Jeder Sender der »Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland« (auch bekannt unter der Abkürzung »ARD«) hat ihr Recht auf Sonntag-Abend-Unterhaltung. Da ist der bayrische ARD-Sender mit den Multi-Kulti-Herren Batić und Leitmayr. Oder da gibt es die pragmatische Lena Odenthal und ihr italiensisiert agierender Assistent Mario Koppe. Oder es ermitteln kongenial die Münsteraner Herren, bestehend aus dem konträr laxen Hamburgischen Kommisar Thiel und dem pseudo-preussisch korrekten Boerner. Oder dem Leipziger Duo Saalfeld-Wuttke mit Ex-Ehe-Verhältnis. Oder es ermittelt das Kölner Dreigestirn aus König (Max Ballauf), Bauer (Alfred Schenk) und Jungfrau (Franziska Lüttgenjohann) herum.
Den Ermittlern, bei denen es bislang das meiste Vergnügen beim Zuschauen gibt, sind einwandfrei die des Münsteraner Tatorts: Thiel und Boerner (geniales Zusammenspiel von Axel Prahl und Jan Josef Liefers, seit 2002). Dagegen dümpelt das Kölner Dreigestirn (Bär, Behrendt und Mittelstaedt, seit 1997) und das Leipziger Ermittlungsduo (Thomalla und Wuttke, seit 2008) den eigenen Anfangsfolgen und dessen ersten beachtlichen Tatort-Drehbüchern hinterher.
Leipziger und Kölner Tatort-Teams und die jeweiligen Drehbuch-Schreiber verfolgen deren eigene Philosophie, was die Beschreibung der Täter, Tatorte und deren Auflösungen angeht. In Leipzig stehen den beiden Ermittlern immer wieder deren ehemalige Ehe im Weg, im Kölner Tatort spricht das klassische Dreigestirn (s.o.), welches am Büdchen am Kölner Rhein vor Dom-Panorama ihre Curry-Wurst mit Köln vernichtet, allerdings selten zu dritt, sondern meist nur zu zweit vor dem Dom mit dem ewigen Ermittlerehepaar Ehemann Balauf und Single Schenk. Die Leipziger eher sachbezogen, die Kölner mit Emotionen.
Was beiden gemein ist, sind die schlechten Drehbücher der letzten Zeit. Was lag also für die ARD also näher, als mal beide ordentlich ein gemeinschaftliches Doping zu verordnen:
Ein Double-Feature zu Ostern.
Ostern hat zwei Feiertage und für den gerontologisch veranlagten Sender ARD heißt das zwei wichtige Sendeplätze nach der Tagesschau. Da momentan wohl Schreibflaute bei den Hera-Lind-Herz-Schmerz-Adepten der ARD herrscht, muss wohl irgendwer im Supermarkt ein Ü-Ei freigelegt haben. Eingedenk einer Rocky-Horror-Picture-Show-Wiederholung im privaten Freundeskreis vorm servilen Computer mit Dresscode »Hart bis Smart« hat wohl jemand bei der wöchentlichen ARD-Konferenz »Double-Picture-Show« in die Runde geworfen. Und WDR und MDR waren die ersten die freudig HIER riefen.
Und somit stand fest: Zu Ostern 2012 wird das Tatort-Publikum mit einer Double-Picture-Feature-Tatort-Show gemeuchelt.
Zuvor traten dann noch die Drehbuch-Schreiber mit einem »Offener Brief von 51 Tatort-Autoren« (u.a.a. Der bekannte Felix Huby) am 29. März in Erscheinung und erklärten, dass das Urheberrecht der Tatort der Moderne sei und vergleichbar mit Schwarzfahrern und Steuerhinterziehern sei. Dass damit belegt worden ist, dass Schwarzfahren (40 Euro plus staatsanwaltschaftliche Ermittlungen) und Steuerhinterziehungen (55 Cent Porto und Freispruch-Winkeladvogaten-Argumentation durch eigene Rechtsanwaltschaft a la Zumwinkel) gleich zu setzen sein könnten, entging wohl den meisten 08-15-Lesern. Denn die 51 Aufrechten der ARD-Drehbuchschreiber haben wohl auch Recht.
