Kneipengespräch: Sekt oder Selters

– Glaubst du, wir stehen am Abgrund?
– Geh doch mal nen Schritt weiter.

Nicht immer ist es sinnvoll, hemmungslos Kölsch zu trinken. Besonders dann nicht, wenn der eigene Blick gespannt auf dem Kneipenfernsehschirm über den Köpfen der Gäste schaut.
Die Ziehung der Lotto-Zahlen als Strohhalm der eigenen Hoffnung.

– Wenn ich jetzt gewinne, dann kann mich die Börse. Wenn …
– … das Wörtchen „wenn“ nicht wär, wär ich längst schon Millionär.

Aus seine Blicke schießen Pfeile und fliegen mir um die Ohren. Ich sag nichts und nippe an mein Wasser. Nicht nur ich trinke Wasser. Der Wirt meinte spöttisch zu uns beide „Synchronwassertrinker“ und schob uns seinen „Überkinger“ rüber.
Mit dem ersten Schluck hatte ich meine Entscheidung für Wasser bereut. Das Wasser schmeckte eindeutig salzig. Die Wasser-Produzent-Firma nennt ihr Wässerchen „Überkinger Sport“. Mehr Mineralien, mehr Energie, mehr Ausdauer.
Klar.
Erdinger nennt sein alkoholfreies Weißbier auch ihr kühles, isotonisches Alkoholfrei für mehr Leistung und mehr Regeneration.
Auf sowas müssen die Kölsch-Brauereien mal kommen.
Konstruktive Markenmanagement.

– Wenn ich den 6er im Lotto mach, geb ich ne Lokalrunde.

Ja, er scheint heute seinen großzügigen Tag zu haben. Da bleibt nur der Konter.

– Und wenn ich nen 6er plus Zusatzzahl heute mach, dann kriegst du von mir auch Erdnüsse extra. Persönlich.

Wieder diese Blicke.
Na ja.

– Wenn ich daran denke, wie sich momentan die Börse überschlägt. Ich denk nicht gerne dran.
– Die hohe Kunst der Wertvernichtung.
– Meine Firma macht demnächst 14 Tage zu.

Der Satz kam so beiläufig, dass ich ihn prüfend anschaute.

– Die Leute kaufen nicht mehr. Totale Verunsicherung. Die versuchen erstmal deren Geld ins Trockene zu bringen.
– Vielleicht hat die Finanzkrise ja was gutes wenigstens für mich. Sollte meine Bank dabei bankrott gehen, vielleicht muss ich ja meinen Kredit nicht mehr zurück zahlen.

Er schüttelte den Kopf.

– Vor einiger Zeit war mir der Dax-Wert noch das Fieberthermometer der Beschäftigungszahlen. Je höher der Dax, desto weniger Beschäftigte, desto mehr Arbeitslose. Weil bei den Gewinnen immer mehr rationalisiert wurde, um noch mehr Gewinne mit Luftgeschäften zu machen.

Ich nippte nachdenklich an mein Wasser. Salz auf meinen Lippen. Diesmal aber völlig unerotisch.
Er seufzte.
Alles schien zusammenzubrechen. Selbst das produzierende Gewerbe kommt zum Erliegen. Opel macht auch drei Wochen Zwangspause in der Produktion. Skoda hatte vor zehn Tagen den Freitag als Produktionstag ausfallen lassen, um Verbindlichkeiten klein zu halten.

Mein Blick wandert zum Fernseher.
Vorhin liefen wieder Berichte zur Lage der Börse.
Finanzkrise.
Ein Wort wie ein Schicksal.
Vormals erschienen Krisen wie kurze Systemabstürze des Betriebssystems „Wirtschaft“. Doch jetzt gibt es nicht einfach nur einen „Blue Screen“ wie bei Windows. Nein, das System arbeitet weiter und der Zuschauer sieht dabei gleichzeitig zu wie das ganze System abstürzt. Nicht nur an einem Tag, sondern gleich die ganze Woche über.
Wie Dominosteine kippen nun die Luftschlösser um.
Fast ist man versucht bei englischen Wettbüros anzurufen und auf das nächste Luftschloss als nächster Pleitekandidat zu setzen. Nur damit man ein wenig Freude an diesen schlechten Nachrichten haben könnte.

– Hast du Wertpapiere?
– Nein, aber Kredite.
– Hausbau?

War das ein Geschrei, als man im Zuge von „Harz 4“ feststellte, dass eventuell bei verschärfter Arbeitslosigkeit vor irgendwelchen Zahlen erst einmal die eigenen vier Wände verkauft werden müssten.
Einige Anlageversicherungen versuchten diese „Harz-4-Mechanik“ mit Anlageformen auszutricksen. Eine davon hatte sich mir vor vier Wochen noch vorgestellt gehabt. Sie wollten u.a.a. Gelder auf Island ablegen.

– Viele deutschen Sparer zittern nun um ihre Einlagen bei isländischen Banken. Das könnt mir nicht passieren.
– Klar, du hast ja auch keine Ersparnisse, nur Kredite.

Er lachte maliziös.
Der Fernseher schaltet um. Die Lottomaschine erscheint. Mechanisch ziehe ich meinen Lottoschein zum Vergleichen heraus. Der Wirt nimmt mir das Wasser weg.

– Hier trink nen Kölsch. Ich kann’s nicht mehr mit ansehen, wie du am Wasser würgst.

Ich ergreife die Stange und nippe dran.
Ja, es ist Kölsch.
Irgendwie geht mir der Satz durch den Kopf „Wer nichts wird, wird Wirt“. Irgendwie stimmt der Satz nichts mehr. Denn die Stufe darunter muss jetzt wohl eindeutig Banker und Börsianer heißen. Oder wie sagte mir mal einer?
„Die größten Gauner dieses Landes sind Versicherungen, Banken und dann kommen schon die Architekten.“
Die Kugel rollen und ich versinke in Lotto-Anbetung.
Oh, Kugel, roll mal für mich …

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