Zum Heulen oder zum Heulen schön?

Da kommt ein Freund vorbei und legt mir ne CD hin.
„Hör dir das mal an!“
Ich starre auf das Cover.
William Shatner „Has been“.

Nun ja.
Eigentlich kenne ich William Shatner nur als „Captain Kirk“, der mit „Spock“, „Pille“ und „Scotty“ unendliche Weiten im Weltall durchwanderte und dahin ging, wo kein Mensch zuvor gewandert war. Vorzugsweise war das damals in den 70er als ZDF-Konkurrenzprogramm der ARD-„Sportschau“. Ich konnte nur immer Happen der Serie sehen, weil da immer zwei waren, die einfach umschalteten.
„Schalt diesen Quatsch ab! Wir wollen „Sportschau“ sehen!“

Der „Sportschau“-Imperativ eines Sonntag abends in den 70ern. Danach hatte sich das Abendessen zu richten.
Und wenn dann die Netzers, Breitners, Beckenbauers wieder in ihren Umkleidekabinen befanden und die Ernst Hubertis mit strengem ordentlich sauber gelegtem Linksscheitel ernsthaft alles zu Ende analysiert hatten, dann wurde das Programm endlich umgestellt. Aber dann lief bereits „heute“ und Kirk und Co. waren in den unendlichen Weiten des Fernsehweltalls entschwunden.

In den 90ern konnte ich dann mit einem eigenen Fernseher und Muße mir alle verpassten Folgen nachträglich reinziehen. Dutzend Male der Satz „Er ist tot, Jim“ oder „Ich bin Arzt und nicht Schiffsingenieur“ oder „Ay, ay, Sir“ oder „Faszinierend“.
Oder wer kennt die lustige Serie mit dem „Tribbles“, jene Wuschelwesen, die die ganze Raumschiffbesatzung zum Knuddelwahnsinn trieben?
Oder als Kirk ins Raumschiffprotokoll ein entnervtes „Der Computer spinnt“ abgab, weil dieser Schiffscomputer plötzlich seine weibliche Seite entdeckte und mit Kirk flirten wollte?
Selbst jene in Deutschland nie ausgestrahlte Folge als Kirk und Co in Nazi-Uniformen durch die Szenerie marschierten, sah ich viel später.

Und jetzt lag da diese CD vor mir.
William Shatner „Has been“.

Das vulkanische Spitzohr „Mr. Spock“ (Leonard Nimoy) hatte gleiches auch mal versucht und gruseliges Lachen bei seinen Fans ausgelöst. Selbst William Shatner hatte sich vor knapp 40 Jahren als Musiker versucht gehabt und durfte sich des Mantels der Verschwiegenheit der Musikgeschichte sicher sein.

Mag Shatner auch ein Schauspieler sein, der inzwischen verdientermaßen genügend Nominierungen für die „Goldene Himbeere“ abgestaubt hat, so ist er nicht unbeliebt.
Er ist unsere Vergangenheit der Kindheit, der in „Yehaw“-Cowboy-Manier für uns dahin ging, wovon wir immer träumten: Jede dritte Seriefolge eine neue Frau abgeschleppt, egal ob grün, gelb oder mit Schwanzflosse. Jede dritte Serienfolge den Draufgänger spielend. Und jede dritte Serie der verständnisvolle Mann.
Unser Held.

Und jetzt die CD.
Die CD ist schon älter. Offenbar 2004 erschienen. Zögernd schiebe ich sie ins Laufwerk, Kopfhörer auf und den PLAY-Knopf des Players gedrückt.

Nun, ernsthaft. Ohne grundlegende Englisch-Kenntnisse geht es bei der Musik doch nicht. Wer kein Englisch versteht, der braucht sich die CD gar nicht erst zu Gemüte führen, denn es entgeht ihm mehr als nur die Hälfte.

Es fängt mit der Cover-Version von PULP an.
Ich wackle mit den Ohren unter dem Kopfhörer. Verdammt, was hat Shatner denn da gemacht?!
Er singt nicht wirklich zu der Musik. Er schauspielert den Text! Der Text ist dabei nicht unwichtig, wenn Shatner textlich Geschwindigkeit aufnimmt und am Ende dann die Bremse auch textlich angepasst zieht. Der Inhalt des Textes (für die, die ihn nicht kennen): Mann trifft Frau aus Griechenland und sie erklärt, dass sie ein ganz normales Leben führen möchte und mit ganz normalen Menschen schlafen möchte. Und er fragt sie verdattert, ob sie wirklich ernsthaft das tun möchte, mit gewöhnlichen Menschen zu schlafen. Was bei Pulps „Common People“ wie ein selbsterklärtes zynisches Lebensmotto einer Frau daher kommt, fährt durch Shatner als prominenter Schauspieler auf der Schiene „Person des öffentlichen Lebens ist überrascht, wie normal das Leben einfacher Menschen sein kann“.

