Der 9. Februar ist geschichtlich gesehen ein recht unbedeutender Tag.
Der Schachweltmeister Gari Kasparow hatte sich an jenem Tag im Jahr 1996 auf sein Turnier gegen den von IBM entwickelten Schachcomputer „Deep Blue“ vorbereitet. Am nächsten Tag erst sollte die Weltöffentlichkeit überrascht notieren, dass ab jenem Tag auch Schachgroßmeister und Schachweltmeister nicht davor gefeit sind, von Schach-Computern wie Otto-Normal-Verwutzer geputzt zu werden.
Ansonsten hat jener 9. Februar nicht viel zu bieten. Ausser vielleicht einen eher traurigen Anlass zum Gedenken. Denn der 9. Februar ist der Todestag von dem bayrischen Komiker Karl Valentin („Nenn mich nicht Walentin, du nennst ja auch nicht deinen Vater Water“).
Im Jahr 1991 fiel der 9. Februar auf einen Samstag.
Traurig war der Tag sowieso. Auch ohne Gedenken an den 1948 verstorbenen Valentin. Denn die rheinische Tiefebene schritt mit Sieben-Meilen-Stiefeln auf den geheiligten 11. Februar zu. Aber nicht, weil ein Jahr zuvor Helmut Kohl und Michael Gorbatschow bei einem Spaziergang an einem sowjetischen Bach darüber sich verständigt hatten, dass sich „Deutschland West“ mit „Deutschland Ost“ wieder vereinigen durfte. Sondern es stand schlicht und ergreifend Rosenmontag vor der Tür.
Der Tag und die Zeit, die jene Gebiete Deutschland eh nicht verstehen, welche nie durch Napoleon Bonapartes Truppen besatzt waren, eben jenes exerzieren die Rheinländer als Parodie auf diese französische Besatzungszeit: mit französisch Uniformen, verkehrt herum auf dem Kopf gesetzten Kulturbeuteln (die sogenannte „Narrenkappe“) und dem „Stippefötsche“ (dem Po-an-Po-Tanz), der damals als eindeutig zweideutiger homoerotischer Gruß an die Besatzer zu verstehen war.
1991 war aber auch das Jahr, in dem der zweite Golfkrieg zwischen den alliierten Truppen und dem Irak ausgetragen wurde. Deutschland – frisch wieder vereinigt – beteiligte sich lediglich mit finanziellen Beihilfen am Krieg. Trotzdem grub der Krieg hier im Lande seine Spuren. Moralischen Instanzen verlangten von der Bevölkerung einen Ernst, der dem Sinn der närrischen Tage total entgegen lief.
„Wenn andere im Krieg sterben, können wir nicht feiern“ war der Leitspruch und die ultimative Keule vom moralischen Zeigefinger geführt, der das ganze karnevalistische Leben Deutschlands zum Erliegen brachte.
Nur die Kölner Bevölkerung quittierte dieses moralisierende Gebrabbel der Karnevaloffiziellen und -Nicht-Offiziellen mit einem „total ejal“ und führte die seit dem Ersten Weltkrieg verbotene Tradition des „Geisterzuges“ wieder ein.
Wider den militärischen Ernst.
Und ganz ohne Ordensverleihung einer Aachener Karnevalsgesellschaft …
Die Erinnerung an diesen offiziell verordneten Ernst wider den ausgelassenen Treiben von 1991 ist mir auch noch 17 Jahren stark in Erinnerung geblieben.
Vielleicht bin ich auch nur zu katholisch, als dass ich die Zeit vor der offiziell römisch-katholischen Lustlosigkeit (auch „Fastenzeit“ genannt) so verinnerlicht habe. Nicht-Katholen kennen dieses so ja nicht, da deren Einstellung wesentlich staatsräson-orientierter ist.
Karneval war (und ist) immer noch die letzte Möglichkeit vor der römisch-katholisch lustbereinigten Zeit die „Sau“ raus zu lassen. Denn einerseits gibt es dann ja den seelischen Fleckentferner in Form der Ohrenbeichte in jenen „Telefonzellen zum Himmel“ (Beichtstuhl). Und dann noch zum anderen die unverhüllt offene Drohung an neue Bekanntschaften, dass am Aschermittwoch eh alles gnadenlos vorbei sei.
Eine Fastenzeit wird erst dann zur gefühlten Fastenzeit, wenn jene Zeit in einem starken Kontrast zur Zeit vorher gesetzt werden kann. Wäre ich – wie die Mehrheit dieser Weltbewohner – arm und hungernd, dann wäre Fastenzeit für mich Normalzustand und nichts besonderes.
