Mein Traum vom Traumjob ist der Job, wo ich nachher nicht schäume. Weder vor Wut noch wo andere schaumschlagend um mich herum sind. Das Leben ist viel zu lang für solchen Mist.
Nach der obigen Jobofferte auf der Flügelbenzfahrt (siehe Eintrag von gestern, Teil 1) erhielt ich immer wieder spontane Jobofferten merk-würdiger Art. Sei es als Eckensteher mit Papier in den Händen für die Verleger des „Wachturms“, sei es als Model.
Sic! Das letztere kam auch bei mir vor.
Nur als dann der Satz fiel, ich müsse 300 Mark für die Erstellung der Set-Card mitbringen, um dann die Chancen für die Buchungen durch großen internationale Modeagenturen zu erhalten. Ich hätte sozusagen das, was der Flügelbenzfahrer mir hinten reinschieben hätte wollen, in der Model-Agentur vorne abgeben müssen. … der Verdauungsvorgang des dreckigen Geldes mal ganz besonders appetitlich hier für euch beschrieben … man gönnt sich ja sonst nichts …
Abgesehen davon muß ich hier gestehen, dass mit der Model-Agentur fünf Jahre vor dem Flügelbenzfahrerangebot statt fand. Hätte ich das eine angenommen, hätte ich das andere garantiert zur Schuldentilgung gebraucht.
Ich war aber ledig, jung und hatte das Geld nicht.
Und dann kam dieser Mittdreissiger auf mich zu. Eine meiner Freundinnen hatte ihm meine Telefonnummer gesteckt und mich auch gleich davon unterrichtet, dass da jemand auf mich zu käme, der eventuell einen Job für mich hätte.
So kam denn auch der Anruf. Der Mann war von der „Allianz“-Versicherung. Am Telefon fragt er mich dies und jenes, unsere gemeinsame Freundin immer wieder als verbindendes Glied verwendend. Als er meine Bereitschaft nach einem Gelderwerb erfragt hatte und auch noch von meinem Studium erfuhr, da fiel der entscheidende Satz, den ich im vorherigen Post schon zitierte.
Wissen Sie, mir paßt es nicht, dass Sie studieren. Kommen Sie doch mal zu einem Bewerbungsgespräch bei mir vorbei. Wie wär es nächsten Montag 10 Uhr?
Super. Da gefiel einem also jemand meine momentane Tätigkeit und wollte mich da unbedingt raus haben?
Na. Der war mir in dem Moment so etwas von sympathisch geworden. Aber Bewerbungsgespräche sind okay, wenn man selber die eigene Entscheidung schon vorher weiß. Eine bessere Trainingsmöglichkeit für Bewerbungsgespräche gibt es nicht. Man muss nur am Schluss den Punkt abpassen, den richtigen Absprung zu finden, ohne den gegenüber vor dem Kopf zu stoßen.
So kreuzte ich also am Montag um 10 in der persönlichen Allianz-Arena des Versicherungsagenten auf. Obwohl das Büro sich in einer 1/4-Millionen-Einwohner Stadt befand, atmete es genau den gleichen biederen Charme, wie ich ihn auch aus Kuhkäffern kenne, jenen 5000-und-ein-paar-Zerquetschte-Einwohner-Dörfer (… besonders nach den illegalen jugendlichen Autowettrennen …).
Kaffee und Kekse warteten auf meine Finger und ein Wasserspender stand direkt neben dem Flipchart, auf dem nur ein Wort geschrieben war
ALLIANZ.
Das muss wohl von einer Brainstorming-Sitzung übrig geblieben sein …
Nun ja. Mein Gegenüber fing dann an mir zu erklären, was mein Job sei und wohin ich kommen könne:
Im ersten Jahr wäre ich auf der untersten Stufe und würde auf provisionsbasis Versicherungen verkaufen. Pro Versicherungspolice würde ich 500 Mark Prämie erhalten. Somit könnte ich mir mein Monatseinkommen selber bestimmen. 2000 Mark im Monat seien locker drinne, was lediglich bedeute, eine Police pro Woche zu verkaufen. Nur eine pro Woche, meinte er, mehr nicht. Das sei kein Stress.
Dann könne (er sprach im Konjunktiv!) ich im nächsten Jahr bei entsprechenden Erfolg, die Betreuung von drei bis vier Mitarbeitern der Stufe 1 übernehmen. Dieses würde mir eine zusätzliche Summe X bringen, zusätzlich zu den Versicherungsprämien, die ich eh durch den Policeverkauf erwirtschaften würde.