Und diese Selbstironie mit einem eigenartigem Spott pflanzt sich durch die ganze CD hindurch. Geht auch über Tragik und Selbstkritik ohne jede Peinlichkeit.
„Common People“ (begleitet durch Joe Jacksons Gesangstimme) ist übrigens die einzige Cover-Version auf dieser CD. Der Rest kommt aus Ben Folds Feder.

Und um gleich alle Befürchtungen zu zerstreuen. Shatner imitiert nicht mal singen. Er singt auch nicht wirklich. Er spricht den Text zur Musik. Oder neu-deutsch ausgedrückt: Er perfomed die Texte mit einem unheimlichen musikalischen Drive, ohne wirklich zu singen.

Die CD „Has been“ („War gewesen“) ist faszinierend und definitiv kein Müll.
Sie ist sicherlich der Versuch Shatners sich ein eigenes musikalisches Denkmal zu setzen. Und auch wenn es wohl möglich niemand mitbekommen hat, meiner Meinung nach hat er es geschafft.

Aber vor allem ist diese CD ein erneuter Versuch von William Shatner, sich dagegen zu wehren, dass in ihm alle nur den „Captain Kirk“ sehen. Auf einer „Startreck-Convention“ (regelmäßige Treffen von Raumschiff Enterprise-Fans) war er mal zu Besuch und hatte dem Publikum ein wütendes „Get a life!“ („Lebt endlich!“) entgegen geschleudert, als diese ihn seine Rolle des Captain Kirks auf ihn persönlich gänzlich überstülpen wollten und den Kosmos des Raumschiff Enterprise als real existierend voraussetzten. Die Trekkies nahmen ihm das übel, dass er sich so einfach seiner „Captain Kirk“-Rolle entledigen wollte.
Im letzten Lied REAL („Wirklich“) seiner CD „Has been“ sagt er dann auch:

„Ich habe die Welt in den Filmen gerettet […] Und während ein Teil von mir in dem Kerl ist, den du da oben auf der Leinwand gesehen hast, ich bin noch so viel mehr [..] Ich würde der Welt so gerne bei all ihren Problemen helfen, aber ich bin ein Unterhalter und das ist alles. Also, wenn beim nächsten Mal ein Asteroid oder eine Umweltkatastrophe passiert, dann fühle ich mich geehrt wenn du an mich denkst, aber ich bin es nicht, den du dann rufen musst. [… ]… Entschuldige, dass ich dich enttäuschen muss, aber ich existiere wirklich.“

Tja, Mister Shatner, dann will ich es mal versuchen.
Die CD ist zu Ende.
Ich bin positiv überrascht. Die Schublade vom CD-Player fährt raus und ich stecke sie zurück in ihre Hülle. Sie ist nicht das Meisterwerk des Jahrhunderts, aber doch ein verdammt gutes Kleinod der Pop-Geschichte aus der Ecke „Schauspieler versuchen sich als Musiker“.

Vorsichtig trage ich sie zu meinem Startreck-Schrein, öffne diesen und lege sie sorgsam zu den anderen Devotionalien, die ich inzwischen zusammen getragen habe:
Zu dem originalen Phaser, zu dem Spitzohr-Imitat, zu dem Communikatoren, den 6 Tribbles, dem Klingonen-Schwert und den baijurasischen Fix-Rebubator und den anderen Startreck-Kleinigkeiten, die ich mittlerweile bei Ebay ersteigert habe.
Langsam schliesse ich den Schrein wieder, verneige mich dreimal ehrfürchtig und murmel leise aber bestimmt:
„Captain Kirk, du bist genial!“
Dann gehe ich zu meinem bunt erleuchteten Ecke, schaue zum Schaltpult mit der lebensgroßen Startreck-Puppe und sage den alles entscheidenden Satz:

„Scott me up, Beamie!“

und es schloss sich der Vorhang der CD-Kritik …

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„Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“