Denn wer schwarz fährt, hinterzieht eindeutig Mehrwertsteuer. Das ist brutal und moralisch nicht vertretbar. Unglaublich ist es, dass hierauf noch nicht die »Rübe-ab«-Strafe besteht. In Münchens Nahverkehrsmittel mit normalen Ticket zu 2,50 Euro für eine einfache, limitierte Innenstadtfahrt besteht die Steuerhinterziehung beispielsweise auf unglaubliche 47 Cent. Wenn das jeder Münchener (von Harz-4’ler bis Stadtviertelbesitzer in Luxuslimousine mit Chauffeur) einmal am Tage machen würde, dem Staate würde somit unglaubliche 47 Tausend Europro Tag entgehen! Das sind doch umgerechnet 17 Millionen Euro im Jahr! Solch potentiell mögliche Steuerhinterziehung sollte uns einwandfrei zu denken geben. Was sind da einzelne Steuerhinterzieher wert, die dann in Kitzbühel oder in der Schweiz oder Monaco leben?
Eben! NÜSCHT!
Und wenn dann 51 Tatort-Autoren klagen, auf ganz Deutschland umgerechnet 81 Millionen das wären 1,4 Milliarden Euro (damit wäre unsere so arg notleidende Bankerwirtschaft wieder wettbewerbsfähig!)
Also gut.
Irgendwelche der 51 Tatort-Autoren hatten sich also an diesem Ostern geklumpt und dem Kölner Dreigestirn und dem Leipziger-Allerlei ein Double-Feature verpasst. Die Leipziger mit den Kölnern am Oster-Sonntag, die Kölner mit den Leipzigern am Ostermontag.
Ich in meiner jugendlichen Unschuld dachte mir »Menno, das wird ein Fest!«, ich gedachte mir also beide heute dank ARD-Mediathek direkt hintereinander anzuschauen.
Ich tat es und muss sagen, manche Dialogfetzen waren richtig gut:
„Schon mal mit Abnehmen versucht?“ „Schon mal von Hartz 4 gelebt?“ aus dem Leipziger Tatort;
„Neue Wohnung, neuer 1 Euro Job.“ aus dem Kölner Tatort
.
Und es gab auch die Verbindungsglieder zwischen den beiden Tatorten
„Seit diesen amerikanischen Serien rennen alle Mörder mit scharfen Putzmitteln rum.“ Freddy Schenk im Leipziger Tatort
„Hier stinkt’s nach Putzmittel wie im Klo auf dem Präsidium.“ Freddy Schenk im Kölner Tatort
Auch eingedeutscht waren beide Tatort-Sendungen. Statt »DNA« wurde generell über »DNS« geredet (zur Erklärung: »DNA« bedeutet das gleiche wie »DNS«; das erstere ist lediglich eine englische Abkürzung, das zweitere die deutsche)
Und es wurde gerne dem Lokalkolorit gefolgt. Aber wer weiß schon in Leipzig, dass »Halve Hahn« lediglich ein Käsebrötchen ist. Daher auch die langen Blicke als Kriminalhauptkommissar Keppler Kriminalhauptkommissar Freddy Schenk den Broiler verzehren sah und selber auf sein nüchternes Käsedingens blickte.
Trotz diesen Sachen fiel auf, dass die beiden Tatorte nicht wirklich verzahnt waren. Es war eher ein Wettkampf der Kameraführung und der Drehbuchschreiber. WDR Kölner-Tatort-Philosophie gegen MDR Tatort-Philosophie
WDR gegen MDR?
Das ist freilich Quatsch. Denn im Abspann beider Folgen war folgendes zu lesen:
Buch: Jürgen Werner; Regie: Thomas Jauch; Leitung: Jens Laukner; Musik: Karim Sebastian Elias; Kamera: Clens Messow; Produzenten: Sonja Goslicki, Jan Kruse; Redaktion: Frank Tösmann, Sven Döbler
Namen sind hier erstmal Schall und Rauch. Jedoch für dieses Double-Feature galt:
Alle Beteiligte hinter der Kamera waren identisch für beide Produktionen. Es handelte sich also nur hinsichtlich der Einbindung der Schauspieler um einen Cross-Over-Tatort.
Im direkten Vergleich konnten primär nur die Darsteller gewinnen und verlieren. Gewinner in schauspielerischer Hinsicht war eindeutig Martin Wuttke. Nur das beste Tatort-Paar, war das Kölner Dreigestirn (geschuldet der Leistung von Fr. Thomalla hinsichtlich der für sie zugeschriebenen Rolle). Ansonsten versuchten die Leute hinter der Kamera, die jeweiligen Tatortverhältnisse zu IMITIEREN!
In welchem Verhältnis steht nun also das gesamte Produktionsteam zu dem Brief der 25 oben erwähnten Autoren? In keinem. Denn keiner des Double-Features war an jenem Brief beteiligt.
Erfreulich?