Ein weiteres Jahr später könne ich dann in die Stufe 3 aufsteigen. Ich wäre regionaler Leiter und hätte die Mitarbeiter der unteren Stufe unter mir zu betreuen. In der Stufe 3 bräuchte ich dann keine Versicherung mehr zu verkaufen, sondern würde lediglich den Verkauf organisieren. Übersetzt hieß das wohl, Mitarbeiter rekrutieren und die eigenen Chefs zu befriedigen. Mein Gehalt würde sich aus einem Grundgehalt und aus Erfolgsprämien zusammensetzen.
Danach käme die Stufe 4 und 5 mit der Betreuung und Organisation erheblich größerer Gebiete von Bezirks- bis zur Kreisebene. Entsprechend stiege auch das Gehalt.
Und dann, so meinte er, dann käme die Stufe 6. Und dann hätte ich keine Sorge mehr wegen dem Auskommen mit meinem Einkommen. Ja, vielmehr käme ich dann in Regionen, wo andere schon in Mäzentum (sic!) übergehen.
„Und dann“, so fuhr er fort, „dann erhalten Sie von den Oberen ein einmaliges Geschenk. Ein Unikat. Eine extra für Sie hergestellte Schweizer Uhr. Und wissen Sie wofür die dient?“
Ich wollte erst antworten „Zum Zeitablesen“, aber die Antwort erschien mir dann doch ein wenig zu profan. Also schüttelte ich folgsam verneinend meinen Kopf.
„Sollten Sie mal auf Dienstreise oder im Urlaub sein, und Sie würden überfallen und komplett ausgeraubt, dann ist diese Uhr ihr garantiertes Rück-Ticket nach Hause. Die Uhr hat einen Wert über 7000 D-Mark!“
Vor meinem geistigen Auge sah ich mich in Brasilien in Rio de Janeiro am Strand mit jenem Unikat an dem Handgelenk und meinen ganzen Reisepapieren und Urlaubsgeld in der Hosentasche:
Ein Dieb tritt mit einer silbernen Magnum auf mich zu und folgsam überreiche ich ihm mein Geld. Die Uhr überlässt er mir gönnerhaft, schließlich ist er natürlich besorgt, dass ich wieder zurück nach Hause fliegen kann.
Oder jemand durchwühlt mein Hotelzimmer und findet das Versteck oder bricht den Hotelsafe auf, wo ich Urlaubsgeld, Reisepapiere und jene Uhr aufbewahre. Ich komme wieder und finde neben meiner Uhr einen Zettel „Ich habe ihre Uhr da gelassen, damit sie noch nach Hause können.“
Ich sah den Versicherungsmann vor mir an und zweifelte ein wenig an seinem Verstand. Zudem gab es auch damals schon so etwas wie AmEx und eine Garantie bei Diebstahl oder Verlust. Und wenn ich mir um das gehalt keine Gedanken mehr machen müsste, dann hätte ich auch eine AmEx Gold. Das war mir klar. Um aus einem fernen Land zurück zu kommen, benötigte ich am allerwenigsten eine Uhr. Und den Rest übernähme in der Heimat die Diebstahlversicherung.
Der ALLIANZ-Mensch redete weiter, aber ich hörte ihm gar nicht mehr zu. Aber aufgeben, das war für ihn ein Fremdwort. Er holte sich dann noch gewissermaßen einen „Zeugen der Anklage“ herein. Einen freiwilligen Mitarbeiter der Stufe 1. Vor mir stand auf einmal ein verschüchterter Junge von vielleicht 16 Jahren und stellte sich vor. Er sei Koch in der Ausbildung in einem Hotel und verkaufe nebenberuflich Versicherungen und verdiene gut.
Ich fragte ihn, ob er in seiner Ausbildung beim Hotel wohne. Er bejahte. Ich setzte nach. Er würde doch sicherlich mehr als nur 40 Stunden die Woche arbeiten, nur einen Tag die Woche frei haben und selbst an so einem Tag stehe er dem willkürlichem Abruf bereit.
Er nickte zustimmend.
Wenn er dann noch eine Versicherung pro Woche verkaufen müsse, und so ein Verkaufsgespräch sei keine Sache von ein, zwei Stunden, dann hätte er doch überhaupt keine Freizeit mehr.
Der Junge schluckte betroffen angesichts dieser Feststellung. Er war wortlos.
Der ALLIANZ-Mann erkannte die Situation sofort und verabschiedete das sprachlose Köchlein in spe. Er ging danach auch gar nicht mehr auf den Jungen ein, sondern lenkte sofort wieder in eine Richtung, welche eine Zukunft in einem Land verhieß, wo die Smarties durch die Luft fliegen, die 100-D-Mark-Scheine nur so an den Bäumen wachsen und sonst so alles paletti sei.
