Die harte Realität unterhalb eines Weltwunders

Wie ich hier bereits schrieb, wurden letztes Wochenende sieben neue Weltwunder ausgerufen. Eines davon war der „Christo Redentor“ in Rio de Janeiro.

Im Kommentar-Bereich meines „Weltwunder“-Posts hatte ich bereits geschrieben, welche Bedeutungen die Statue in Rio hat:
Christo_Redentor

„Man sagt, wenn man in die ausgebreiteten Arme Jesu sieht, dann ist man auf der sicheren Seite. Sieht man seinen Rücken, sollte man schleunigst wieder zusehen, auf die sichere Seite zu kommen. In der Zwischenzeit haben sich die favelas und die Armutsviertel auch vor dem Christo entwickelt. Aber im Grunde ist er noch der einzige, der trotz dem was unter ihm so abgeht, milde auf die Stadt schaut.
Eine andere Weissagung behauptet, wenn ein Arm von Christo abbricht, wird Rio in den Fluten des Meeres versinken.

Ob es Spökenkikereiei ist oder einfach nur fatalistisch zugespitzt bedeutet, dass es zur Klimaerwärmung kommt und niemand mehr Geld aufbringt, wichtige Arbeiten zur Restaurierung des Christo in der Zukunft durchzuführen, das kann jeder für sich selber entscheiden.“

Insbesondere das mit der Vorder- und der Rück-Seite und mit der Kriminalität ist so eine Sache.

Das Konzert „Live-Earth“ vom letzten Wochenende wurde in Rio zuerst abgesagt, weil die Stadt nicht für die Sicherheit der Konzertbesucher garantieren wollte. Letztendlich wurde es am Strand der Copacabana für die Besucher (als einzigstes Konzert der „Live-Earth-Reihe ohne Eintrittsgelder) durchgeführt. Es geschah nicht mehr und auch nicht weniger als zuvor.

Dieses „nicht mehr und auch nicht weniger“ ist ambivalent zu sehen. Denn was in Rio schon Standard ist, dass lässt die Christus-Statue als „Weltwunder“-Reisetipp zur Nebensächlichkeit werden. In Rio herrscht im Grunde ein Bürgerkrieg zwischen den Drogenbanden (insbesondere dem „Comando Vermelho“) und der Polizei.
Ein Krieg der mit brutaler Gnadenlosigkeit geführt wird. Die Anzahl der unschuldig Getöteten durch Querschläger und Schußwechsel über deren Köpfe hinweg ist schon unübersehbar hoch pro Tag.

Was geht ab in Rio?
Anbei eine Dokumentation über die Zustände einer riesigen Metropole, die dann gar nicht mehr so sehr an ein „Weltwunder“ erinnert sondern eher an ein Bürgerkriegssumpf unter tropischen Palmen …

Die weiteren Teile und auch andere Dokumentationen finden sich hier.

7 Gedanken zu „Die harte Realität unterhalb eines Weltwunders

  1. Solche Schiessereien auf offener Straße habe ich bislang nur in der Türkei während der Militärdiktatur vor dreißig Jahren erlebt. Da bellten Mittags in Izmir MGs, alle warfen sich im Restaurant auf den Boden, nach einer Viertelstunde war Ruhe, zwei, drei Tote wurden weggeschleppt, und das Essen ging weiter. Es war für die Einheimischen »normal«.

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  2. Ich überlege, ob ich mal die Theorie darüber schreibe, wie Brasilien in Rio sich ihre eigene Drogenmafia „aufgebaut“ hat. Es hat weniger mit der USA zu tun. Sondern viel mehr damit, wie ein Land sich selber vor sein eigenes Erschiessungskommando stellt.
    Auf deine frage zurück kommend: Würde die USA ihre (vor allem internationale) Drogenpolitik „liberalisieren“, würde das wenig Auswirkungen auf die Drogenmafia in Rio haben.
    Was aber die Drogenmafia in Brasilien angeht, Rio ist deren offene Bühne. Sie gibt es auch in Sao Paulo oder Belo Horizonte oder Fortalezza oder Porto Alegre oder Brasilia. Aber nirgendwo ist der Focus der internationalen Medien so geballt wie in Rio. Eine offene Bühne halt. Da geht das ganze ohne Vorhang (also nicht unter der Decke) ab …

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  3. Die Dokumentation ist atemberaubend!

    Was hältst Du von der Theorie, dass dieser wahnsinnige Drogenkrieg seine Geschäftsgrundlage verliert, wenn die USA ihre Drogenpolitik liberalisieren würde?

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