Vielleicht. Aber wenn der Leipziger Tatort sich an einer Konfrontation zweier Ermittlungsteams »Köln« und »Leipzig« versucht, dann aber in den letzten zehn Minuten schnell in WHODUNIT-Fahrwasser abgleitet, um den Tatort-Erfordernissen gerecht zu werden (Mörder gesteht unter bösen Blicken der Ermittler, betont aber, er hätte lediglich nur zu fest den Hals des Opfers gedrückt
nichts neues unter der Krimi-Sonne
), dann ist es die erste Bankrott-Erklärung für ein löbliches Vorhaben. Wenn zudem der Kölner Tatort gezielt auf das abzielt, was gerade bei der WDR-Oberredaktion angesagt ist, dann wird es zuschauervergewaltigend.
Beispielhaft steht hierfür der folgende Dialogfetzen des »Kölner Tatorts«:
„Lassen Sie es, Herr Ballauf, Sie haben nicht die geringste Ahnung wie man sich fühlt, wenn sie eigene Tochter plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist und die Leute einem sagen, man solle zur Tageordnung über gehen.“
[…]
„Was – Herr Gott nochmal – tut Ihnen eigentlich Leid?“
Gekünstelt gekochte Emotionen. Das, wovon der Zuschauer der nachmittäglichen »scripted reality« permanent ertränkt wird. Voraussetzt, sollte der Zuschauer es denn ertragen, und durchblicken, die Phantasie arbeitsloser Drehbuchschreiber aus besseren Pseudo-Gesellschaften mit sterilisiertem und homogenisiertem Redaktionsa-Analphabetenwissen zugeschmissen zu werden.
Es ist das, was momentan beim WDR-Fernsehen so hoch im Kurs steht: Den Zuschauer mit Emotionen zuschütten, aber Wissen zu verweigern. Hauptsache Emotionen, Emotionen, Emotionen (s.a. »Occupy WDR« bei den http://www.nachdenkseiten.de; leider keine Fiktion, sondern komplett nachvollziehbar für Seher und Hörer der WDR-Programme).
Vordergründig bleibt am Ende vom Double-Feature die Frage: Warum umarmen sich diejenigen im Tatort, die sich vorher nie gesehen hatten, während die eigentlichen Retter atemlos daneben stehen? Klar, es ist auch logisch: umarmen tun sich immer nur Frauen im Tatort (hier die Kommissarin, dort das Opfer, welche sich nicht kannten).
Emotionen, Emotionen, Emotionen.
Alles andere würde innerhalb der Tatort-Logik einen neuen Plot heraufbeschwören. So a la Kommissar und Täterin oder so. Diskussionen, Diskussionen, Diskussionen. Und das ist beim WDR wie beim MDR nicht wirklich erwünscht.
Doch zurück zu den 51 Autoren und deren Wunsch nach Schutz:
Gerade die beiden Oster-Folgen sprachen eine andere Sprache. Sie waren NICHT schützenswert im Sinne der 51 Autoren. Vielmehr sollte da jemand (d.h. Die Rechtsabteilung) aufpassen, dass nicht wer meinen könnte, die beiden Folgen wären dramaturgisch abgeschrieben. Insbesondere der »Kölner Tatort« erinnerte vom Verlauf her doch verdammt an den Film »The Cell« mit Jennifer Lopez (vom Verlauf der Rahmenhandlung nicht vom Inhalt!). Nein, ich behaupte nicht, er wäre 1:1 abgekupfert. Aber wer »The Cell« gesehen hatte, der wusste schon am Anfang was am Ende geschehen würde und die Spannung war für die vier Buchstaben (= verlängerter Rücken). Auch der Leipziger Plot war mir nicht unbekannt und wenn ich mich wieder erinnere, wo er zum ersten Male gespielt wurde, werde ich es hier anfügen. Der Plot war keine Neu-Nummer, sondern eher das ganze im Gegentum.
Dass der Kölner Teil »Ihr Kinderlein kommet« hieß, muss wohl der Patschnasse eines aufstrebenden WDR-Comedians entsprungen sein (wahrscheinlich zur Weihnachszeit 2011) und hatte mit dem Plot so viel gemein wie Glühwein im Sommer. Da war der Leipziger Titel »Kinderland« erheblich besser. Beiden Titel ist gemein, dass sie keine rechtlich geschützten Titel sind und somit nicht diametral den Forderungen der 51 entgegen stehen.
Trotzdem, dieses Double-Feature war alles in allem kein Ruhmesblatt und wirft Fragen auf, was die 51 Autoren zu dem Double-Feature gedacht haben. Vielleicht kamen denen ein wenig Dolchstoß-Gedanken. Vielleicht haben aber auch einige der 51 Autoren erschrocken gezuckt, als sie feststellten, was sie selber bereits geschrieben hatten. Aber da war es vielleicht eher der zuckende Gedanke des vollzogenene Ideen-Recyclings statt des eigentlichen Urheberschutzgedankens …