Für mich war klar, dass das Gespräch vorbei war. Erstens war die Kaffeekanne leer, zweitens die Keckse von mir weggefressen und drittens sowieso.
Ich verabschiedete mich mit einem breiten Lächeln und einem NJET zu dem Jobangebot. Als ich gegen 12 wieder auf die Straße trat, wusste ich, welche Branche mir generell nicht zusagen würde. Dann doch lieber den Flügelbenzfahrer. Der war wenigstens ehrlich mit dem, was er wollte. Der hatte nicht permanent auf das Geld, was ich verdienen hätte können, herum geritten.
Und sicherlich, bei einer „Kapitalisierung“ (meinen Dank, an Prinz Rupi für diese gelungene Umschreibung) meiner damaligen Beliebtheit bei Männern, hätte ich mir dieses Schweizer Uhrenunikat selber kaufen können.
Auch ohne ALLIANZ-Versicherung.
Und das mit dem Verkaufen von Versicherungspolicen (sprich: Klinkenputzen) wäre eh nicht mein Ressort gewesen. Ich muss dabei eh immer nur an einen ALLIANZ-Spruch denken:
Der Sponti steht am Grab und kichert, seine Frau war ALLIANZ versichert …
Für solche Jobs ist mir mein Leben doch ein wenig zu lang und zu schade. Jedem das seine, aber mir keinen Versicherungsjob. Außer …
Außer …
Ja, außer …
Mein Traum vom Traumjob ist der Job, wo ich dafür bezahlt werde, dass ich garantiert nicht in der Firma auftauche, geschweige denn einen Finger krümme. Natürlich inklusive der Drohklausel im Vertrag, dass, wenn ich in der Firma auftauche, entsprechend Lohnabzüge erhalte.
Ein schöner Traum.
Aber für sachdienliche Hinweise für einen Job in dieser Richtung bin ich immer dankbar. Dafür schäum ich sogar vor Begeisterung …
Und Banker!
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Stimmt. Ich hätte Versicherungswesen, Bankenwesen oder so studieren sollen. Dann hätten die damaligen Straßenjungs von Ipanema mehr als nur jene 50 Euro (inkl. meiner 50-Euro-Uhr und Hose) von mir dort erbeutet. :> Das Ergebnis wäre das gleiche gewesen: ich hätte jedes mal zu Fuß mit Strandlaken und Havainas zurück nach Catete zurück gemußt … :>
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Es gibt wenige, die ich wirklich nicht wirklich bei mir zu Haus haben möchte. Diese Vertreter gehören dazu.
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Das ganze Werbeprozedere vom Allianz-Mann erinnerte mich nachher so an einen faustischen Pakt: Man verkauft seine Seele. Wer es mag, meinetwegen. Aber ich rate niemanden dazu. Und meine Meinung über diese Berufssparte wurde auch nicht wirklich besser …
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Wie würden Frauen hier treffend sagen? Die Größe macht da keinen Unterschied … :>
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Stimmt wohl. Denn da war noch ein entscheidender Unterschied: Während für dem Flügelbenz mein „Nein“ voll akzeptiert wurde, hatte der Allianz-Experte das erstmal null akzeptiert. Ich denke der letztere wollte mich um jeden Preis f…, :> äh, für seine Ziele haben … :>
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Nette Polemik gegen die Arbeit an sich und solche Jobs… Du wirst sehen, daß Arbeit auch Spaß machen kann, wenn Du schön fleißig studierst… und letztendlich eine realistische Möglichkeit, die Basis für den von Dir erträumten Überfall am Strand von Rio de Janeiro zu schaffen…
Strukturvertrieb – ich könnte brechen.
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Danke für den Bericht. Diese Versicherungsvertreter sind wirklich das Hinterletzte, und die Obristen der Zunft tun alles, damit dieses Image bestehen bleibt.
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Ach ja, der Traum vom Traumjob…
Meine Ex-Freundin wurde übrigens mit den gleichen Sprüchen geködert, zum Glück hat sie den Kram nicht angenommen!
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Passt ja ziemlich gut zu meiner Erfahrung am Dienstag….
Nur die Versicherung war nicht die größte, sondern zweitgrößte. :)
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Ich lese mit großem Vergnügen und auch mit Bestürzung. Denn in der Branche hat sich nichts geändert, außer der Tatsache, dass die Berater geschult werden müssen.
DER gefällt mir am besten – denn geritten wäre der Mann ja schon sehr gerne – allerdings nicht auf Worten ;)
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