Jede Frühjahrsdiät erhält dadurch seinen Sinn, dass an Festtagen richtig geschlemmt und über Normal-Null gelebt wird. Fast wäre man geneigt zu sagen, die Hungernden dieser Welt sollten sich an Wohlstandbürgern mal ein Beispiel nehmen: Durch unsere Diäten haben wir uns Wohlbeleibte garantiert schon dutzendfach weggehungert, aber wir leben trotzdem noch.
Doch zurück zu dem Karneval und den moralischen Keulen unser Zeit.
Dürfen wir feiern, wenn andere von uns trauern?
Im Grunde hätte mit der Argumentation von 1991 jeder Karneval und jegliche Festivitäten in Folgejahren eingestellt werden müssen. Sack und Asche als Kleidung wäre dann unser Standard, wie Blut, Schweiß und Tränen der anderen.
Generell ist der frühest mögliche Termin für Rosenmontag der 2. Februar. Der spätest mögliche ist der 8. März.
Dieses Jahr ist der Rosenmontag der 4. Februar. Und bis dahin wird erstmal auf der Straße helaut und alaaft, was die Kehle zwischen zwei großen Schlucken Bier und Korn so hergibt.
Doch so einfach ist das dieses Jahr nicht.
Insbesondere nicht in München.
Am 27. Januar ist seit 1996 in Deutschland und seit 2005 weltweit der offizieller Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau). Ein Gedenktag. Kein offizieller Feiertag.
München hat seit 2006 einen Karnevalsumzug und der wurde damals immer auf zwei Sonntage vor Rosenmontag terminiert.
Fatal, fatal.
Da gibt es jetzt ganz heftige Einsprüche.
Karneval und Gedenktage zusammen? Geht das?
Insbesondere in München und dessen historische Vergangenheit in Sachen Nazi-Fackelmärsche, braune Ehrentempel usw.? Darf das sein?
Fatal, fatal.
Darf man lachen, während andere sich mit ernsten Gedanken umgeben? Wer muß auf wen Rücksicht nehmen? Insbesondere im erzkatholischen München? Darf man überhaupt lachen, wenn wer an Hitler denkt?
Nicht erst seit Roberto Benignis Film „La vita é bella“ („Das Leben ist schön“) wird intensiv darüber diskutiert, ob man lachen darf, während anderen überhaupt nicht zum Lachen zumute ist.
Das Leben ist unerbittlich und nimmt kaum Rücksicht auf historische Daten und die Belange Dritter.
Das Ende des deutschen Kaisertums, Hitlers gemeinsame Terroraktion mit Ludendorf, die Reichsprogromnacht, der Fall der DDR-Mauer und der offizielle deutsche Verkaufsstart des iPhones von Apple: Warum all diese Ereignisse auf den 9. November fallen, dass wird mir keiner wirklich schlüssig erklären können. Und warum keiner dafür Sorge getragen hat, dass sich solche wichtigen Ereignisse auf einen Tag türmen …
Warum ist das Schicksal so link und lässt meinen Vater am Hochzeitstag und Geburtstag meines Bruders sterben? Jetzt kann mein Bruder weder Hochzeitstag noch Geburtstag ohne Beigeschmack feiern. Und was mit dem Beigeschmack an jenem Tages bei meiner Mutter ist, da fragt ja eh keiner nach. Und dass an jenem Tag im Jahr 1974 beide deutsche Nationalmannschaften bei der WM ihr Spiel gewannen … hätten die damals überhaupt jubeln dürfen? Nun ja, ich hab’s getan. Dabei wurde an jenem Tag auch das KZ Auschwitz-Birkenau von den Nazis eröffnet.
Und jetzt?
Jetzt ist bald Karneval und es erhebt sich ein Geschrei wegen dem Karnevalsumzug in München. Und die Diskussion, ob man vergnügt sein darf, wenn andere einer ernsten Sache gedenken.
Vielleicht ist es aber auch nur so, dass da so eine Kettenreaktion aus diversen Befindlichkeiten abläuft.
Und sicherlich ist auch noch jemand dabei, der entweder ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom hat oder der das Zeilengeldgeld für einen Artikel braucht.
Eine gute Sache hat diese Diskussion aber allemal:
Demnächst werden sich erheblich mehr Menschen daran erinnern, dass der 27. Januar der Tag ist, an dem die rote Rote Armee die KZ-Häftlinge aus der tödlichen Bedrohung des Nazi-Gases befreit hatte. Und der 27. Januar wird dann als Holocaust-Gedenktag in den Gedanken der Menschen endlich mal verankert.
Karneval wird dann für das Datum zweitrangig bleiben.
C’est la vie …