Rock oder Demo – das ist hier die Frage …

Ich stirrte in meine Fanta. Die dritte des heutigen Abends.
Das Wetter war nicht überwältigend und der Wirt hatte eine Stimmung, wie in einem Zisterzienser Kloster. Wenn man dann auf zwei Meter Umkreis allein am Tresen steht, dann kann das schon recht hart sein.
Nach der zweiten Fanta brummelte er mich an:

„Kein Kölsch heute?“

Ich verneinte.
Aus den Lautsprechern drang ein vereinsamtes „Malagueña Solerosa“.

„Heute war der ideale Tag für ‚Rock am Ring‘.“

Das mit den „zwei Metern Umkreis“ stimmte nicht wirklich.
Er stand knappe eins zehn von mir entfernt und starrte in sein Kölschglas.

„Warum waren Sie dann nicht da?“
„Ich hatte eine Einladung für Heiligendamm.“
„Da wo die G8er sich bei den Krawallen getroffen haben?“
„Nein. Wo sich die Krawaller bei den G8ern getroffen haben.“
„Am Zaun?“
„Nein. Am Affenkäfig.“
„Na, das war jetzt aber nicht fein.“
„Trinken Sie Ihre Fanta und werden Sie glücklich.“

Er brummelte noch etwas und nahm ein Schluck aus seinem Kölschglas.

„Wären Sie jetzt lieber beim ‚Rock am Ring‘ oder am Zaun von ‚Heiligendamm‘?“

Er schaute mich an.

„Heiligendamm.“
„Sie sind politisch?“
„Nein, aber die Mädels bei der Demo sind lockerer drauf. Bei ‚Rock am Ring‘ kommen die Mädels immer nur mit ihrem Freund.“
„Also sind Sie nur Zweck-Demonstrant?“

Er schaute in sein Kölschglas.

„Sie trinken Fanta?“

Ich nickte.

„Die politischen Mädels sind promuskuitiver, als man gemeinhin glaubt.“
„Die sind was?“
„Die besten Erlebnisse waren mit Mädels von Demos.“
„Die besten?“

Er nahm einen Schluck aus seinem Kölschglas.

„Wenn es die besten waren, sind Sie im Grunde doch lediglich ein Mitläufer.“
„Na und?“
„Für Mitläufer wurde aber das Demonstrationsrecht aber nicht geschaffen.“
„Aber für Mitdenker.“
„Mitdenker?“
„Ja, bei ‚Rock am Ring‘ finden sich nicht mal halb so viel attraktive junge Mädels. Das findet man erst raus, wenn man mit denkt.“

Verwirrt leerte ich meine Fanta.

„Was hat Politik mit attraktiven jungen Mädels zu tun?“
„Damals viel. Heute weniger.“
„Damals?“
„Wissen Sie noch. Wir, die 300.000 Demonstranten in Bonn auf den Rheinwiesen! Vorne BAP. Und wir hinten am Feiern.“
„Aber das waren doch nur Alpacka-Pullover-Mädels.“
„Stimmt.“

Er bestellte zwei Kölsch. Eins für sich und das andere für mich.

„Das stimmt“, nickte er nochmals.
„Die sahen damals alle so aus, wie die Merkel vor derer Wahl bis heute ausschaute.“
„Hm. Und wie?“
„Wie? Halt politisch. Politik hat nichts mit Ästethik zu tun. Halt rein funktional.“
„Aha.“

Mir fiel nichts mehr ein.
Funktionale Mädels? Findet man die nicht mit der roten Laterne in der Hand am Ende der Straße des Gesellschaftszug auf deren gezogenen Moralstrichen?
Er schien meine Gedanken zu erraten.

„Ich hatte das beste Erlebnis mit einer kommunistischen Frau. Wir hatten eine rauschende Nacht. Direkt nach der Demo.“
„Sah sie aus wie Merkel?“

Er überhörte meine Ironie.

„Die rechten Mädels taugen so oder so nicht. Die sind total zugenäht. Im Kopf und auch unten.“

Er nahm gedankenverloren sein Kölsch in die rechte Hand.

„Die Linken sind dabei anders.“

Er nahm ein Schluck aus dem Glas und umschloss es zusätzlich noch mit seiner anderen Hand.

„Danach war ich bei einem Rockpalast auf dem Lorelei-Felsen. Auch mit BAP.“

Ich nahm einen Schluck Kölsch.

„Aber dort waren die Mädels entweder Hardrocker-Bräute oder Grüne mit Pippi in der Rinne.“

Beinahe hätte ich mich verschluckt.
Vor Lachen.
Nicht vor Empörung.

„Aber die Mädels waren lediglich heftig am Jubeln. Selbst bei dem letzten TAKE THAT-Konzert in Frankfurt waren die Mädels nur am Kreischen. Aber selbst da war mehr auch nicht.“

Prost. Noch ein Schluck Kölsch für mich dem Zuhörer.
Aber ein Frage lag mir noch auf der Zunge.

„Und warum waren Sie jetzt nicht bei der Demo in Rostock?“

Er schüttelte den Kopf.

„Mit Steinen von felsenfest überzeugten Menschen erschlagen werden?“
„Man muss doch für seine Ãœberzeugung einstehen, oder. Und zudem war die Hauptdemo friedlich.“
„Aber ebenso wie die internationalen Gewalttäter waren die Zehntausend wirkunsvoll wie eine Träne im Ozean.“

Er wurde mir doch ein wenig zu prosaisch.
Ich bestellte mir derweil beim Zisterzienser Abt ein Pils-Schuss, sprich ein Veltins mit einem Schuss Malzbier.
Er beugt sich verschwörend zu mir rüber.

„Die Gewalttäter waren wirkungsvoller. Jeder redet über sie. Sogar die Polizei intern.“
„Die Welt lebt von schlechten Nachrichten. Only bad news are good news.“
„Und wissen Sie was das Geheimnis ist, warum ich heute hier bin?“
„Sie haben Ihr ‚Rock am Ring‘-Ticket verloren und kein DB-Ticket mehr für Rostock erhalten.“

Er schaute mich mit halb zugezogenen Lidern böse an, ergriff sein Köschglas und brummte, bevor er mit seinem halb gefülltem Kölschglas für den Rest des Abends verschmolz:

„Nein, ich habe mich gestern Abend in der Disko mit einem zwanzigjährigem Modell hier und heute verabredet. Und wissen Sie was? Das junge Gör hat mich versetzt!“

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