Jahrgang ISSN 0423-5975 86514)
Naja, warst auch schon mal besser. Du machst immer so viel Worte wegen nichts. Schreib doch mal knackiger!
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